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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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Groller, Balduin: Die Jahresausstellung im Wiener Künstlerhause, [2]
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Falsche Regnault's
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https://doi.org/10.11588/diglit.4970#0255

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Die Jahresausstellung im Wiener Kiinstlerhause.

von cinem fertigen sprechen kann. Gewandung, Hände,
knrz Alles, was noch sonst bei einem Porträl nützu-
sprechen hätte, ist flüchtig und breit, gleichsam nur an-
dcutungsweise hingestrichen, meist bis znr Unkenntlichkeit
abgetont. Es ist, als hätte der Künstler gesürchtet, daß
irgend etwas davon bei etwas sorgfältigerer Behandlung
in ungelegenc Konlurrenz mit der Hanptsache treten
könntc. Mag man sich nnn auch dabei begnügen, eine
Jndividualität dnrch cinen sprcchcndcn Kopf versinn-
licht sich gegenüber zu sehen, und abstrahiren von dem
leineswegs nnbcrechtigtcn Wnnsche, anch die Kleidcr, die
doch sonst Leute machen, etwas deutlicher sehen zu könncn,
so wird man sich doch des Staunens darüber nicht er-
wehren können, wie ein so cminenter Pshchologe es
konsequcnt übersehen kann, möge er es nun vergessen
oder absichtlich ignoriren, daß es doch auch eine Psycho-
logic der Hände giebt, die gar wohl gceignet ist ein
charakteristisches Licht auf die ganze Persönlichkeit zu
werfen. Daß die alten Meister großes Gewicht auf
dic Hände lcgtcn, sei gar nicht crwähnt, will aber eincr
sehen, wie anch ein moderner Meister sich dicse Hilfs-
Psychologie zu Nutze macht, so sehe er darauf hin Passi-
ni's bewunderungswürdigcs Werk „Domhcrrcn im
»Chor" in der Berliner National-Galerie an, oder auch
nur Eines oder das Andere der Matejko'schen Bildnisse,
die im Uebrigcn manchmal allerdings recht herzlich ge-
schmacklos sein köunen.

Ncbcn Lenbach ist es zunächst Viktor Tilgner,
dem das Porträtfach seine donünirende Stellung im
Künstlerhause zu danken hat. Obschon wir es hier nüt
plastischcn Knnstwerken zu thun haben, so glaube ich
dieser zehn Porträtbüsten umsomehr Erwähnung thun
zu können, als sich hierzu später keine Gelegenheit mehr
fiuden dürfte, da die Plastik, abgesehcn von dem aus
der frühercu Ausstellung zurückgebliebenen und hier be-
reits besprochenen, großen Entwurfe zu einem Maria-
Theresiendenkmal, anßer den Tilgner'schen Büsten fast
keine nennenswerthe Vertretung' gefunden hat. Von
dicscn Büsteu sind einige, namcntlich dic in Marmor
auSgcführten von dcn Danien Wolter, Worms nnL
Pollak von der Weltausstellung hcr bekannt, wo sie vor-
crst allcroings nur in Gypsabgüssen zu sehen waren.
Diesen gegenüber bezeichnen dic neueren Arbeiten, so
insbesondere die Büsten der Professoren Hcbra, Skoda
und Oppolzer einen Leträchtlichen Fortschritt. Es ist
fraglich, ob Tilgncr's Begabung zu so rascher nnd glän-
zcnder Entfaltuiig gelangt wärc, wenn ihm nicht von
dem vor einigen Jahren nach Wien eingewanderten
Franzosen Deloye eine so tiefgehende Anregung geboten
worden wäre. Die mächtige Aneiferung, die ihm ward,
schlug ihm, da er sich die Eigenthümlichkeit seines Wesens
zu bewahren wußte, zum Heile aus. Heute steht er in
seinem Fache fast cbenbürtig nebcn Dcloyc, und cinc

solche Stellung wäre ihm nnmöglich gewesen einzunehnieM
weun er sich auf's Jnütiren verlegt hätte. Dic Biisten
zeichnen sich alle durch scharfe, geistvolle Charakteristist
durch eine elegante, atte Hindernisse scheinbar spiekevk'
überwältigende Technik, und endlich durch geschmackvottes
dekoratives Arrangement aus.

Canon, der routinirteste Eklektiker unserer Tagc
hat mit einem weiblichen Porträt einen großen Erfolg
errungen, zumeist darum, weil er bci dieseni kcin Am
lehen von alteu Meistern gemacht, sondern es ganz a»s
eigenen Mitteln, nüt welchen ihn Mutter Natur reich
genug bedacht, bestritten hal. Dieser liebenswürdig?
Frauenkopf besteht die Feuerprobe neben den Lenbach'scheu
Bildiüssen vermöge seiner gediegenen Färbung, verniögc
des edlen, ausgeglichenen Vortrages, vermöge der ganzcN
künstlerischen Anordnung. Auch Felix hält sich mü
Ehren nüt den von ihm gelieferten Porträts in so gc"
fährlicher Nachbarschaft. Felix produzirt langsam, und,
wie cs scheint, nicht ohne Anstrengung, die ihm strengc
Selbstprüfung aufzuerlcgen scheint. Felix hat sich noch
auf keinem Rückschritle ertappen lassen; er erscheint nu>
selten vor der Oeffentlichkeit; thut er es aber, so hat
man ihu regelmäßig zu einem Fortschritte zu beglück-
wünschen.

Sehr beachtenswerthe Arbeiten im Porträtfache hat
die ungarische Gräfin Nemes gesandt. Jhr dürstc
man huldigen, auch wenn sie weder dem schönen Gc'
schlechte, noch d'em hohen Adel angehören würde. S>c
ist jetzt schon die Jacquemart der Ungarn, was an stck
frcilich nur ein relatives Verdienst ist, allein sie hat
das Zeug in sich, auch mehr zu werden. Wo sie sick
ihre äußerst solide und durch und durch küustlerischc
Technik erworben hat, ist nür nicht bekannt; dagegc»
könnte ihr leicht Jemand sagen, in welcher Schule sü
sich die Messerspitze vott Geschmack noch erwerben könnte,
welche an ihren Bildern, so reich sie auch an sonstigcd
Borzügen sein mögen, fehlt. Der Vollständigkeii halbcc
crwähue ich noch ein sehr wirkungsvoll arrangirtes Por"
trät einer russischen FLrstin in ganzer Figur von I. Ful'
und die im Auftrage des k. k. Unterrichtsnünisteriuiiis
angefertigten Professoren-Porträts von George-MaY ei',
Aigner, Noltsch und Vita.

Die große Menge der schlecht und recht fertig ge-
brachten landläufigen Porträts, die außer diesen noch
die Säle füllen, sind wie siö zu sein pflegen. Zu be^
sonderen Bemerkungen bieten sie keinen Anlaß.

Balduin Groller.

Falsche Negnault's.

Jn dcm „New-Uork Tribune" hat sich kürzlich
eine Kontroverse abgesponnen, welche auch für deutschb
Kunstliebhaber von besondereni Jnteresse ist. Dic KoiM
 
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