Heidrlbtrger Zeilung.
Kreisverküiidigungsblatt sür den Kreis Hcidclberg unü aintliches Äcrkiinüigniigsblatt für die Amts- unü AnitS-
Gerichtsbczirkc Heidelberg nnd Wicsloch und dcn Aintsgerichtsbezirk Neckargemünd.
M 1L«
Samstag, 17. Zuni L8GL.
* Politische Umschau.
Jn einem längeren Arlikel Lußerl die „N.
Fr. Ztg.": Jn der schlcswig-holsteinischen Ange-
legenheit wird sich die Entwickelung der ganzen
deutschen Fragc vorschauen und vordeuten lassen.
Es gibt nur zwci Lösungen, nur zwei Endziele.
Entweder geht Deutschland allmälig in Preußen
unter, oder der deulsche Staatenbund wandelt
sich in einen Bundesstaat um. Je länger der
Kampf, den wir erleben, seine Dauer hinspinnt,
je fester Oesterreich am Widerstande gegen das
Borussenthum HLlt, desto besser geftalten sich
die AuSsichten für den Bundesstaat.
Die Hoffnungen, welche an die Reise des
Kaisers Franz Joseph nach Ungarn sich knüpfen,
werden von der liberalen Presse nicht allzuhoch
angeschlagen. Jndessen geben sämmtliche unab-
hängige Blätter zu, daß der Augenblick jetzt
gekommen sei, in dem eine Verständigung von
beiden Seilen mit aller Kraft angestrebt wer-
den müsse.
Oesterreich hat ucuerdings die Forderung
Preußens wegcn Entfernung des Herzogs Frie-
, drich von Augustenburg aus den Herzogthümern
Schleswig-Holstein abgelehnt.
Der von der> Regierung zu wiederholten
Malen nicht bestätigte Stadtkämmerer Hagen'
in Berlin wurde mit 66 von 76 Stimmen
wieder zum Oberbürgermeister gewählt.
Die englischen Blätter besprechen sämmtlich
alle mit Ernst und Eifer die Berliner Duell-
frage; kein einziges derselben läßt sich beikom-
men, das Auftreten des Hrn. v. Bismarck zu
rechtfcrtigen.
Bei der Deputirtenwahl im Marne-Departe-
ment wurde der Candidat der liberalen Partei
mit 17,177 Stimmen gewählt; der Regierungs-
candidat erhielt 12,719 Sümmcn.
Nach Berichten aus Madrid wurde in Va-
lencia eine Militärverschwörung entdeckt zum
Sturz der regierenden Dynastie; der Oberst
und drei höhere Officiere des Negiments Bour-
bon und ein höherer Officier dcs Provinzial-
regiments von Valencia wurden verhaftet; diese
Maßregeln genügten, um den Ausbruch einer
Bewegung zu vcrhindern.
Der „Moniteur" stellt die Gerüchtc in Ab-
rede, denen zufolge Verstärkungen nach Mexiko
geschickt werden sollen. Man schicke nur die-
jenige Zahl von Truppen dahin, welche nöthig
sei, um die am 31. December zu entlassenden
Mannschaften zu ersetzen. Es handle sich also
um die Aufrechthaltung, und nicht um die Ver-
mehrung des regelmäßigen Effectivbestandes des
Expeditionscorps.
Das „Pays" meldet, daß der Militärauf-
stand itt der Negerrepublik Haiti, an dessen
Spitze der Oberst Salnave stand, ein schnelles
Ende gefunden. Der Präsident Gcffrad schlug
die Empörer auf's Haupt. Zwei Bataillone
reichten dazu aus.
Briefe aus Tiflis vom 17. Mai melden cine
große Niederlage der Russen in Chokand. Bei
dem Versuche die Stadt Taschkend einzunehmen,
wurden sie mit großem Verluste zurückgeschla-
gen. Die Truppen von Chokand verloren gegen
1000 Mann an Todtcn und Verwundeten, wäh-
rend der Verlust der Russen auf das Vierfache
dieser Zahl angegeben wird.
D e u t s ch l a n d
Heidelberg, 15. Juni. (Schluß.) Da-
gegen habe cs innerhalb der liberalen Partei
nicht an Stimmen gesehlt, die eine andere Or-
ganisation des Volksschulwesens wünschten
(Communalschulen). Jn der Reihc dieser Män-
ner, welche die Kirche ganz von der Schule
entfernt wissen wollten, werden die eventuellen
Gegner der Regierung zu suchen sein. Jn die-
sem Sinne stünde aber ebenfalls ein Minister-
wechsel zur Zeit nicht bevor, da diese Stimmen
in jener Richtung nur vereinzelt in der Kam-
mer hervorgetreten seien, und das Ministerium
bisher in der Kammermajorität die Zustim-
mung des von ihm eingehaltenen Verfahrens
gefunden habe. Ohnehin habe die entschiedene
Fortschritts-Fraction bis jetzt keinen bestimmten
Gegenantrag formulirt, so daß es nicht ein-
mal gewiß sei, ob dieselbe die Regierung ver-
lasscn und unter einem neuen Programm Oppo-
sition gegen dieselbe machen wolle. Auch habe
es allen Anschein, daß cin solches, bisher nur
in Andeutungen vertretenes Programm auf dem
künstigeu Landtage, wenn man eine ernstliche
Opposition unternehmen wolle, nicht einmal
eine Majorität für sich gewinnen werde. Offen-
bar wolle die eminente Mehrheit der Bevöl-
kerung die confessionelle Volksschule mit obliga-
torischem Religionsunterrichte erhalten wissen.
Dicse sei aber nur unter Mitwirkung dcr Kirche
möglich, woraus sich 'von selbst die Consequenz
ergebe, daß die Kirche nicht geradezu ignorirt
werden dürfe. Auch der Kirche sei auf ihrem
Gebiete, wohin auch der Rcligionsunterricht
gchört, volle Selbstständigkeit zugestanden wor-
den; dagegen habe der Staat nun auf seinem
eigenen Gebiete nur um so fester und selbst-
ständiger zu stehen, woraus sich die Anwen-
dung auf die Schulsrage von selbst ergebe.
Nur die Verblendung der ultramontanen Partei
habc dazu gehört, diesen Standpunkt zu ver-
kennen und zu wähnen, die Regierung werde
nach gewonnener Schlacht diesen Standpunk
aufgeben. Dagcgen entspreche cs dem Sinne
der gegebenen Gesetze, wenn die Negierung die
reguläre und friedliche Mitwirkung der Kirche
in der Volksschule dadurch zu gewinnen suche,
daß sie derselben Garantie darür gewährt, daß
die Schulen, welche zugleich religiöse Bildungs-
anstalten sein sollen, nicht ohne Rücksicht auf
die Kirche geleitet werden sollen. Jnnerhalb
der liberalen Partei wollen nun Manche die
Einwirkung der Kirche auf das möglichst ge-
ringe Maß zurückgeführt wissen. Allein nach
dem oben gesagten sei nicht anzunehmen, daß
dies die Ansicht der Majorität der Kammern
und des Volkes sei. Wenn die Curie auf ihrem
schroffen Standpunkt beharrc, könne daS
Regierungsprogramm sich mit der Zeit aller-
dings als unausführbar erweisen. Für einen
constitutionellen Staat, der nicht in des-
potischer Weise Aufklärungspolitik treibe, sei
es in diefem Falle am klügsten, möglichst lange
zurückzuhalten, auf daß die Dinge sich thun-
lichst selbst machen. Auch habe die Negierung
für jetzt nur ihre bisherige Politik treu zu
beobachtcn, und nicht die Aufgabe, ein Pro-
gramm für eine ungewisse künftige Lage der
Dinge zu entwerfen.
O Constanz, 13. Juni. Die heute dahier
eingetroffene Nachricht von der glücklichen Ent-
bindung Jhrer Kön. Hoheit der Frau Groß-
herzogin mit einem Prinzen, ist auch hier sreu-
dig aufgenommen worden. Gott erhalte Mutter
und Kind stets im besten Wohlsein! — Wie
man aus den täglich abgehaltenen öffentlichen
Sitzungen des hiesigcn Kreis- und Hofgerichts
abnehmen kann, so herrscht in der Justizpflege
bei diesem Gerichtshof große Thätigkeit und
es bewährt sich die neue Organisation als
zweckmäßig. Wenn dies in Hinsicht dcr Straf-
rechtspflege schon im Voraus als gewiß ange-
nommen wurde, so stellt es sich nun eben so
sicher in Beziehung auf die Civilrechtspflege
München, 11. Iuni. Nebcr die gestrigc Auf-
führung von Wagner's Tristan und Isolde
der Augsb. Ab.-Ztg. von hier zwei Be-
eingesandt, welche über den mufikalischen
Werth dieses Tonwerks sehr verschieden urtheilen.
Der erne Berichterftatter schreibt beispielsweise über
den ersten Act: „Was uns in Tannhäuser und
Lohengrin angenedm erschicnen, was uns diese
Opern ertraglrch und genießbar gemacht, bas ist
hler uber Bord geworfen. Ohne Sckranken, ohne
Form, erne endlose Kette von Phrasen, tönt das
Klrrrgen und Schmettern fort, bald leise klagend,
bald wabnfinnrg wuthend; die Situation ist stets
mit einer Urbertrelbung und Ueberreizung geschil-
dert, daß wir nle zur Ruhe, nie -um Genuffe
kommen, dre ergrlffenen überschwänglichen Mittel
regen nur auf, dre Composition befriedigt nicht
und versäumt somit die erste und böchstc Pflicht
eines Kunstwerkes. Zudem find bas keine Menschen,
deren Stimmungen solcker Mittel bedürfen, um
gezeichnet zu werben, das sind Ungeheuer, und
ungeheuer ist auch der AuSdruck ihrer Gefühle.
Die Singstimme ist in den meisten Fällen voll-
ständig gleichgiltig, fie ist nicht verwoben mit den
Orchesterstimmen, diese sind nickt durch sie bedingt;
würde sie weggelassen, kein Mensch würde fie ver-
nrisseii. In den abnormsten Intervallen bewegt
fich der Gesang, und vor Allem bewundernSwerth
erscheint das Gedächtniß, das diese Mufik auSwen-
dtg zu lernen im Stande war. Eine schillernde
derc Berickterstatter schreibt: „Wagner hat hier i
Großes geschaffen, und seine Oper läßt fich nicht i
mit den bestehenben vergleichen, es ist eine andere -
Richtung, die er eingeschlagen hat. Dieselbe un- i
tcrscheidet sich dadurch, daß sie beinahe stcts die I
Gefühle klar auSspricht, wobei die Jnstrumentation
als Hintergrund dient, während der Gesang die
Staffage bildet. Ia, es ist ein neuer Weg, den
Richard Wagner zeigt, es ist nicht eine Oper von
Liedern, es ist die Handlung selbst,>die fie wieder-
gibt im reichsten wahrsten Tongemälde. Und diese
neue Richtung wird neben der bisher herrschenden
ihre berecktigte Stcllung für immer bewahren. Es
ist dieses herrliche Tonwerk tiefergreifend und das-
jubeln, zu weinen oder im tiefsten Schmerze
sich aufzulösen. Ia, es sind nicht Melodieen, es
ist bas Leben, es ist das wirkliche Leben, das dieses
herrliche Werk unS vorführt, das diese nie ruhen-
den Töne uns wiedergeben, es ist auch ein wahr-
haft lebendes Blld, das uns jetzt die wogende See,
wie die Brandung toset und bie Welle» stürmen,
dann des Meeres Unendlichkeit, wie es sich unab-
sehbar ausdehnt und Stille herrscht, -eigt, dann
wieder das reizende Murmeln der Quelle, oder
den Zauber der Nacht mit den zartesten Farben
wiedergibt; kurz, es ist eine Fülle, ein Reichthum
in diesem Werke, der entzückt und hinreißt und
uns führt in das schöne Geistesreich des Ideals
vollendeter Tonkunst."
London mit einer Bevölkerung von 3,000,000Ein-
wohnern verwendet für die Polizei 11,390,400 Fr.,
die Stadt Paris mit 1,7«10,000 Scelen 11,830,134
6,40«>!oR/Fr. zu/unterhaltung von 1934 Polizei-
mannfchaften. Es kommt demnach tn PeterSburg
auf 274 Einwohnrr ein Polizei-Sergeant.
Kreisverküiidigungsblatt sür den Kreis Hcidclberg unü aintliches Äcrkiinüigniigsblatt für die Amts- unü AnitS-
Gerichtsbczirkc Heidelberg nnd Wicsloch und dcn Aintsgerichtsbezirk Neckargemünd.
M 1L«
Samstag, 17. Zuni L8GL.
* Politische Umschau.
Jn einem längeren Arlikel Lußerl die „N.
Fr. Ztg.": Jn der schlcswig-holsteinischen Ange-
legenheit wird sich die Entwickelung der ganzen
deutschen Fragc vorschauen und vordeuten lassen.
Es gibt nur zwci Lösungen, nur zwei Endziele.
Entweder geht Deutschland allmälig in Preußen
unter, oder der deulsche Staatenbund wandelt
sich in einen Bundesstaat um. Je länger der
Kampf, den wir erleben, seine Dauer hinspinnt,
je fester Oesterreich am Widerstande gegen das
Borussenthum HLlt, desto besser geftalten sich
die AuSsichten für den Bundesstaat.
Die Hoffnungen, welche an die Reise des
Kaisers Franz Joseph nach Ungarn sich knüpfen,
werden von der liberalen Presse nicht allzuhoch
angeschlagen. Jndessen geben sämmtliche unab-
hängige Blätter zu, daß der Augenblick jetzt
gekommen sei, in dem eine Verständigung von
beiden Seilen mit aller Kraft angestrebt wer-
den müsse.
Oesterreich hat ucuerdings die Forderung
Preußens wegcn Entfernung des Herzogs Frie-
, drich von Augustenburg aus den Herzogthümern
Schleswig-Holstein abgelehnt.
Der von der> Regierung zu wiederholten
Malen nicht bestätigte Stadtkämmerer Hagen'
in Berlin wurde mit 66 von 76 Stimmen
wieder zum Oberbürgermeister gewählt.
Die englischen Blätter besprechen sämmtlich
alle mit Ernst und Eifer die Berliner Duell-
frage; kein einziges derselben läßt sich beikom-
men, das Auftreten des Hrn. v. Bismarck zu
rechtfcrtigen.
Bei der Deputirtenwahl im Marne-Departe-
ment wurde der Candidat der liberalen Partei
mit 17,177 Stimmen gewählt; der Regierungs-
candidat erhielt 12,719 Sümmcn.
Nach Berichten aus Madrid wurde in Va-
lencia eine Militärverschwörung entdeckt zum
Sturz der regierenden Dynastie; der Oberst
und drei höhere Officiere des Negiments Bour-
bon und ein höherer Officier dcs Provinzial-
regiments von Valencia wurden verhaftet; diese
Maßregeln genügten, um den Ausbruch einer
Bewegung zu vcrhindern.
Der „Moniteur" stellt die Gerüchtc in Ab-
rede, denen zufolge Verstärkungen nach Mexiko
geschickt werden sollen. Man schicke nur die-
jenige Zahl von Truppen dahin, welche nöthig
sei, um die am 31. December zu entlassenden
Mannschaften zu ersetzen. Es handle sich also
um die Aufrechthaltung, und nicht um die Ver-
mehrung des regelmäßigen Effectivbestandes des
Expeditionscorps.
Das „Pays" meldet, daß der Militärauf-
stand itt der Negerrepublik Haiti, an dessen
Spitze der Oberst Salnave stand, ein schnelles
Ende gefunden. Der Präsident Gcffrad schlug
die Empörer auf's Haupt. Zwei Bataillone
reichten dazu aus.
Briefe aus Tiflis vom 17. Mai melden cine
große Niederlage der Russen in Chokand. Bei
dem Versuche die Stadt Taschkend einzunehmen,
wurden sie mit großem Verluste zurückgeschla-
gen. Die Truppen von Chokand verloren gegen
1000 Mann an Todtcn und Verwundeten, wäh-
rend der Verlust der Russen auf das Vierfache
dieser Zahl angegeben wird.
D e u t s ch l a n d
Heidelberg, 15. Juni. (Schluß.) Da-
gegen habe cs innerhalb der liberalen Partei
nicht an Stimmen gesehlt, die eine andere Or-
ganisation des Volksschulwesens wünschten
(Communalschulen). Jn der Reihc dieser Män-
ner, welche die Kirche ganz von der Schule
entfernt wissen wollten, werden die eventuellen
Gegner der Regierung zu suchen sein. Jn die-
sem Sinne stünde aber ebenfalls ein Minister-
wechsel zur Zeit nicht bevor, da diese Stimmen
in jener Richtung nur vereinzelt in der Kam-
mer hervorgetreten seien, und das Ministerium
bisher in der Kammermajorität die Zustim-
mung des von ihm eingehaltenen Verfahrens
gefunden habe. Ohnehin habe die entschiedene
Fortschritts-Fraction bis jetzt keinen bestimmten
Gegenantrag formulirt, so daß es nicht ein-
mal gewiß sei, ob dieselbe die Regierung ver-
lasscn und unter einem neuen Programm Oppo-
sition gegen dieselbe machen wolle. Auch habe
es allen Anschein, daß cin solches, bisher nur
in Andeutungen vertretenes Programm auf dem
künstigeu Landtage, wenn man eine ernstliche
Opposition unternehmen wolle, nicht einmal
eine Majorität für sich gewinnen werde. Offen-
bar wolle die eminente Mehrheit der Bevöl-
kerung die confessionelle Volksschule mit obliga-
torischem Religionsunterrichte erhalten wissen.
Dicse sei aber nur unter Mitwirkung dcr Kirche
möglich, woraus sich 'von selbst die Consequenz
ergebe, daß die Kirche nicht geradezu ignorirt
werden dürfe. Auch der Kirche sei auf ihrem
Gebiete, wohin auch der Rcligionsunterricht
gchört, volle Selbstständigkeit zugestanden wor-
den; dagegen habe der Staat nun auf seinem
eigenen Gebiete nur um so fester und selbst-
ständiger zu stehen, woraus sich die Anwen-
dung auf die Schulsrage von selbst ergebe.
Nur die Verblendung der ultramontanen Partei
habc dazu gehört, diesen Standpunkt zu ver-
kennen und zu wähnen, die Regierung werde
nach gewonnener Schlacht diesen Standpunk
aufgeben. Dagcgen entspreche cs dem Sinne
der gegebenen Gesetze, wenn die Negierung die
reguläre und friedliche Mitwirkung der Kirche
in der Volksschule dadurch zu gewinnen suche,
daß sie derselben Garantie darür gewährt, daß
die Schulen, welche zugleich religiöse Bildungs-
anstalten sein sollen, nicht ohne Rücksicht auf
die Kirche geleitet werden sollen. Jnnerhalb
der liberalen Partei wollen nun Manche die
Einwirkung der Kirche auf das möglichst ge-
ringe Maß zurückgeführt wissen. Allein nach
dem oben gesagten sei nicht anzunehmen, daß
dies die Ansicht der Majorität der Kammern
und des Volkes sei. Wenn die Curie auf ihrem
schroffen Standpunkt beharrc, könne daS
Regierungsprogramm sich mit der Zeit aller-
dings als unausführbar erweisen. Für einen
constitutionellen Staat, der nicht in des-
potischer Weise Aufklärungspolitik treibe, sei
es in diefem Falle am klügsten, möglichst lange
zurückzuhalten, auf daß die Dinge sich thun-
lichst selbst machen. Auch habe die Negierung
für jetzt nur ihre bisherige Politik treu zu
beobachtcn, und nicht die Aufgabe, ein Pro-
gramm für eine ungewisse künftige Lage der
Dinge zu entwerfen.
O Constanz, 13. Juni. Die heute dahier
eingetroffene Nachricht von der glücklichen Ent-
bindung Jhrer Kön. Hoheit der Frau Groß-
herzogin mit einem Prinzen, ist auch hier sreu-
dig aufgenommen worden. Gott erhalte Mutter
und Kind stets im besten Wohlsein! — Wie
man aus den täglich abgehaltenen öffentlichen
Sitzungen des hiesigcn Kreis- und Hofgerichts
abnehmen kann, so herrscht in der Justizpflege
bei diesem Gerichtshof große Thätigkeit und
es bewährt sich die neue Organisation als
zweckmäßig. Wenn dies in Hinsicht dcr Straf-
rechtspflege schon im Voraus als gewiß ange-
nommen wurde, so stellt es sich nun eben so
sicher in Beziehung auf die Civilrechtspflege
München, 11. Iuni. Nebcr die gestrigc Auf-
führung von Wagner's Tristan und Isolde
der Augsb. Ab.-Ztg. von hier zwei Be-
eingesandt, welche über den mufikalischen
Werth dieses Tonwerks sehr verschieden urtheilen.
Der erne Berichterftatter schreibt beispielsweise über
den ersten Act: „Was uns in Tannhäuser und
Lohengrin angenedm erschicnen, was uns diese
Opern ertraglrch und genießbar gemacht, bas ist
hler uber Bord geworfen. Ohne Sckranken, ohne
Form, erne endlose Kette von Phrasen, tönt das
Klrrrgen und Schmettern fort, bald leise klagend,
bald wabnfinnrg wuthend; die Situation ist stets
mit einer Urbertrelbung und Ueberreizung geschil-
dert, daß wir nle zur Ruhe, nie -um Genuffe
kommen, dre ergrlffenen überschwänglichen Mittel
regen nur auf, dre Composition befriedigt nicht
und versäumt somit die erste und böchstc Pflicht
eines Kunstwerkes. Zudem find bas keine Menschen,
deren Stimmungen solcker Mittel bedürfen, um
gezeichnet zu werben, das sind Ungeheuer, und
ungeheuer ist auch der AuSdruck ihrer Gefühle.
Die Singstimme ist in den meisten Fällen voll-
ständig gleichgiltig, fie ist nicht verwoben mit den
Orchesterstimmen, diese sind nickt durch sie bedingt;
würde sie weggelassen, kein Mensch würde fie ver-
nrisseii. In den abnormsten Intervallen bewegt
fich der Gesang, und vor Allem bewundernSwerth
erscheint das Gedächtniß, das diese Mufik auSwen-
dtg zu lernen im Stande war. Eine schillernde
derc Berickterstatter schreibt: „Wagner hat hier i
Großes geschaffen, und seine Oper läßt fich nicht i
mit den bestehenben vergleichen, es ist eine andere -
Richtung, die er eingeschlagen hat. Dieselbe un- i
tcrscheidet sich dadurch, daß sie beinahe stcts die I
Gefühle klar auSspricht, wobei die Jnstrumentation
als Hintergrund dient, während der Gesang die
Staffage bildet. Ia, es ist ein neuer Weg, den
Richard Wagner zeigt, es ist nicht eine Oper von
Liedern, es ist die Handlung selbst,>die fie wieder-
gibt im reichsten wahrsten Tongemälde. Und diese
neue Richtung wird neben der bisher herrschenden
ihre berecktigte Stcllung für immer bewahren. Es
ist dieses herrliche Tonwerk tiefergreifend und das-
jubeln, zu weinen oder im tiefsten Schmerze
sich aufzulösen. Ia, es sind nicht Melodieen, es
ist bas Leben, es ist das wirkliche Leben, das dieses
herrliche Werk unS vorführt, das diese nie ruhen-
den Töne uns wiedergeben, es ist auch ein wahr-
haft lebendes Blld, das uns jetzt die wogende See,
wie die Brandung toset und bie Welle» stürmen,
dann des Meeres Unendlichkeit, wie es sich unab-
sehbar ausdehnt und Stille herrscht, -eigt, dann
wieder das reizende Murmeln der Quelle, oder
den Zauber der Nacht mit den zartesten Farben
wiedergibt; kurz, es ist eine Fülle, ein Reichthum
in diesem Werke, der entzückt und hinreißt und
uns führt in das schöne Geistesreich des Ideals
vollendeter Tonkunst."
London mit einer Bevölkerung von 3,000,000Ein-
wohnern verwendet für die Polizei 11,390,400 Fr.,
die Stadt Paris mit 1,7«10,000 Scelen 11,830,134
6,40«>!oR/Fr. zu/unterhaltung von 1934 Polizei-
mannfchaften. Es kommt demnach tn PeterSburg
auf 274 Einwohnrr ein Polizei-Sergeant.