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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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741

Korrespondenz.

742

Korrejpoildkli).

Pest, Anfang August 1875.

Ein mehrtägiger Aufenthalt in der schönen un-
garischen Hauptstadt bietet mir Anlaß, den Lesern der
Zeitschrift über einige Veränderungen im hiesigen Kunst-
leben, von denen ich Einsicht nehmen konnte, Bericht zu
erstatten.

Niemand kann in unsern Tagen diesen für Oester-
reichs Geschick politisch so bedeutsam gewvrdenen Boden
betreten, ohne überrascht zu sein von der Wandlung in
der äußeren Physiognomie der Stadt, deren von der
Natur gebotene Reize sich mehr und mehr in das Pracht-
gewand moderner großstädtischer Architektur und eines
>n Glanz und Ueppigkeit dahinrauschenden Lebens hüllen.
Ich will nicht untersuchen, wie viel von dieser bezau-
bernden Prachtentfaltung etwa nur leerer Schein, wie
Manches von dem letzten Börsenkrach im Jnnersten er-
schültert ist, und mich auch jeder Wahrsagung über den
weiteren Entwickelungsgang der Dinge in Ungarn wohl-
weislich enthalten. Die Thatsache steht jedenfalls fcst
und ist an dieser Stelle als eine erfreuliche zu ver-
zeichnen, daß hier aus geringfügigen Anfängen unter
Mannigfachem Kampf und Mißgeschick in unglaublich
kurzer Zeit ein Gemeinwesen voll stolzen Selbstgefühls,
eine rührige, handelsthätige, baueifrige Stadt, ein Mittel-
Punkt auch für die ernste Pflege der Kunst und Wissen-
schaft sich gebildet hat. Die Stadt, die vor achtzig
Iahren kaum 20,000 Einwohner zählte, war 1848 be-
reits auf 100,000 angewachsen und hat dercn gegen-
wärtig, nach dcr administrativen Vereiuigung mit Osen,
etwa 300,000. An die älteren Vorstädte, Steinbruck
einerseits und Altofen andererseits, haben sich als neuere
Vororte Kleinpest und Neupest, bcfonders von Arbeitern
bewohnt, angeschlossen. Das Ganze sührt jetzt den offi-
ziellen Namen Budapest. — Wer zu Schiff von Norden
herabkommt, erblickt heute, bald nachdem die villenbe-
setzten Ufer der Margaretheninsel passirt sind, die zier-
lichen Eisenbögen der neuen Donaubrücke, welche
als zweite Verbindung zwischen dem nördlichen Theil
der Schwesterstädte im Bau begriffen ist. Wie die starke
Biegung in der Mitte lehrt, ist sie nicht für dcn Bahn-,
sondern nur für den Wagenverkehr bestimmt, uud zwar
speziell als Brücke für Lastwagen und das sonstige >
schwere Fuhrwerk, das dadurch von der Kettenbrücke I
abgelenkt werden wird. Die französische Gesellschaft,
wclche das Werk ausführt, scheint sich der Schwicrigkeit
ihrer Aufgabe, mit dem unvergleichlich edlen Bau der
Kettenbrücke zu wetteifern, wohl bewußt gewesen zu sein.
Soweit man nach den bereits vollendeten Theilen das
Ganze beurtheilen kann, verspricht dasselbe mit seinen
schön proportionirten Pfeilern und anmuthig geschwun- !
genen Bögen einen neuen Reiz für den Fluß-Aspekt der

Stadt zu bilden. Dieser wird aber vollends in seiner
ganzen Schönheit sich zeigen, nachdem auch die groß-
artigen Quaianlagen am beiderseitigen Flußufer
fertig sein werden. An der Pester Seite sind die Quais
nördlich und südlich vom Akademieplatz bereits in be-
trächtlicher Länge ausgebaut, und die von Hotels und
Kaffeehäusern besetzten Straßen, an denen sich die Lan-
dungsplätze der Dampfschiffe hinziehen, bilden (zum
Theil gegen den Wagenverkehr abgesperrt) einen beliebten
Spaziergang der eleganten Welt. Einen schöneren und
belebteren dürfte kaum cine Stadt Europa's aufzuweisen
habcn! Jetzt hat man nun aber auch an den Aus-
bau des Quais an der gegenüberliegenden Ofener Seite
schon Hand angelegt. Ueber den Landungs- und Stapcl-
plätzen der Schiffe wird sich auch hier eine breite Straße
hinzichen, deren Baulichkeiten durch einen Arkadengang
miteinander in Verbindung gesetzt werden sollen.

An den künstlerischen Werth der Neubauten, die
an diesen beiden Häuserzeilen stehen, darf man keinen
zu hohen Maaßstab anlegen. Es dominirt im Allge-
meinen der Wiener Zinshausstil mit seinen theils einzeln
für sich bestehenden, theils in Gruppen zusammenge-
ordneten Fayaden, deren Ecken und Mitteltheile durch
thurmartige Risalite ausgezeichnet sind. Jn Abschlüssen
und Details treten hie und da französische Motive her-
vor. Die Behandlungsweise ist eine Lbermäßig reiche
und derbe; einzelne Jnterieurs gemahnen mit ihrer an's
Barbarische streifenden Pracht' an die Nähe des Orients.

Wenn sich die Architektur in diesen Quaianlagen
zur Massenhaftigkeit und Uniformität hingedrängt sah,
war bei der Anlage der neuen Radialstraße, die vom
Centrum der Stadt ostwärts nach dem Stadtwäldchen
hinführt, größere Mannigfaltigkeit am Platze, und das
Baugesetz schreibt denn auch vor, daß die Häuser an
dieser Straße, je weiter sie vom Jnneren der Stadt
entfernt liegen, desto mehr an Höhe abzunehmen haben.
Der geschlossene Zinshausbau macht hier demnach all-
mhhlich dem kleineren Familienhanse und der gartenum-
gebenen Villa Platz. Die Radialstraße wird von einem
doppelten Boulevard durchschnitten. Der ganze Stadt-
thcil verspricht einer der angenehmsten und schönsten zu
werden. An der Radialstraße entstehen socben das
Künstlerhaus und bie Zeichenschule. Der nord-
wärts gelegcne Platz der neuen Oper liegt noch wüst
und leer.

Die südlichen Stadttheile haben die meisten öffent-
lichen Gebäude neuen Datums aufzuweisen. Da stoßen
wir auf das der Vollendnng sich nähernde neue Volks-
theater, von Fellner und Hellmer in Wien, im
Portikus mit den Büsten der ungarischen Dichter Kis-
faludh, Egressy und Gaal geschmückt; dann auf den
Neubau der Universitätsbibliothek, mit schönem
Pestibül und reich dekyrirtem Lesesaal, von Skalnitzky;
 
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