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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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Heft 52
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Berggruen, Oscar: Aus dem Wiener Künstlerhause
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https://doi.org/10.11588/diglit.4970#0416

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821

Aus dem Wiener Künstlerhause.

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eine neue Kategdrie von polnisch-nationalen Malern in
der zeitgenössischen Kunstgcschichte zu eröffnen, und schon
sehen wir, theils als seine Schüler, theils von ihm an-
geregt und beeinflußt, uuter seinen Landsleuten zahlreiche
und hoffnungerweckende Talente hervorbrechen. So haben
denn die Polen zu der September-Ausstellung im Wiener
Künstlerhause der Zahl wie der Art nach bedeutende
Beiträge geliefert und außer den durch die Wiener
Weltausstellung bekannt gewordenen neue Kräfte in's
Treffen geführt, von denen erfreuliche Leistungen mit
Recht erwartet werden dürfen.

Es ziemt sich wohl, vom Haupte der neuen pol-
nischen Schule zuerst zu sprechen, wiewohl er unter
seinen Landsleuten, besser gesagt: unter seinen Schülern,
diesmal nicht das Beste gelcistet. Wie bei Matejko
selbstverständlich, hat er abermals einen der National-
geschichte entnommenen Stoff gewählt und die „Er-
mordung des Königs Przemislaw durch die Branden-
burger zu Rogozna im Jahre 1295" dargestellt. Dieser
Stoff hat vor vielen anderen Vorwürfen des Meisters,
insbesondere vor seinen polnischen Staatsaktionen den
großen Vorzug, auch ohne langen historischen Kommentar
verständlich zu sein; denn „Programmbilder" sind nicht
minder unerquicklich als „Programm-Musik". Allein
die Ausführung muß trotz der trefflich gedachten Kom-
position und trotz großer Schönheiten im Detail als
wenig wirksam bezeichnet werden. Der hauptsächlichste
Mißgriff, auf den alle anderen Fehler zurückzuführen
sind, besteht darin, daß der Künstler ein zu kleines, ihm
ganz ungewohntes Format gewählt hat- Jm Kleinen
ausgeführt, ist der Figurenreichthum störend, die kühnen
Verkürzungen, die der Meister so häufig anbringt, werden
undeutlich und wirkungslos, und das pastos aufgetragene,
alle Schätze der Palette achtlos hinstreuende Kolorit
wird so bunt und unruhig, daß eine rechte Stimmung
gar nicht aufkommen kann. Wie ein wirrer Glieder-
und Farbenknäuel drängen sich in der Mittelgruppe die
auf den König, eine auffallend schwach gerathene Figur,
einstürmenden Brandenburger; nicht viel besser indivi-
dualisirt ist die Königin, welche in flatternden Gewändern,
das Kind auf dem Arme, hilferufend hereinstürzt; vor-
trefflich dagegen ist ein links im Hintergrunde ringendes
Kriegerpaar. Auch einzelne Nebenfiguren, namentlich
ein blutüberströmten Hauptes zu Füßen des sich ver-
theidigenden Königs niedergestreckter Krieger, sind meister-
haft ausgeführt, und einzelne Details, sowie die Stoffe
und Geräthschaften, sind mit jener blendenden Virtuosität
gemalt, die wir an Matejko längst kennen. Alles in
Allem paßt auf dieses sein Bild die lakonische Kritik, die
Goethe's Zeichenlehrer an einem nach der Meinung seines
Schülcrs besonders wohlgerathenen Blumenstück geübt
hat iim veu Worten: „Mehr Papier!" Mehr Leiuwand,
und unser Bild wäre sicherlich ungleich besser geworden.

Jn Hippolyt Lipinski, angeblich einem Schüler
Matejko's, dessen „Getreidemarkt in Krakau" geradezu
Aufsehen erregt, tritt uns ein neues,- eigenartiges Talent
ersten Ranges entgegen. Das figurenreiche Bild gleicht
nach Form und Dimensionen dem bekannten „Derbytag"
von Frith und löst sich in eine Anzahl von Jahrmarkt-
scenen auf, zwischen denen durch das gemeinsame Motiv
des Kaufens und Verkaufens ein innerer, durch die treff-
lichc architcktonische Umrahmung der Sccnerie ein äußercr
Zusammenhang ganz ungesucht sich herstellt. Man muß,
gleich uns, Land und Leute kenncn, um vollständig zu
würdigen, wie der Künstler aus der Flucht der Er-
scheinungen vas Wesentliche herauszuheben und es mit
objektiver Treue, zugleich aber mit vollstem inneren
j Leben darzustellen verstanden hat. Die Anordnung der
zahlreichen Gruppen und Figuren ist so zweckmäßig, daß
nirgends, selbst da nicht, wo das Motiv ein Gedränge
bedingt — wie zum Beispiel bei dem aus einer echt
polnischen Jahrmarkts-Wagenburg heraus mitten durch
eine Gänseheerde fahrenden Viergespann des Edelmanns
— die Üebersichtlichkeit gestört oder gar das unange-
nehme Gefühl des Aneinanderstoßens auf der Leinwand
erzeugt wird. Alle Anerkennung verdient auch die
durchaus korrekte Zeichnung und das milde, fein abge-
löste, bei allem Reichthum an Nuancen nirgends auf-
dringliche Kolorit, welches einen Schimmer von behag-
licher, dem Genusse sehr zu statten kommender Ruhe
über das Bild breitet. Das Detail ist durchweg mit
gleicher Sorgfalt und Kunst ausgearbeitet; so ist das
ganz deutsch anmuthende Floriansthor zu Krakau, im
Vordergrund rcchts, an sich ein treffliches Architekturstück,
wie nicht minder die Rothfüchse am Getreidewagen in
einer Mittelgruppe ausgezeichnete Thierbilder genannt
werden müsfen. Höchst erfreulich ist auch der feine Humor,
der alle Gruppen und Motive anhaucht, und das stattliche
mazurische Brautpaar, welches vor einem Kram von
Holzwaaren soeben ein sehr wesentliches Geräthe für den
neuen Hausstand, die Wiege, erstanden und voll freudigen
Vorgefühls auf einige hübsche Kinder niederblickt, die
um Puppen feilschen, reicht in seiner humorvollen Jnnig-
keit an die besten Knaus'schen Gestalten dieser Art heran.
Das Bild trägt alle Bedingungen in sich, um populär
zu werden und den Kenncr zu befriedigen; hoffentlich
wird ihm bald eine würdige Reproduktion zu Theil.

Von Vitold Pruszkowski in Krakau, offenbar
einem Schüler Matejko's, besitzt die Ausstcllung zwei
an Werth sehr verschiedene Bilder. Das eine, ein
Damenporträt, besticht durch die geistrciche Auffassung
einer etwas altjüngferlich koketten Dame, die sich mög-
lichst interessant zu machen sucht; auch der Vortrag ist
in seinem gesunden Realismus, dem ein ironisirender
Zug nicht abgeht, zu loben. Das andere bewegt sich
ganz auf dem Boden Matejko's und ist durchaus in
 
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