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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 3 (1. Novemberheft 1905)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0196

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Handlung steht in gar keincm Ver-
hältnis zu der Gestaltungskraft des
Autors. Dostojewski konnte in diesem
Sinne „sensitive" Novellen schreiben,
De Nora kann es nicht. Diesem
Autor, den ich als Verfasser manches
frischen Liedes kenne, gab diese
Geschichtcn ein böser Geist cin.

Max Groth

M Aus der Sudelküche
wird jetzt wieder ein sehr feines
Gericht herumgetragen: „Feodora, die
nnglückliche Großfürstin Vvn Ruß-
land oder: Von Kosaken zu Tode
gepcitscht oder: Die furchtbaren Blut-
opfcr des japanischen Krieges." Die
Schöpfung gewährt nach der Re-
klame „einen Blick hinter die Ku-
lisscn der beiden Reiche", nnd das
muß man bekennen: daß es so
dahinter aussah, hätte man aller-
dings nicht gedacht. Eine Probe.
Sonja, des Helden Schwester, ist eben
auf Plehwes Befehl und in sciner
Gegeuwart „im Namen des Gesetzes
und auf administrativem Wege"
gräßlich geknutet worden, nnn ist
der Gardeleutnant Wladimir selbcr
daran. Da aber naht sich das
Bonheur:

„»Zurück«, rief eine Stimme von
der Tür des Gefängnishoses her,
»wagt nicht, ihn zu berühren. Gnade!
Er ist begnadigt!«

»Hölle, Tod und Teufel!« knirschte
Plehwe, »wer hat mir das getan?«

Jm Rahmcn dcr Gefängnistür
standen zwci verschleicrte Frauen-
gestalten, die eine von ihnen schlank,
jugcndlich, in einem kostbaren, pelz-
besctzten Mantel. Und während sie
ein Papier in der hoch erhobenen
Rechten über ihrem Haupte hielt,
rief sie den Kosaken zu:

»Leutnant Wladimir Borotin ist
dcr entehrenden Strafe enthobcn. '
Hier steht die llnterschrift des Zaren, !
wehc Euch, wenn Jhr ihm auch nur !
cin Haar krümmt!«

Dic Unterschrift des Zaren — ^

sic wirkte Wunder. Die Kosaken
traten zurück, feierliche Stille lag

über dem weiten Platz — langsam
richtete Wladimir sich empor und

— ein Schrei des Entzückens ent-

rang sich scinen Lippen, denn vor
ihm stand Grvßfürstin Feodora.

»Feodora, mein Engel! Meine
Retterin!« rief er aus, währeud er
sehnsüchtig die Arme ausbreitete.

Aber schou stand Plehwe an seiner
Seite und die Hand auf Wladimirs
nackte Schulter legend rief er mit

strenger Stimme aus. »Man hat
Sr. Majestät den Zaren schlecht bc-
richtet. Die Strafe der Knntung
wird allerdings heute nicht aus-
geführt werden, aber dieser Mann
bleibt in der Peter-Pauls-Festnng.
Jch nehme jede Berantwortung auf
mich.«

»Dicser Mann,« rief in diesem
Augenblick dic Stimme der andern
verschleierten Dame, die zugleich mit
Feodora dcn Gefängnishof betreten
hatte, »dieser Leutnant Wladimir
Borotin wird noch heute, noch in
dieser Stnnde die Petcr-Pauls-Festung
verlassen. Oder glaubt Jhr, Minister
Plehwe, daß Jhr Euch auch gegen
dcn Willen eurer Kaiserin auflehnen
dürft?«

Der Schleier flog empor — er.
cnthüllte das holde, engelgütige Ant-
litz der Zarin."

Derlei wird wieder in Millionen
Heftcu verbreitct. Für uns ist's Blöd-
sinn, über den wir lachen, für Tau-
scnde ist's Blödsinn von der einzigeu
Sorte, die ansteckt._

Berliner Theater
„Stein unter Steinen" heißt
Sudermanns neues, im Lessing-
theater unter lautem, wenn auch
schließlich stark bestrittenem Beifall
aufgeführtes Schauspiel. „Stein unter
Steinen" — es klingt nach einer
herb resignierten Lcbenserfahrung,
man glaubt noch etwas von dem

s. Novemberheft lZ05 1SS
 
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