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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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Heft 52
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Das Michelangelofest in Florenz, [2]
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Berggruen, Oscar: Aus dem Wiener Künstlerhause
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https://doi.org/10.11588/diglit.4970#0415

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Aus dem Wiener Künstlerhause.

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der vereinigten Akademien der Crusca und der schönen
Künste, welche im Beisein des Prinzen von Carignan,
des Sindakus, zahlreicher Senatoren und geladenen Gäste,
sowie der Repräsentanten unter dem Vorsitze der Herren
Aug. Conti und E. de Fabris im früheren Sitzungs-
saale des Senates stattfand. Außer den beiden, mit
lebhaftem Beifall aufgenommenen Festreden der Vor-
sitzenden über Michelangelo's Persönlichkeit und sein
Wirken als Architekt hielt der berühmte Bildhauer
Duprs einen freien Vortrag über Michelangelo's pla-
stische Thätigkeit, welcher durch die Lebendigkeit und
Originalität der Auffassung und Diktion eine zündende
Wirkung auf die Anwesenden übte. — Ein gemeinsamer
Besuch des nahen Dante-Hauses, welches vor Kurzem
restaurirt ift, schloß stch an diese Feier an.

Die Feder zögert, indem sie schließlich auch noch
ein Bild von dem Volksfest und der Jllumination ent-
werfen joll, mit welchen am Abend des 14. die Feier-
lichkeiten zu Ende gingen. Der feenhafte Eindruck dieses
Schauspiels spottet jeder Schilderung. Der eigentliche
Festplatz war wieder jene terrassirte Höhe gegen S. Mi-
niato zu, welche den Namen Piazzale Michelangelo führt.
Ueber 13,000 trikolore Lampen ergossen über dieses weite
Plateau ihren magischen Schimmer. Von dem Thurm
der alten Porta S. Niecolo erstrahlte elektrisches Licht
und zeichnete die eleganten Formen des bronzenen David
auf den hell erleuchteten Wänden des dahinter liegendeu
Klosters ab. Die Fayade von S. Miniato und alle
hervorragenden Gebäude auf den nahen Hügeln waren
den Linien ihrer Architektur entsprechend illuminirt.
Von drüben leuchteten Fiesole und Settignano, der
Landsitz der Buonarroti mit Höhenfeueru herüber.
Aber den imposantesten Eindruck des Ganzen machte die
aus dem strahlenden Häusermeere der Stadt emporra-
gende Masse des Palazzo veccchio, welche an Gesimsen
und Kanten bis znr Spitze dcs Thurmhelmes empor
mit Lampen besetzt war. Zu alledem Raketen, benga-
lische Flammen, erleuchtete farbige Ballons, unaufhör-
liches Freudengeschrei der dichtgedrängten Volksmenge,
Musik und Tanz bisZief in die milde mondbeglänzte
Nacht hinein: wer wollte da leugnem, daß es den Flo-
rentinern so leicht Niemand zuvorthun kann in der volks-
thümlichen Feiec ihrer großen Männer! Den unver-
gleichlichen Schauplatz dazu hat ihnen die Natur in
diesem Thal gegeben, über welches alle Reize des Him-
mels ausgegossen sind; das Festspiel aber haben sie selbst
gedichtet, und zwar als Meister in dieser Kunst.

Wem es vergönnt war, den leitenden Kreisen näher
zu treten und in das gastliche Haus des Sindakus, des
Präsidenten des Festkomits's, Eintritt zu erhalten,
dessen warteten auch nach dem Schlusse der öffentlichen
Festlichkeiten noch manche der edelsten Genüsse, so eine
gemeinsame Fahrt über Fiesole und das interessante

Schloß von Vincigliata nach Buonarroti's vorhin schon
erwähnter Villa in Settignano. Die Bevölkerungen
der Ortschaften waren zusammeiigeströmt, um den aus
15 Wagen bestehenden Zug zu begrüßcn. Bei Lampen-
schein — der Abend brach leider herein, bevor wir das
Ziel erreichten — wurden die ehrwürdigen Räume von
Michelangelo's Landsitz durchwandert. An der Treppe
zeigt man den Rest einer mit Kohle auf die Wand ge-
zeichneten Figur, die von der Hand des Meisters her-
rühren soll. Die Tradition nennt ihn den „Satyr" des
Michelangelo.—Für den folgenden Abend waren wir in's
Theater des Prinzen Humbert eingeladen, wo aus Anlaß
der-Michelangelofeier das Manzoni-Requiem von Verdi
hier zum ersten Male aufgeführt wurde. Bei allen
diesen Gelegenheiten machten der Sindakus und seine
Frau Gemahlin in liebenswürdigster Weise die Hon-
neurs und setzten durch die Ausdauer und Frische, die
sie bewährten, alle Welt in Bewunderung. Wir mußten
darüber um so mehr staunen, da uns ja bekannt war,
daß gleichzeitig mit der Michelangelofeier noch andere
ähnliche Repräsentationen, vor Allem der zweite Kon-
greß der italienischen Architekten und Jngenicure, die
Anwesenheit unserer unermüdlichen Gastgeber in An-
spruch nahmen.

Zum Schlusse darf nicht unerwähnt bleiben, daß
außer dem Festkomits auch die Florentiner Künstlerschaft
sich in opulenter Weise an dem Empfange der fremden
Repräsentanten betheiligte. Sie gab uns am 15. Abends
in dem schönen Saale der Locanda della Pace ein Fest-
mahl, bei welchem der Sindakus und die Abgesandten
der auswärtigen Akademien die Ehrenplätze einnahmen,
und zu dessen geistiger Würze beizutragen Redner aller
Nationen mit einander wetteiferten.

So nehmen wir denn einen reichen und unge-
trübten Eindruck von diesem Feste mit, das dem An-
denken eines der edelsten und größten Menschen galt
und das Bild desselben Tausenden von Herzen frisch
und unauslöschlich einprägte! I-.

jÄus dem Wiener Lünstlerhause.

Eine im Laufe der Kunstgeschichte häusig beobachtete
und noch unaufgeklärte Erscheinung ist es, daß plötzlich
an einem Orte oder bei einer Nation ohne greifbaren
Zusammenhang mit Vorläufern und Zeitgenossen eine
Reihe von Talenten in der bildenden Kunst auftreten,
welche mit ihren Leistungen mitunter sogar zur Stiftung
einer eigenartigen Schule gelangen. Jn neuester Zeit
war es den Polen beschieden, diese Erfahrung um ein
weiteres Beispiel zu bereichern. Ein Iahrzehnt ist kaum
verflossen, seitdem Matejko meteorgleich auftauchte, uw
durch seine mit einer starken, namentlich koloristisch her-
vorragenden Begabung ausgeführten nationalen Vorwürfe
 
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