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Heidelberger Zeitung — 1865 (Januar bis Juni)

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Nr. 127-151 Juni
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Uridrlbi'rgtr Irilmig.

KreisvcMiidigungSblatt für den Kreis Hcidelberg und amtliches Berkünüigungsblatt für die Amts- und Aints-
Gerichtsbczirke Heidclbcrg und Wicsloch und den Auitsgerichtsbezirk Neckargemünd.

Rr 13S


Sonntag, 11 Zuni


L8«S.

* Politische Umschan.

* Ein wichtlges Tagesereigniß ist die in
Folge der Reise des Kaiscrs von Oesterreich
nach Ungarn angebahnte Versöhnung und Aus-
gleichung, welche für beide Länder, die durch
w.ehrhundertjährige Geschichte zusammengehören,
gleichmäßig eine Lebensfrage ist. — Das ftier-
liche Wort, welches der Kaiser in der Burg
zu Ofcn ausgesprochen hat, mag als Bürge
gelten, daß diesmal ein ernftlicher Weg einge-
schlagen werde, der zu dem gewünschten Aus^
gleiche mit Ungarn führen wird. Wenn auch
der Empfang, der dem Kaiser in deu ungari-
schen Hauptstädten zu Theil geworden ist —
ein Empfang von geschichtlicher Bedeutung —
nicht blind machen darf gegen die außerordent-
lichen Schwierigkeiten, die sich einer vollstän-
- digen Lösung der ungarischen Frage entgegen-
stellen, wenn man auch auf ernste Anstände,
auf schwere Hemmungen gefaßt sein muß, so
verzweifelt man diesmal, nach Allem, was man
hört, in Wien keineswegs am Erfolge, einem
Erfolge, der unter UmstAnden den Neubau der
öfterreichischcn Monarchie in sich schließt. Hie-
zu ist vor Allem die Einberufung des ungari-
schen LandtagS nothwendig, durch den allein
das ungarische Volk in legaler Weise seine
Beschlüsse fassen kann. Zndem bilden das freie
Wort, die parlamentarische Debatte ein gewich-
tiges Mittel, welches die schwersten Zerwürf-
nissc zu heilen vermag. Was überdics der
jetzigen Stimmung in Ungarn einen Werth gibt,
ist, daß ste nicht die Frucht einer momentanen
Wallung ist, sondcrn der lange verhaltene Durch-
bruch ciues Gefühls, das sich nach Friede, nach
Einigkeit, nach allen Völkern der östcrreichischen
Monarchie gemeinsamer Ruhe und Machtstel-
lung sehnt.

Jn Madrid ist ein französischer Gesandt-
schaftsattachc von einer Frau ermordet worden.

„Star" meldet, Lord Palmerston habe in
eincm Brief an Frau Cobden derselben eine
lebenslängliche Pension von 1500 Pfd. Sterl.
(18,000 fl.) angeboten. Frau Cobden hat das
Anerbieten dankend abgelehnt.

Die Arbeitseinstellungen haben in Frankreich
abgenommen. Zn vielen Fällen haben die Ar-
beiter ihre Forderungen ganz oder theilweise
durchgesctzt, bei den meisten hat man sich auf
gütliche Weise vcrständigt. Die Regierung hat
iene durchgehends sehr verständige und prak-

tische Haltung beobachtet. Jn fLille sind die
verschiedeuen Gewerbe officiös ersucht worden,
ihre Neclamationen den Behörden mitzutheilen,
ehe sie zu einer thatsächlichen Arbeitseinstellung
schreiten würden; die Behörden seien jederzeit
bereit, die Bildung von Schiedsgerichten, be-
stchend aus Arbeitern und Arbeitgebern, zu för-
dern. Das klingt ganz anders als die Ver-
suche deutscher Polizeiverwaltungen, den Striks
durch Ausweisungen oder directe Einmischung
in die Lohnverhältnisse ein Ende zu machen.

Der türkische Marincminister Vessim Pascha
ist durch den Pascha von Tophana, Halil Pascha,
ersetzt worden; in Konstantinopel sind verschie-
dene Gerüchte über den Fall dicses beim Sultan
persönlich beliebten Ministers in Umlauf. Die-
selben sind aber, wie dcr „Allg. Ztg." geschrie-
ben wird, nicht begründet.

D e u t s eh l a n d

Karlsruhe, 7. Zuni. Der Staatsminister
der Zustiz und der Präsident des Ministeriums
dcs Jnnern sind seit einigen Tagen von hier
abwesend, und die Schulfrage befleißigt sich
offenbar einer kleinen Pause. Thatsache ist,
daß 1>ie Schnlprüfungen jetzt fast durchweg mit
großer Ordnung und günstigen Ergebnissen
vor sich gehen und der Versuch, den evangel.
Kreis- oder Obcrschulrath auf den katholischen
Landorten unmöglich zu machen, darf als voll-
kommen gescheitcrt bezeichnet werden. Vor allen
Dingen hal der staatliche Prüsungscommissär
die Neligionsprüfung gar nicht vorzunehmcn,
indem für diese ein besonderer erzbischöfl. Be-
amter aufgestellt ist. Dann liegt es aber auch
auf flachcr Hand, daß der protestautische Prü-
fungscommissär weit schonender und nach allen
Seitcn hin rücksichtSvoll in die kathol. Volks-
schule eintritt, um den Leuten jeden Vorwand
der Klage zu benehmen. Das mcrken die Leute
auf dem Land auch sehr bald, und es ist vor-
gekommon, daß sie dem Commissär einen förm-
lich fcstlichen Empfang bereiteten. Auf die poli-
tische Seite dieser Erscheinung zu Gunsten der
Regierung wollen wir hier gar kein Gewicht
legen. Aber eine Genugthuung ist es für den
gcsunden Menschenvcrstand und für die sittli-
chen Anschauungen unserer Zeit, daß es nicht
gelungen ist, unter der MaSke der Gottgefäl-
ligkeit den Confessionshaß wieder bei uns ein-
zuführen.

Berlin, 8. Juni. Das Abgeordnetenhaus
trat heute in die Bcrathung des Militäretats
cin und hat dasselbe alle Anträge der Com-
mission auf Sireichung der Kosten für die Hee-^
resreorganisation angenommen. — Die noch
schwebende Angelegenheit zwischen Bismarck und
Virchow gab Anlaß zu Erörterungen, in wel-
chen der Kriegsminister sagte, wenn das HauS
dem Abg. Virchow verbiete, dem Min. v. Bis-
marck Satisfaction zu geben, so übcrschreite eS
seine Befugniß. Das Haus theilte jedoch die
Ansicht des Präsidenten Grabow und des Abg.
Forckenbeck, die sich gegen ein Duell erklären.
Der Präsident hofft, der Abg. Virchow werde
sich, was die Wahrung seiner Redefreihcit an-
belauge, den Gesctzen des Hauses unterwerfeu.
Der Abg. Löwc sagt, die Sache sei durch den
Ausspruch des Präsidenten erledigt. Die Hef-
tigkeiten wären nie vorgefallen, hätten wir ein
Minister-Verantwortlichkeitsgesetz. Die Minister
mögcn Rechtsboden schaffen, dann brauchcn sie
nicht extra munvs erst suchen. Wir wollen
nichts, als das.

Berlin, 8. Juni. Die Nordd. Ztg. theilt
eine Circulardepesche BismarckS vom 31. Mai
an die Zollvereinsregierungen betreffs der Han-
desverhältnissel zu Jtalien und bezüglich der
damit zusammenhängenden Anerkennungsfrage,
mit. Nach dem Austausch der vorläufigen An-
sichten Preußens und Jtaliens, hat Ztalicn als
Form für das zu treffcnde Abkommen, die.
Form des Handelsvertrags mit dem Zollverein
als allein annehmbar bezeichnet. Auf dcn Vor-
schlag, durch eiu zu vereinbarendeS Protokoll
einen lVIv6u8 viven6i herzustellen^ ist dassclbe
nicht eingegangeu. Ztalien hält eS mit seiner
Würde und der Stellung im eigenen Laude
unvereinbar, ein Abkommen in anderer Form
abzuschließcn, als dasjenige mit Frankrcich und
England. Die italienische Negierung weist dar-
auf hin, daß das Parlament ein Abkommen
mit denjenigen Staaten nicht genehmigen würde,
die Jtalien nicht anerkennen, aber Vortheil aus
ihm ziehen wollten. Die Bedeutung und Wich-
tigkeit der Handelsbeziehungen des Zollvereins
zu Jtalien seien unverkennbar, eine sorgsame
Erwägung der Sache daher für dringend noth-
wendig gehalten. Die Nordd. Ztg. theilt ferner
die österreichische Antwort vom 1. Zuni auf
die preußische Depesche mit. Oesterreich geht
auf den Vorschlag, die nach dem Wahlgesetz
von 1854 gewählten Stände von 1860 zusam-

Deutsches Turnsest in Paris.

Die Beurtheilung, wclche die deutschen Turner
in den Pariser Blattern gefunden haben, ist eine
durchwegs günstige. Auch das in 200,000 Erem-
plaren verbreitete „Petit Iournal" hat den deut-
schen Gästen eine herzliche Huldigung entgegrn-
gebracht. Herr Timothse Trimm hat seine Bewun-
derung dcn Sängern wie den Turnrrn in warmen
Ausdrücken ausgesprochen. Ncben den Turnübungen
ist es das Trinkhorn gewcsen, welches dte besondere
Aufmerksamkeit des Pariser Iournalisten erregt.
„Das Pariser Publikum", so schxeibt er, „wunderte
sich über die Art, wie die Kinder Deutschlands sich
erfrischten. .. nach alter Sitte. Sie trinken auS
einem ungeheuren Horne, das Einer dem Andern
reicht. Nicht als ob es in Paris weniger Gläser
gäbe als in Berlin oder Wien. Aber diese Zinkes!),
dieses Horn, dieser ungeheure Schlanch ist als Ersatz
für die Trinkschale seit langer Zeit bei den Su-t
denten von Hcidelberg, Bonn, Iena oder Göttin-
gen in Mode. Es ist ein Zeichen der Einigung.
Man erblickt in diesem Geräthe ein Sinnbild der
Verbindung ünd der Verbrüderung." Am Schlusse

ihrer wunderbaren Anstalt, ihrer bemerkenswerthen
Disciplin, ihren begeisterten und patriotischen Ge-
sängen. NöthigenfaUs würde ich mich glücklich

Bayerns oder Münchens aus ihrem Riesenhorne,
jener Amphora der Brüderlichkeit, zu schöpfen."

kerung der Stadt London entnebmen wir folgende
interessante Notizcn. In der Woche vom 23. bis
30. April wurden in London geboren 2205 Kinder,
nämlick IIIO Knaben und 1065 Mädchen. In den
entsprechenden Zeitabschnitten der letzten zehn Iahre
war die Durchschnittszahl der Geburten 2013. Die
Todesfälle in demselben Zeitraum betragen 1344,
und die Durchschnittszahl der Todesfälle für bie-
selbe Woche der letzten zehn Iabre isr 1332. Lon-
don ist demnach noch immer im Wachfen begriffen.
ES werden nach obigen Angaben stündlich 13 Kin-
der geboren — alle fünf Minuten einS. Dagegen

sterben dort stündlich 8 Menschen — alle 7*/r Mi-
nuten einer. London wächst mithin stündlich um
5 Menschen, und danach jährlich um 43,800 Ein-
wobner, außer den neu Zuziehenden. Das Sterb-
lichkeits-Verhältniß in London ist ein ziemlich gün-
stiges; es starben dort nur 23 pro mUIe. Bei dem
maritimen Clima, dem ewigen Nebel und den nie
unterbrochenen Ausdünstungen der hunderttausend
Fabriken könnte uns dies überaus günstige Ver-
hältniß Wunder nehmen, wenn wir nicht anderer-
ftits wüßten, daß London kein Opfer scheut, seinen
Einwohnern ErholungSorte mit reiner Luft ohne
Staub (wie Berlin) zu schaffen. Die große Zahl
öffentkicher Parks und Gärten, die einzig zur Be-
nutzung des Publikums bestimmt sind, werden von
riner ftrengen Eommission in stetS genießbarem
Zustande erhalten. Freilich hat diese Commission
für die Untrrhaltung dcr Gärten vom März 1864
biS dahin 1865 die Summe von 90,089 Pfund
Sterling, d. h. 600,612 Thlr. verwendet. Aber
London billigt diese Ausgabe und denkt, die Ge-
sundheit der Einwohner bringt es wieder.
 
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