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Heidelberger Zeitung — 1865 (Januar bis Juni)

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Nr. 127-151 Juni
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Httdrlberger Zeilmig.

Kreisverküudiguilgöblatt für dcn Kreis Hcidelberg und a:ntlichcs Berkündigungsblatt für die AmtS- nnd Anits-
Gerichtsbczirkc Heidelbcrg und WicSloch und ücn AmtSgerichtsbezirk Neckargemünü.

d!" Samstag, 24- Iuni 188»>»

* Politischi- Umschau.

* Die Waterloofeier hat nirgends in Deutsch-
land,außerinHannover u. Braunschweig,
den Charakter eines Volksfestcs angenommen.
Jn Nassau (Wiesbaden) beschrankte sie sich
aus eine rein militarische Feier (bekanntlich
waren es 20,000 Hannoveraner, 7000 Braun^
schweiger und 7000 Nassaucr, meistens junge
Truppen, die neben der englischen Garde, den
schottischen Hochlandern u. sonstigcn Veteranen
Wellington's aus dem spanischen Kriege auf
den Höhen bei Waterloo wacker mitfochten,
und den gewaltigen Anprall der französischen
Kerntruppen standhaft aushielten). Das preu-
ßische Volk, welchcS die größte Aufforderung
hatte, dem heißen Schlachttage vom 18. Juni
1815 und seinen Streitern den Zoll dankbarer
Erinnerung darzubringen, mußte fürchten, daß
die Organe dcr gegenwartigen Regierungspartei
stch eincn solchen mit gewohnter Verdrehungs-
kunst angerechnet hätten. Zudem darf man von
dem preußischen Volke jetzt keine Feststimmung
erwarlen! Nur in einigen prcußischcn Städten,
z. B. Magdeburg, haben Volksversammlungen
stattgefunden, in denen in ernster Weise des
Kampfes von Belle - Alliance gcdacht, und die
gegenwärtige Lage des Landes besprochen wur-
de. Eine officielle Feier mußte in Preußen
selbstverständlich schon unterbleiben, wcgen der
Bemühungen des Hrn. v. Bismarck, die Bun-
desgenossenschaft Frankreichs für seine schles-
wig-holstein'fchen Gelüste zu gewinnen, weshalb
jede unangenehme Berührung Napoleons HI.
vermieden werden solltc. Auch stcllen in den
Augen der jetzt herrschenden Partei die Gefechte
von Missunde und Düppel die Niesenschlacht
von Waterloo tief in den Schatten! — Eine
Erinnerung an die für die preußischen Waffen
so ruhmreichen Tage vom Juni 1815 wurde
deshalb nur einigermaßen durch zahlreiche Avan-
cements in der Armee geweckt.

Der Temps äußert sich folgendermaßen über
die Thronrede des Hrn. v. Bismarck: „Diese
Rede wäre als der Gipfel deö insolenten Un-
stnns zu beurtheilen, wenn Hr. v. Bismarck
uns nicht längst an alle constitutionellen Ketze-
reien gewöhnt hätte. Unter dem Vorwande,
daß Parlament und 'Krone den gleichen Weg
zusammengehen müssen, stellt Herr v. Bismarck
die Krone als allein berechtigt dar und ver-
weigert es dem Parlament einen Willen zu

haben. Er wirft den Vertretern vor, sich Rechte
aneignen zu wollcn^ dic ihnen nicht zustehen,
während sie einsach nur von einem unbestreit-
baren Rechte Gebrauch machten, nämlich Ge-
setzvorschläge zurückzuweisen und das Budget
abzuändern. Jn einem solchen Fall ist das
einzige Recht eines Ministeriums, das solche
Gesetzvorschläge eingebracht hat, das Recht seinen
Abschied zu nehmen. Aehnlich drückt sich das
„Avenir national" aus. Die „Opinion natio-
nale" glaubt nicht, daß ein König aus der
altcn Zeit jemals das Pariser Parlament mit
so viel Jnsolenz behandelt hätte, als Herr
v. Bismarck die rechtmäßigen Vcrtreter des
preußischen Volks."

Ein der N.F. Z. angebl. aus sehr guter Quelle
zugekommener Brief von Berlin 21. Juni Lußert
sich über entschiedene, dem Abgeordnetenhause
gegenüber zu trcffcnde Maßrdgeln, solgender-
maßen: „Die Umgebung dcs Königs hält ihn
so belagert, daß cr von dem eigentlichen Zu-
stand des Landes nichts erfährt. Daraus baut
das Ministerium sein weiteres Verfahren. Es
ist der Abgeordneten los, und wird die Zeit
bis znm nächsten Zusammentritt des Landtags
zu Maßregelungen schroffster Art benutzen, die
Presse noch mehr als bisher knebeln, und unter
dem Druck der allgemeinen Einschüchterung
neue Wahlcn ausschreiben. Versassung und
Wahlgesetz werden nicht geändert, weil der Kö-
nig sich von seiner Abneigung gegen solche
Eidbrüche nicht abbringen läßt. Aber eine Haus-
und Geschäftsordnung wlll man octroyiren,
weil man es dahin gebracht hat, daß dieses
nicht für Vcrfassungsbruch gehalten wird. Und
zwar so: das Ministerium ernennt den Präsi-
denten des Hauscs; die Oeffentlichkeit wird
zwar nicht aufgehoben, aber bis auf's Aeußerste
beschränkt, so daß sie in Wirklichkeit wegfällt;
die Protocolle werden ausschließlich durch das
Präsidium redigirt, und es darf über die Kam-
mersitzungen kein Bericht außer diesen amtlichen
Protocollen gedruckt werden."

Der „Volkszeitung" wird geschrieben: Das
Unglaubliche ist geschchen, der Magistrat der
Stadt Nostock hat in der Nationalvereins-Ange-
legenheil nachgegcben und damit das Ansehen
seiner Urtheilssprüche sür alle Zeiten vernichtet.

Die würtemb. Abgeordnetenkammer hat in
ihrer Sitzung vom 21. Juni die Staatsver-
träge mit Baden und Preußen wegen der Eisen-
bahnanschlüsse einstimmig genehmigt.

Die Sitzungen der französischen Kammern
sind bis zum 8. Juli verlängert. Der Kaiser
verlangt die Erledigung aller vorgelegten Ge-
setzentwürse.

Die „Patrie" meldet einen neuen Sieg der
Franzosen in Mexico, bei Sinaloa, in der Nähe
von Mazatlan.

Die Verhandlungen zwischen Victor Emanuel
und Vegezzi sind gescheilcrt, weil die Bedin-
gungen, welche die italienische Negierung als
Gebot der cigenen Ehre aufstcllen mußte, zurück-
gewiesen wurden, weil im Nathe des Papstes
über dessen anfänglich, wie es scheint, ausrichtig
und loyal gemeinte Jntentionen die Jcsuiten-
partei den Sieg davoutrug. Vegezzi mußte seine
Mission abbrechen, als die Curie darauf be-
stand, zwischen den Bischöfen der vormals römi-
schen Provinzen und zwischen denen der übrigen
Provinzen zu unserscheiden und die erstcren
von dem Eid der Treue gegen das Staatsober-
haupt auszunehmen. Ohne Bedenken gab die
päpstliche Curie zwar die Rechte des Königs
von Neapel, des Großherzogs von Toscana
und der andern entthronten Fürsten preis,
aber ein anderes war es natürlich mit ihrem
eigenen ehemaligen Besitze. So vereitelte welt-
liche Herrschsucht das eingeleitete Versöhnungs-
werk, und das Leben Pius' IX., des Samuel,
dem das Volk den Saul vorgezogen hat, ist
um eine Enttäuschung reicher.

Aus Newyork wird berichtet, daß in den Nord-
staaten der Union cine protestantische National-
ligue in der Bildung begriffen ist, zu dem
Zwecke, dem Umsichgreifen des Papismus in
diesem Lande entgegenzustreben.

Deutschland

Berlin, 21. Juni. Der König ist heute
Morgen nach Karlsbad abgereist. Der Mini-
sterpräsident wird sich am Sonnabend dahin
begebcn.

Berlin, 21. Juni. Die „Provinzialcor-
respondenz" sagt: „Die Wirksamkeit des Land-
tages war geradezu verderblich. Der Landtag
ist immer mehr eine Quelle von Gefahren für
die öffentliche Wohlfahrt gcworden. Die Re-
gierung wird sich der Verpflichtung nicht ent-
ziehen können, jenen Gefahren wirksam vorzu-
bengen. Man darf annehmen, daß Hrn v. Bodel-
schwingh's Erklärung im Herrenhause ben Weg
vorgezeichnet hat, welchen die Staatsregierung

Das Cabinet des ersten Napoleon.

Wir verdanken dem General St. Hilaire interes-
sante Mittheilungen über das geheime Cabinet des
ersten Napoleons, denen FolgendeS entnommen tst.

„Könntest Du mir nicht," fragte einst Napoleon
seinen Bruder Joseph, „Jemanden überlaffen, der
geeignet wäre, in meinem Cabinet zu arbeiten?
Er darf weder ein Faullenzer noch ein Schwätzer
sein."

„Jch wüßte in der That Niemanden der Art,"
war Ioseph's Antwort. „Doch," fuhr er fort,
„habe ich zu Marfortaine einen jungen Mann,
drr mir mcine Bibliothek brsorgt. Ich kenne ibn
nur wenig, aber er scheint verständig. ist sehr sanft
und bescheiden und schreibt dabei eine sehr schöne
Hand."

„Ein junger Mensch, sagst du, wie heißt er?"

„Gewußt habe ich seinen Namen, doch ich ver-
gaß ihn wieder."

„Tbut nichtS! Ich will ihn gleich holen lassrn.
Jch will ihn seben."

Dcr erste Consul läßt Duroc rufen, und ein
junger Officier ber Garde erhielt den Auftrag, in

sei? „Das nicht! Abcr ich bin sehr hungrig!"

„Wie, Sie sind hungrig?"

,Ia! denn ich hatte heute früh, als ich geholt
ward, nichl gefrühstückt und zu Mittag gegessen
hahr ich auch nicht."

„Warum sagten Sie bas nicht?"

„Jch scheute mick!"

Bouriennc ließ ihm hierauf AlleS geben, waS
er nötbig hatte, und berichtete eS dcm Kaiser.

Dirse Brscheidenheit gefirl Napoleon. Er ver-
anlaßte von Zeit zu Zeit seinen Schützling zu

Mann war Herr von Menneval!

Man mußte im Cabinet Tag und Nacht arbei-
^ ten und fich ganz von der Welt zurückziehen. Selten
! nur gestattete Napoleon einem der Secretäre sich
,! zu entfernen.

Morgens, wenn er angekleidet war, im Sommer
um fünf, im Winter nj§ nach fieben Uhr, begab
er sick in sein Cabinet, und da mußte Iedermann
auf seinrm Posten sein.

Es ftanden in diesem Cabinet drei Tische. Ein
schöner, altrr Schreibtisch, welcher von Ludwig XIV.

! herstammte, war mitten im Zimmer für Napoleon
bestimmt, dic Rücklehne des Seffels dem Kamine,
daS Gesicht drm Fenster zugewendet. Links nebrn
dem Kamine befand sick ein Cabinct, wo immer
der Gehilfe des Herrn von Menneval sich aufhielt,
und von diesem kam man zum Burraudiener. Wenn
der Kaiser in seinem großen Stuhle saß, an deffen
Lehne er strts mit dem Fetermrffer schnitzrlte, hatte
er fich gegenüber zur Rechten eine große Bücherstelle
 
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