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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

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Heft 3 (1. Novemberheft 1905)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0199

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die Seele aus dem Leibe schreit".
Anstatt bes erwarteten Hohenliedes
auf deutsches Gemüt und deutsches
Volkstum gab es da eines jener
sattsam bekannten Weihnachts-Mär-
chen, in denen Phantasie durch Phan-
tastik, Gestaltungskraft durch Auf-
einanderhäufen von Wundern ersetzt
wird. Ein mit einem unerschöpflichen
Fortunatussäckel belehnter Jüngling
zieht aus, uin sich und die Welt
zu beglücken, wird von den bösen
Menschen betrogen, geschmäht und
verfolgt und findet endlich bei einem
Einsiedler unter bettelhafter Hülle
doch das Glück, das sein Kinder-
glaube verdient. An diese zu fünf
Akten aufgeblasene Naivität hat der
neue Herr in der Charlottenstraße
den ganzen lärmenden nnd blen--
denden Ausstattungsprunk verschwen-
det, mit dem scin nie über die
Kulissen und Soffiten hinwegschau-
ender Reformatorendrang der Her-
zensnot des deutschen Dramas glaubt
abhelfen zu können.

Friedricb Düsel
^^Münchner Theater
Otto Julius Bierbanm fängt
an, seinen „Stilpe" für die Bühne
zn verwerten. Aus der Erzählung,
die sich mit dem Leben des „genial"
haltlosen Gymnasiasten und späteren
Journalistcn befaßt, hat er zwei Be«
gebcnheiten dramatisch herausgestellt;
unser Schauspielhaus brachte sie zur
Aufführung. Jn dem „Cenacle
der Maulesel" schildert er eine
Kneiperei junger Leute, die, dem
Zwange der Schule cntronnen, als
stuäiosi vitae und Literaturerneuerer
der Zukunft cntgegenjauchzen; der
Konrcktor, der in das Gelage hin-
einplatzt und seine alte Autorität in
ganz erschrecklich törichter Philistrosi-
tät geltend machen will, wird von
dem ehemaligen primus omuium in
besonnener Weise seiner pädagogischen
Mangelhaftigkeit angeklagt und dann
unter dem Jubel der Muli von Stilpe

„abgcführt" mit eincr spaßhaft ernst-
haften Programmdauerrede gegen die
Mödigkeiten des Schulmeistertums.
Die frische Jugendlichkeit der „Grün-
heit" guckt stcllenweise aus der Dar-
stellung nicht übel heraus; leider
nur wird gleich immer wicder Herr
übcr sie die Redseligkeit nnd Witze-
machcrei, die sich in dem Stück auf
Kosten aller rünstlerischen Lebens-
wahrheit brcit macht. Da bestärken
einen denn die sparlichen Lasen
cigentlich nnr in dem Eindruck von
„Wüste". — Jn der „Schlangen-
dam e" rettet die Titelheldin einen
Stndenten aus dem „Sumpf" durch
ihren sittlichen Eiufluß zum Staats-
examen hindurch. Der Gerettete wird
unter Assistenz Stilpes mit ihrer
Hand beglückt, nachdem ihm scin
professorlicher Vater die als ehrsame
Zimmervermieterin verkleidete Akro-
batin zur Frau geworben hat. Eine
Possenhandlung also, kaummehr. Frei-
lich der Witz der literarischen Bohöme
„adelt" das Stück. Hat der aber so
sehr viel mehr Berechtigung dazu,
sich dramatisch darzustellen, als die
Kalauer Blumenthals? Äluch wer in
Bicrbaum außer einigem selbständi-
gcn Naturburschentnm in gutem und
schlechtem Sinne nie viel mehr ent-
decken konnte als ein hübsches äußer-
liches Anempfindungstalent (mit Fvrm-
talent nicht zu vcrwechseln), auch der
wird bedauern dürfcn, seinc „Frische"
solche Wege wandeln zn schn. Das
Publikum vermochte beiden Dichtun-
gcn bis in ihre Tiefen zu folgeu und
gab scincr Freude darüber lauten
Ausdruck.

Das Volkstheater brachte ein Volks-
drama in drei Aufzügen von Panl
Quensel zur Aufführung: „U m
die Scholle". Das Stück schildert
das Schicksal eines „verlorencn" Wnld-
dorfes und den vergeblicheu Kampf
des Dorfschulzen um seine Heimat:
seine Tochter wird ihm infolge der
hcimtückischenMachenschaftcn des gräf-

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