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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 3 (1. Novemberheft 1905)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0198

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ternen Welt vor seinen Wagen spannt,
Nur müssen sie, ob cins oder acht,
von cinem einheitlichcn zielbewußten
Willcn gelenkt werdcn, Sudcrmanns
Gänle abcr wissen bci dcm aufge-
regtcn Hü und Hott ihres Kntschcrs
bald nicht mchr, wohin dcnn die
Fahrt eigcntlich gehen soll, und ma-
chen jeder für sich ihre Sätze nnd
Sprüngc, der eine im Trab, dcr
andre im Galopp, dcr drittc im be-
haglich verweilcnden Schritt cincs
vor jcdcm Krng und Wirtshaus an-
haltenden Krippensetzers. Da ist es
denn kein Wunder, wcnn der innere
Fadcn der Jdee wie mürber Zun-
der zerreißt, und fast cin Wundcr,
daß sich die cinzclnen Szencn schlicß-
lich doch noch zn cinem stcllenwcise
wcnigstens spannenden Theaterdrama
zusammenfindcn, Zu cinem Theater-
drama frcilich, daS in die aller-
nächste Nachbarschaft von Felix Phi-
lippis übel berufenc» Scnsations-
und Efscktstücken rückt, Wollte ich
die „Handlung" mit allen ihren Ein-
zclheitcn nnd Zwischcnfällen erzäh-
len: wic Jakob Bieglcr, der wegen
„Totschlag aus Eifcrsucht" mit fünf
Jahren Zuchthaus Bcstrastc, auf cincm
Steinmetzhofc endlich wicdcrArbcit als
Wächter crhält, wic aber auch hier
die chrlichen Arbeiter von dcm „Mör-
der" bnld keinc Zigarre mchr nch-
mcn wollen, wie er dann an der
Kantinenwirtstochter eine Frcundin
findet und, indcm er sie gegen die
brntalen Gemeinhciten ihres Gelieb-
tcn schützt, dic Achtung seiner Ka-
mcraden und dns Vertrauen zn sich
selbst wiedergewinnt, wie cr im letz-
tcn Akt um ein Haar untcr dem
Granitblock begrabcn worden wäre,
dcn der blamicrte Liebhabcr aus
den Beleidiger hcrabstürzt, wic statt
dcssen aber der Mordbube selbst für
immcr das Feld räumen muß, und
wie Lorc, dic nun glücklich von ihm
Bcfreitc, deni die Mitternachtsstundc
abpfcifcndcn Bicgler mit dcm ahn-

s, Noveinbcrhcft jftO,,

ungsvollen Seufzcrl „Das Glück
pfeift" in dcn Mondschcin nachschaut
— ich fürchte, das alles würdc in
der Erzählung noch weit mehr als
auf der Bühne dcn Eindruck ciuer
böscn, eincr bitterbösen dramatisier-
ten Kriminalgeschichte st Ig, Tcmme
machen, Erst recht, wenn ich auch
all die genrehaften und sentimen-
talen Ausschmückungen buchte, die
der des Theaterpublikums ach! uur
allzu kuudige Dichter dazwischeu an-
gebracht hat: Lores Vatcr, den ver-
soffencn und vertrottelten Ex-Nacht-
wächter, der aus Wut auf dcu „lah-
meu Hund" von Nachfolger gemein-
same Sache mit dem Verführer seiner
Tochter macht! die arme verwachsene
Meisterstochter, die sich in Sehu-
sucht nach Licbe und Mutterglück
einsam oerzehren würdc, wcnn sie
ihren Edclmut nicht als ständigen
Tröster und Gesellschafter hätte; und
dcn Gewohnheitsdieb Struve, eine
Seele von Mensch, der die Frei-
heitswochcn, sern von der „hohen
Schule" des Zuchthauses, nnr als
unliebsame Unterbrechnngen übcr sich
ergehen läßt, So wohltätig der Zu-
schauer einzelne, zumal die humo-
ristischcn dieser Episoden im Hau-
bitzenregen der „Handlung" empsin-
det, dcr Ehre des Dichters Suder-
mann können sie wenig oder gar
nichts geben, das bißchen Rnhni
dieses Schauspiels gchört nngeteilt
dem Theatraliker,

Eine gar bittere Enttäuschung
habcn all die guten Seclen erlebt,
die sich von dem Eröffnnngsstück
des jetzt glücklich dem Schauspieler-
ehrgeiz Ferdinand Bonns ausge-
lieferten „Berlincr Thcatcrs", dem
dramatischen Gedicht „Andalosia"
des Schweizer Lehrers (?) Flo-
rian Endli, eines jener „hohen
Dramcn großcn Stils" erhofft habcn,
wonach, um mit deni jüngsten Su°
dermann zu sprechen, die ungedul-
dige Gegenwart „sich vor Sehnsucht

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