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Heidelberger Zeitung — 1865 (Januar bis Juni)

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Nr. 78-101 April
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https://doi.org/10.11588/diglit.2822#0441

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Veidelberger Zeilung.

KreisveMndigMgsblatt fiir üen Kreis Hcidelberg und aintliches Berkündignngsblatt für die Amts- und Anits-
Gcrichtsbezirke Heidelberg und Wicsloch md den Aintsgerichtsbezirk Neckargeuiünd.

N 1«1


Sonntag, 3«. Aprtl


> Auf die „Heidelbergcr
Zeitung" kunn man sich
noch für dic Monate
Mai und Zuni mit 42 Kreuzern abonniren bei
allen Postanstalten. den Boten und Zeitungs-
trägern, sowie dcr Exdedillon (Schissgasse Nr. 4).

Ä Die freie Kirche im freien Sra.it,

Vl,

Neu? Prinzipien im StaatSleben müsscn sich
an der Erfahrung beivähren; nnr letztere gibt
die sichsrc Probe, theils ob sie an sich richtig
sind, oder dies vorausgesctzt, ob bei ihrer An-
wendung richtig vcrfahren und nichtS »erschlt
worden sci, Der Satz, „daß die Kirchen frei
und unabhängig vom Staate sein jollen" —
hat ctwas Verführcrisches, etwas Beirrendes,
und zwar sür die Freunde wie sür die Gegncr
srciheitlicher Zustände, Er gewinnt unsere »olle
Ziistimmuiig, weil er eine große Wahrheit ein-
schließi, nämlich daß dcr rciigiösc Glaube und
daS religiöse Leben als solche bcfreit sein müs-
sen von jeder Liißern Gewalt. Auf den Grund
dieser heiligen Wahrheit, um deren willen die
Mcnschhiit so viel gelitten und gcbliktct hat,
schreitct man nun ^u der Folgcrung sort, daß
auch die Kirche und da» kirchliche Leben
absolut unabhängig von jeder Gewalt außer
ihr, also vom Staate und dessen Regimcnt
hingcstcllt wcrden müssen.

Zn diescm schnellen Schlusse liegt daS Bc-
rückende und Tiuschende; denn der Schluß
setzt vhne weiteres vorauS, daß rcligiöseS und
kirchliches Lcben Ein und dasselbe sei, was nur
in fehr bcschränktem Sinne theilweisr wahr,
allgcmein abcr genommcn grundfalsch ist; denn
sonst müßtcn wir Scheinheiligkeit und Heuchclei,
Livpendietlst und fanatische Kirchthümelci eben-
falls für Erwcise dcS religiösen Lcbens halten,
was kein Vernünstiger, am allerwcnigsten aber
der Christ zugeben darf.

UebrigenS liegt gerade in dcr Vermengung
dieser beideu Begriffc, der Rcligiou mit der
Kirche, der Religiosität, die ihrem Wesen
nach ein tief Znnerliches ist, niit dcr Kirch-
lichkeit, welche als etwas Acußerliches, ohne
jene bcstchcn kann, was leider nur zu oft vor-
kommt, daS ganze Gehcimniß dcr Macht der
Hierarchie und ihres gcwaltigen EinflusscS auf
die Gemüther der Menschen, Denn vermöge
dieser Confundirung verschicdcner Dinge und
Begriffe, wclche die Hierarchie in aller Weise
zn nährcn sucht, weiß diese kluge Kasie ihre
Sachc als die der Religion, und ihre meift sehr
wcltlichen Znterefsen al« die dcr Kirche darzu-
stellen, UNI die bethörtc Gläubigkeit der Maffen
zur svrtgesctztcn Mchrung ihrer Reichthümer
und zur Befricdigung ihrer Ehrsucht u, Herrsch-
begierdc auSzubeutcn.

Auf besonncnem liberalcn Standvunkte soüte
man wohl erwägen, von wcm denn der Nuf
nach Befreiung der Kirche vvn der Uebcrwa-
chung des Staates zuerst auSgegangen, nnd zn
weffen Vorlheil er geführt hat, da, wo man
ihm Gehör gcschenkt hat,

Er ist von den Zesuiten auSgegangen, die
diese Schablone unscrer Tage hinwarfen, um
durch den liberaleu Schein diescs Köders die
Kinder dieser Zeit zu fangen, Welche Früchte
di-sc angeblichc „Freiheit der Kirchc" in dem
Lande Belgien, wo sie bis jctzt allcin ini großen
Maßstab zur Anwcndung kam, getragcn hat,
haden wir schon srüher angcgebcn, Man ist
ebcn in diesem Lande daran, zur Rettung der
bürgcrlichen Gesellschast vor dem Alles ver-

schlingenden Schlund der Hierarchie, hinterher
durch Repreffivgesetze dem hierarchischen Regi-
ment und seiucr fortfchreitenden Machtcrweiter-
ung Schranken zu sctzen, d, h, den ausgenom-
mencn Grundjatz von dcr freien Kirchc wesent»
lich zu bcschräiik-n und mit der Erhaltuug dcr
staatlichen Wohlfahrt und RechtSordnung in
Eiiiklaug zu briugen,

AnderwärtS, wo man in ueuester Zeit dcm
Vorgauge BelgienS gefolgt und der Hierarchie
völlige Ünabhängigkeit von der staatlichen Auf-
sicht und Conlroke gcwährt hat, wird man über
kurz oder lang auch Lhnlichc Erfahrungen
machen, Wir in Badcn z, B, siud bereits in
diesem Falle, Durch dic Gesctzgebung von 1860
ist dort deu Kirchen volle Selbstständigkeit und
Ünabhängigkeil vom Staate zugesichert wordcn,
Welchen Gcbrauch hat die römischc Hicrarchie
von-diesem Geschenke gemacht? Sie hat For-
derungcn erhoben, deren Gcwährung das hier-
archische Rcgiment zu einer zwciten souveränen
Macht im Lande ncben der des Staates er-
hebcn würden; sie scheut stch nicht, um ihren
Forderungen Nachdruck zu geben, die Gemüther
zn beirren, den Frieden der Familien uud Ge-
mcindcn zu stvren, die gcsetzliche Ordnung dss
LandeS zu durchbrechen und alle Mittel einer
radicalen Demagogie in Bewcgung zu setzen,
um die lcgitime Negierung deS LandeS vor dem
eigenen Volke und vor dem Ansland anzu-
schwärzcn. Schon nach wenigen Jahren haben
wir die Erfahrung gemacht, daß die lcdiglich
sich selbst übcrlasscne Hicrarchic dahin steure,
sich zu einem Staate im Staate zu uiachcn,
der vom pvlitischen nicht etwa bloß unabhängig
sein, sondern über diesen mit souveräner Macht-
vollkommenheit schaltcn will. Daß es auch bei
unS nicht so fortgehcn könne, muß ietzt
jchon jedem denkendcn Manne, der ein Hcrz
und Liebe für sein schönes Heimathland hat,
über allen Zweifcl klar sein, Selbst wenn eS
möglich wärc, den Schulstreit zu einem leid-
lichen AuSgleich zu bringen, wird der Kamps
mit dcr Hierarchie bald auf eincm andern
Punkte zum AuSbruch kommcn, der sür die
steigcnden Anmaßungen nnd Herrschsucht des
römisch-hierarchischcn RegimcntS, wie eS nun
einmal ist, seit der ZesuitiSmuS scine leitende
Scelc gewvrdcn, vielleicht noch günstigere Chan-
ccn bietet.

Sollen wir deswegen daS großc Prinzip von
der Frcihcit des kirchlichen LebcnS aufgebcn?
KeineswegS; aber wir werden Cautelen ans-
stelleu und Garantien vcrlangcn müffen, daß
diesc kirchliche Freiheit nicht daS Grab unserer
politischcn wcrde.

Wir behalten unS vor, in cinem spätern
Artikel auf dicse wichtige Seite der Kirchen-
frage zurückzukommen.

* Politischc Ninschau.

* Es ist bereits darauf hingedeutet worden,
daß die Motive dcs vcrabscheucnswürdigcn
Meuchelmordes gegen Lincoln und Scward,
das Hcrz und der Kopf der Union, cntwcder
Rache war, odcr die Hoffnung , durch Beseiti-
gung der politischeii Lciter de« Nordens viel-
lcicht noch im letzten Augenblicke desscn Action
zu lähmeu und zn verwirren. Der letztcre Zweck
wird schwerlich gelingen, Der Sicg deS Rvr-
denS, die Auflösung dcs SüdenS ist zu voll-
ständig, als daß dcr dadurch angcbahnte noth-
wendige Verlans dcr Dinge nvch wesentlich ge-
Lndcrt oder auigehalten werdcn könnte, Lincoln
hattc sein großeS Werk, dic Nsederwerfung der

rebellischen Sckavcnstaaten — Dank seiner Ener-
gie und Zähigkeit — soweit vollendet, daß eS
auch ohne ihn bcstehen und seinen Abschlutz
finden wird; und so tiesbetrübend eS ist, daß
ein solcher Mann die Früchte seineS mächtigen
WirkcnS nicht genießen soll, so ist er wenig-
stenS nicht gestorben, ohne die Früchte gesichert
und seinen Ruhm als Wiederherstellcr der Union
sür allc Zeiten glorreich sestgestellt zu sehen,
Mit Lincoln und S-ward habcn die Mördcr
gcrade die 2 höchstcn Beamten der Union ge-
trofsen, die zu den günstigsten Bedingungen für
den überwundenen Snden hinneigtcn. Sie
haben damit der Sache der Südstaatlichen selbst
einen sehr schlechten Dienst erwiesen, Dem
blutigen Ercignisse liegt offenbar eine Bcr-
schwörmig von Fanatikern zn Grunde, Darauf
dcnten die Rachrichtcn von dieser Unthat selbst,
sowie bereits früher schon vorhanden gewesene
Spuren einer soichen Conspiration, cbenso die
bekannten BrandstiftungSvSrsuche in Neuyork.
Auch miiß daran erinnert werdcn — was nn-
seres Wisscns bis jctzt noch in kcinem Blatte
gcschehen ist — daß schon im März 1861 Lin-
coln mit Seward in Verkleidung nach
Washington zur Uebernahme der Prästdenschaft
reiste, weil man im Bahnhose zu Balti-
more ein LhiilichesAttentat befürchtete,

Dcr Pariser „TcmpS" bcmerkt zur ameri-
kanischcn Krisis: „Wir haben keine Sorge für
die Grvße der Union, noch für die amerika-
nischc Frciheik; ein Verbrechcn hat noch nie
eine verlorene Sache reiten können. Lincoln
stirbt umgeben von dem reinsten Ruhme, der
jemals einen Staalsmann gekrönt hat, aber
srin Werk wird ihn überleben, und der größte
Sieg der Freiheit wird nicht umsönst erfochten
sein, Die providentielle Missivn der Vkrcinigten
Staatcn HLngt nicht vom Lcben EineS ManneS
ab, und die Frciheit, die Lincoln geschaffen,
und der er gedien! hat, wird ihm auch wür-
dige Nachfolger schaffen,"

Die VerfaffungSbcstimmung nber den nun
eingctretenen Präsidentenwcchsel in Nordamerika
lautet: Wenn ein Präsident von sginem Amte
entfernt wird, stirbl, es niederlegt oder unfähig
würde es zu verwaltcn, so übernimmt der Vice-
präsident seinc G-schäfte; sollte aber auch einer
dieser FLlle sich bci dem Vicepräfidentcn ereig-
nen, so muß der Congreß durch cin Gesetz er-
klären, welcher Beamtc dic Stelle deS Präst-
dcntcii vcrtreten soll, Dcrselbe soll alsdann
das Amt deS Präsidenten verwaltcn, bis die
Unfähigkeit wieder gehobcn oder kin neuer
Prästdent gewählt ist,

Die „Kvln, Z." schreibt über den scheuß-
lichen Banditen-Mvrd an den amerikanischen
Präsidenten Liucoln:

„Die Nachrichten über den Hergang der
Mordthat, oder dcr Mordthaten, sind bis jrtzt
noch ziemlich dürftig. Was wir wiffeu, ist unge-
fähr Folgendes: AmAbend des 14, wardLin-
coln in seiner Loge im Theater zu Washiugton
von der Kugel eineS Hcreintreienden, der unter
dem Vorwande bei ihm erschien, ihm Depe-
schen Granl's zu überreichcn, gcttoffen und
verschied am solgcnden Morgen, Der Mörder,
-in Schanspieler Namens Wilkes Booth, gilt
sür cincn sanatijchen Sccessionisten, Rach der
That stürzte er uuf die Bichnc und ries als
ächter Schauspieler pathetisch in lateinischer
Sprache anS: „So möge cS jedem Tyranneir
ergehenl" Daß seine That nicht ein in eincm
plötzlichcn Anfalle eines wahnsinnigen Fana-
tiSmus vcrübteS Vcrbrechen war, geht dem Ver-
nehmen nach auS ü>en Papieren des MörderS
 
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