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Heidelberger Zeitung — 1865 (Januar bis Juni)

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Nr. 51-77 März
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KreislierküiidigimgMiitt fiir den Kreis Heidclberg mid amtliches ^crkülldignngsblatt für die Amts^ unö Amts-
Gerichtsbczirke Heiüelbcrg und Wicsloch und den Amtsgerichtsbezirk Neckargemünü.



Mittwoch. 22 März


I8«S

.. Herr Jakob Lindau und die
Gewiffensfreiheit.

Zn seiner vor einigen Tagen erschienenen
Broschüre, betitelt: „Jeder Landcseinwohner ge-
nießt der ungestörten Gewissensfreiheit," § 18
der VerfassungSurkunde, kommt Hr. Lindau auf
sein Lieblingsthcma zurnck, auf dieselben Ge-
danken und Anschauungen, die er neulich in
der GcrichtSsitzung mit bcredtcm Mundc aus-
gesprochen uud crläutert hat. Abcr als guter,
kirchlich-gcsinnter römisch-katholischer Christ darf
Hr. Lindau von Gewissensfreiheit gar nicht
sprechen, denn das unfehlbarc Oberhaupt seiner
Kirche verdammt dieselbe in dem so berühmt
gewordenen Rundschreibcn vom 8. Dec. v. Z.
als eine arge Kctzerei. Hr. I. Lindau, cin
Katholik vom reinstcn Weihwasser und dem-
ungeachtet ein Kctzer! Es ist schrecklich, eS
ist entsetzlich! Auch du, Brutus! möchte man
ausrufen. Wahrlich, vor dem Herrn und vor
seinem Statthalter auf Erden sind die Reinften
nicht rein und die Saubersten nicht sauber.

Wenn man die Broschüre deS glaubenseif-
rigen Kaufmanus vom Heidelbergcr Marktplatze
aufmerksam durchlicst, sollte man glauben, das
gottlose Ministerium in Karlsruhe sinne Tag
und Nacht auf nichts anderes, als die Katho-
liken des Landes zu kränken und zu beleidigen;
die Räthe des Großherzogs scheineu es demnach
als eine ihrcr Aufgabcn zu betrachten, die
„katholischcn Principien" zu verletzen, absicht-
lich zu verletzen! Dicse Auffassung jedoch muß
als eine irrige bezeichnct und als eine grund-
salsche znrückgewicsen werden. An diesem be-
klagenswerthen Argwohn und Vorurthcil hält
Hr. Lindau mit mcrkwürdiger Zähigkeit fest.
Unserem Clerus, sagt er, gebührt die Mit-
leitung der Schule! Mit Freuden zugegcben.
Er darf und soü ja mitleidcn, mithelfen, mit-
schieben und mitreden nach dem neuen Gesetz;
er darf und soll sich ja bekümmern um dic
Erziehung und Zugendbildung! Wenn aber
irgend ein Dechant oder Kaplan durchaus nicht
zu bewegen ist, das nach seiner Ansicht ent-
weihtc Schnlhaus zu betreten. um nachzusehen,
was dort getricben wird; wenn er bei seinem
unverständigen, unchristlichen Schmollen und
Grollcn hartnäckig und eigensinnig verharrt,
weil profane Laien im Ortsschulrathe sitzen,
weil Gerber, Kaufleute und Seifensieder auch
mitleiten und mitrcden dürfen, nun dann schmolle
und grolle er fort bis zum jüngsten Tag; die
Ncgierung verschmäht es, einen so bornirten
und starrköpsigen Kaplan an einem Strick mit
Gewalt in die Schulstube zu zichen. Die
Hierarchie jedoch will die Schule nicht mit-
leiten, sie will sie ganz allein leiten und nicht
nur die Schule, sondern auch anderes. Ein
Kurfürst von der Psalz, der auch ein guter,
kirchlich-gesinnter Katholik war, sagte einmal
zu einer an ihn abgeschickten Deputation von
Zesuiten: „Wenn man den Mitgliedern der
Gesellschaft Jesu eincu Fiuger gibt, so genügt
ihnen der nicht, sie wollen die ganze Hand und
mit dieser das ganze Land!" Und so ist eS
wirklich auch gckommen und Zeder, der die
Landesgeschichte einigermaßen kennt, weiß, wie
sie gehaust und gcwirthschaftet und wie weit
sie die Pfalz gcbracht haben! Auch sie erzogen
die Zugend, aber wie? Nicht sowohl zum
Katholicismus als vielmehr und hauptsächlich
zum crassesten Fanatismus!

Daß die kirchlich gcsinnten, streng hierarchi-
schen Katholiken sich versammeln und berathen

dürfen, wann und wo es ihncn beliebt, wird
Hrn. Lindau kein vernünftiger Mensch bestrei-
ten. Hatte sich die Agitation lediglich auf das
schöne Eckhaus am Karlsplatze, zuerst Schützen-
hof und dann „Pariser Hof" genannt, beschränkt,
würde Niemand etwas dagegen einzumenden
gehabt haben. Aber nach den grünen Schützen
kamen die schwarzen und trugen mit rastloser
Geschäftigkcit und Beflisseuheit ihre Agitation
nebst octroyirter tiefer Gährung und obligater
schmerzlicher Aufregung in den Odenwald, in
den Kraichgau, in den Taubergrund, in die
Dörfer der Ncckarcbene und der Bergstrgße.
Vom Neichsdeputationshauptschlusse redete man
kcin Wort und kein Wörtlein mit dem Land-
volke, denn es weiß und versteht nichts davon.
Die Agenten und Sendbotcn der hierarchischen
Partei sagten vielmchr zu den Bauern und
riefen ihnen zu: Eure Religion ist bedroht,
euer katholischcr Glaube ist in Gefahr, erhebt ,
euch, ihn zu schützen, ihn zu vertheidigen!"
Das war doch dcutlich genug gesprochen, und
wir wissen auf's bestimmtcste, daß Reden sol-
chen Jnhalts gehalten worden sind. Nachdem
die Agitation solchc sehr bedenkliche Dimen-
sionen genommen hatte, war es nicht zu ver-
wundern, daß sich in den größeren und kleineren
Städten und Ortschaften deS Landes wackere
Bürger aller Consessionen, die es mit dem Vater-
lande wvhl meinen, dagegen erhoben, und daß
auch die großh. StaatSregierung in geeigneter
Weise einschritt. Man darf wohl sagen, daß
sie eher zu, mild und schonend, als hart, herb
und schroff aufgetreten ist. Zn eincr solchen
Agitation, die das fanatische Landvolk bald nach
Bruchsal, bald nach Buchen, bald nach Mann-
heim dirigirt, uip die angeblich verletzten „ka-
tholischen Principien" nöthigenfallS mit
Faustschlägen, mit Stöckcn, Stockdegen und
Messern zu verthcidigcn, erblickt Hr. I. Lindau
keine ungesetzliche Wirksamkeit, kein illegalcs
Treiben, keine Störung des confessioncllen Frie-
dens! Man darf wohl erstaunt sein, einen so
gebildeten Mann wie Hrn. Lindau von einer
solchcn Zllusion befangen zu sehen. Auf eine
umständliche, ausführliche Widerlcgung derselben
verzichten wir, denn bereits im Januar und
Fcbruar haben wir uns in mehrercn Artikeln
und Aussätzcn übcr dieses Thema ausgesprochen.

Zum Schlusse noch folgende Bemerkung. Die
ultramontane Partei möchte gern aus Baden
ein zweites Tibet machen. Zn diesem vor-
zugsweise theokratisch regierten asiatischen Staate
gibt es zwei Herrscher, ein geistlicher und ein
wcltlicher, der letztcre, Tescho Lama genannt,
hat bei allcn Verfügungen und Maßregeln, die
er treffen und ausführen will, bei dem geist-
lichen Oberhaupt, dem Dalai Lama, erst ge-
horsamst anzufragen, ob ihm genehm und ge-
fällig sei, die Verordnung zu billigen und zu
destätigen. Die Zcloteu und Helotcn des päpst-
lichen Stuhles möchten unsern Staat mit der-
selbcn Einrichtung beglücken. DaS Ministerium
in Karlsruhe müßte bei allcn Erlassen und
Anordnungen erst nach Freiburg im Breisgau
schreiben, um die Approbation und Gcuehmi-
gung der crzbischöflichen Curie nachzusuchen.
Es ist jedoch ini modernen Staate dafür ge-
sorgt, daß die duftenden^Palmen und Schling-
pflanzen der Hicrarchie nichL bis in die Wolken,
nicht biS in den Himmel wachscn!

* Politifche Nmschau.

Wie die „N. Pr. Ztg." aus sicherer Quelle
erfährt, hat das K. Obertribunal ein Erkennt-
niß dahin publizirt, daß die Staatsregierung

> berechtigt ist, von denjenigen Beamten, welche
' ihre Amtsthätigkeit verlafsen, um als Abgeord-
nete zu fungiren, die Stellvcrtretungskostcn
einzuziehen.

Ueber die Diskussion im Senatc bezüglich
der kirchlichen Frage stellt dcr „Constitutionnel"
seine Betrachtungen und bemcrkt: Vor Allem
möge nicht vergcffen werden, daß man sich im
Senate und uicht in einem Concilium befinde.
Auch seien Senatoren, folglich auch die Bi-
schöfe, denselben Verpflichtungen unterworfen.
Heutzutage werde sich die bürgerliche Gesell-
schast die Uebergriffe der kirchlichen Korpora-
tionen nicht mehr so gefallen lassen wie in
früheren Zciten. Es gebe eine gesetzliche Ord-
nung, das Nesultat der Anstrengungen von
Jahrhunderten; einen weisen Kontrakt, welcher
den übertriebenen Forderungen beider Parteien
ein Ziel gesetzt habe. — „Opinion nationalc"
will der Anmaßung Nom's die Staatsgcsetze
entgegenhalten, und sie noch schärfen, um so
schnell als möglich mit der päpstlichen Reaktion
zu Ende zu kommen.

Dic portugisische Abgeordnetenkammer hat
dem neuen Dtinisterium ein Vertrauensvotum
ertheilt.

AuS Nom bringt der „CzaS" die Nachricht,
datz ein gegen die Aufhebung der polnischen
Klöster gerichtctes Memorandum zu Handen
des Nuntius in Wien an das St. Petersbur-
ger Kabinet abgcgangen sei. Dieses Schrift-
stück soll sehr energisch gehalten scin und die
früheren Schreiben des Papstes an den Kaiser
Alexandcr an Kraft des Ausdruckes noch weit
übertreffen.

Die römische Jndexkongregation hat ein
Werk des Abbe Testory, Feldprcdigcrs bci den
österrcichischen Truppen in Mcxiko, über das
Kaiserreich und dcn Clerus in Mexiko, verdammt.

Deutschland.

H Conffanz, 20. März. Jn der auf gestern
anberaumten, von mehrercn Hundert Katholiken
besuchten Versammlung wurden zwei Adressen,
eine an Se. Excellenz den Herrn Erzbischof,
und eine andere an das Großherzogl. Staats-
ministerium beschlossen. Gegen die erstere sprach
sich eine Minderheit aus, da unter den obwal-
tenden Umständen von einer solchen Adreffe
nach Freiburg doch nichts zu erwarten sei.
Die an den Erzbischof gerichtete Adresse weiSt
mit Entrüstung die Anmaßung zurück, daß nnr
Diejenigcn wahre Katholiken sein sollcn, welche
den Landcsherrn durch förmlich organisirte De-
putationen und maßlose Petitionen zu bestim-
men suchen wollten, das Schulaufsichtsgesetz
durch ein provisorisches Gesctz aufzuheben —
und dieses gesetzlose Verfahren billigen. Es
handle sich hier um keinen Glaubenssatz, um
kein Dogma der Kirche, sondern um eine Frage,
die ihrem eigentlichen Wesen nach politischer
Natur sei. Die Adresse schließt mit der Bitte:
„Durch die Macht Jhres Hohen Amtes den
gegcn die Verfassupg und die Gesetze deS
Staats gerichteten Aufregungsversuchen ent-
gcgenzutreten, denselben Einhalt zu gebieten
und Jhre Geistlichkeit sowie die kathol. Laien
zu ermahnen, dem verfassungSmäßig zu Stande
gekommcnen Gesctze und der cbcnfalls von Gott
eingesetzten Obrigkcit Folge zu leisten." Zene
an das Großh. Staatsministerium gerichtete
Adrcffe lautet folgcndcrmaßen: „Die unter-
zeichneten Katholiken aus dem Seckreise haben
unter Einem eine Adrcsse an Se. Exccllenz
den Hochwürdigsten Herrn Erzbischof in Frei-
burg gerichtet, worin sie Großh. Staatsmini-
 
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