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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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Valentin, Veit: Die Formsymbolik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4970#0009

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Die Formsymbolik.

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benutzen liebt. Jch kann z. B. von dem gefährlich
überhängenden Erker eines Hauses träumen, weil mir
der Kopf an der Seite des Beltes herunterhängt. Bei
Gesichtsreizen wählt sich der Traum vorzüglich das
Dachgebälk des Hauses, um das Faserwerk der erregten
Netzhaut darzustellen. Jst der Reiz sehr stark, so kann
die Borstellung hinzutreten, daß das Gebälk brenne.
Jch träume, ich sei in einem Zimmer, dessen ganze
Decke mit Spinnweben bedeckt ist; auf der einen Seite
derselben rechter Hand schießen scheußliche dickbäuchige
Spinnen herum — und ich erwache an Kopfweh, mit
cinseitigcm Stechen an der rechtcn obercn Schädelpartie"
(S. 13X Hängen die Traumvorstellungen wirklich in
dieser Weise von körperlichen Zuständen ab und wieder-
holen sie sich nachweisbar in regelmäßiger Weise, was
aber doch wohl nur in bestimmten Kreisen von Men-
schen mit einigermaßen gleichen äußeren Lebensverhält-
nissen und verwandter Bildungsstufe geschehen kann, so !
ist mit dieser Regelmäßigkeit und ihr zu Grunde liegend
ein Causalzusammenhang da, welcher jede individuelle!
Willkür ausschließt und mit Nothwendigkeit wirkt. Der
Verfasser bezeichnet diesen Vorgang als „Symboli-
siren" (S. 13). Iedes Symbolisiren ist aber nach der
Wortbedeutung, sowie nach dem gültigen Sprachgebrauch
eine durchaus subjektiveThätigkeit, welche ihreBerechtigung !
für die Herstellüng einer in der Erscheinung eines Ob-
jektes sachlich nicht mit Nothwendigkeit begründeten und
somit willkürlich auf dasselbe übertragenenBedeutung durch-
aus nur aus dem Subjekte hernimmt, weshalb denn
auch häufig ein und dasselbe Objekt als Symbolum für
höchst verschiedene Vorstellungen gebraucht wird. Ist
aber jenes gesetzmäßige Verfahren des Traumes kein
Symbolisiren, weil es keine willkürliche Thätigkeit ist,
so fällt von selbst die ihm cntnommene Analogie mit
dem im Wachsein vor sich gehenden wirklichen Symbo-
lisiren, welches eine willkürliche Thätigkeit ist. Oder
aber das Traumverfahren ist ein wirkliches Symbo-
lisiren: dann ist die gesetzmäßige Wiederholung
jener Uebertragung der „Subjektsvorstellung" in die
„Objektsvorstellung" nicht vorhanden. Mit ihrer Ge-
setzmäßigkeit verliert aber die Traumvorstellung ihren
Werth für den Schluß auf das Verfahren im Wach-
sein, da sie dann wie dieses willkürlich ist, und da
gerade die Nothwendigkeit im Verfahren des Wachseins
aus der Nothwendigkeit des Traumverfahrens bewiesen
werden sollte. Denn der Verfasser schließt nun

weiter: „Neben all' den bestimmleren Abstraktionen
giebt es einen Zustand reiner Versunkenheit, wobei
man sich diese oder jene Erscheinung nach dem
jeweiligen unbewußten Bedürfniß einer Vertretung des
Körper-Jchs einbildet. Ganz wie im Traumleben
markire ich mir auf bloße Nervenseusationen hin eine
feste Form, die meinen Körper, dieses oder jenes be-

troffene Organ bedeutet" (S. 15). Alles wird sonnt
zum Bilde nicht etwa der Seele, sondern geradezu des
Körpers, denn „die Art nun, wie sich die Erscheinung
aufbaut, wird zu einer Analogie meines eignen Aufbaus
(S. 15). Da sollte man denn erwarten, daß die For-
men des Objektes verschwänoen und dieses meine eigenen
annähme. Aber nein — „ich hülle mich in die Gren-
zen derselben (der Erscheinung) wie in ein Kleid" (S. 15)-
Aber da nun die Formen doch ein Symbol der betref-
fenden körperlichen Nervensensation sein sollen, darf ich
mir sie etwa selbst wählen? Keineswegs: „wir bewegen
uns in und au den Formen" (S. 15), d. h. doch, wir
sind so sehr an die Form gebunden, daß wir für be-
stimmte Empfinduugen bestimmte Symbole wählen
müssen. Somit wäre auch dieses wache Symbolisiren
keineswegs ein freies, d. h. seinen Grund in erster Linie
im Jndividuum sindendes, sondern es hinge einerseits
von dem körperlichen Empsinden desselben ab, defsen
Uebertragen auf das Objekt um so gesetzmäßiger ein-
träte, je mehr es unbewußt, in jenem Zustande der
Versunkenheit, geschähe, andererseits aber auch von den
Formen des Objekts. Da nun im Traume von eineM
Objekte gar keine Rede ist, so träte jene Uebertragung
auf das Objekt mit noch größerer Nothwendigkeit und
somit auch Gesetzmäßigkeit im Wachsein als im Traum-
leben ein. Wir sehen, der Berfasser bleibt sich in so-
fern konsequent, als sein waches Symbolisiren in der
That kein wirkliches Symbolisiren mehr ist, sondern
jeneni gesetzmäßigen Vorgange im Traumleben der Art
nach gleich steht.

Lassen wir nun für dieses gesetzmäßige Verfahren
im wachen Zustande, ohne dessen Annahme die Analogie
nüt dem Traumleben hinfällig ist, den Ausdruck „Sym-
bolisireu" gelten, so wenig wir ihn auch für einen
richtigen halten, so fragt es sich nun um die Konse-
quenzen dieser „Formsymbolik". Da sie auf der Kör-
! perlichkeit beruht, so müßte wohl deren besondere
Beschaffeuheit einen maßgebenven Einfluß aus die
Objektsvorstellung ausüben, welche Symbol Ler Sub-
jektsvorstellung werden soll. Es ließe sich also z. B.
annehmen, daß ein Krüppel, ein Lahmer, ein Buckeliger
in ihrer Formsymbolik ihre ganz eigenthümlichen Wcge
gingen, daß also für sie der Begriff der Naturschönheit
ein ganz anderer wäre, als für den normal gebauten
Menschen. Allein die Theorie baut vor: nicht der wirk-
liche Körper, sondern die „unbewußte Norm leiblicher
Vollkommenheit" ist die Bildnerin der Formsymbolik,
welche Behauptung nicht Wunder nehmen kann, da der
Vcrfasser die noch viel weiter gehende aufstellt: „die
unbewußteste (! kann es neben der unbewußten Vor-
stellung, dieses „hölzerne Eisen" dem Verfasser der
Philosophie des Unbewußten einmal zugegeben, Vorstel-
lungen geben, die noch unbewußter sind?), dunkelste Form
 
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