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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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Abrest, Paul d': Der Salon, [6]
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Verschiedenes und Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.4970#0336

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661

Kunstliteratur.

662

uicht mit der Offerte ihres werthcn Antlitzes. Jn einem
Winkel neben einer ungarischen Schafheerde treffe ich
die wohlbekannten Züge des Direktors des „Siöle", des
Herrn Jourde. Das Porträt, das Werk eines jungen
ungarischen Malers, ist vielleicht vom Standpunkte der
Aehnlichkcit Las beste im ganzen Salon; eben deshalb
sucht man vergebens irgend welchen Ausdruck. Es ist
ein ehrliches Gesicht nüt einem hübschen Henriquatre,
über welches man sich allerhand denken kann, welches
aber nichts sagt. Zu einer erbärmlichen Fratze wurde
das Porträt des Herrn Claretie, des bekannten Verfassers
historischer Romane, Theaterkritikers und auf diesem
Gebiete allerdings weniger glücklichen Dramaturgen zu-
gerichtet. Der Autor der „letzten Montagnards" und
der „Muscadins" wurde von seinem Porträtmaler mit
einer Wangengeschwulst bedacht, die man sonst nur einem
iüchtigen Luftzug zu verdanken hat. Währcnd die linke
Backe so aufgeblascn dasteht, schielt das rechte Auge
ganz bedenklich. Kurz, am ganzen Bilde ist nur die
schwarzsammetene Jacke getroffen, die Herr Claretie
tvirklich in seinem Arbeitszimmer zu tragen pflegt.

Uebergehen wir die zahlreichen Anonhmen, von denen
eiuige recht muntere xo868 wählten, wie jener mit einem
Ziegenbart behaftete Gentleman, der sich kommod auf eine
Ottomane ausstreckt, dic Schuhspitze mit einem kleinen
Stock karessirt und wie von einer Loge herab alle Vor-
übergehenden vornehm anstiert, oder wie jener röthlich
angehauchte Weißkopf, der mit der Grimasse des echten
Connaisseurs irgend einen unauthentischen Raphael stu-
diert. Da ist der „pvrs Ovrinuiu" aus Bougival in
seiner blauen Blouse und mit dem Spaten in der Hand
doch viel natürlicher. Man sucht, wenn von Porträts
die Rede ist, selbstverständlich nach dem Heroen des Faches,
Herrn Carolus Duran, dem Porträtisten der vornehmen
Welt. Diesmal wivmcte jedoch Carolus seinen Pinsel
der Familie und präsentirt dem Publikum ein drei-
jähriges Mädchen — sein eigenes — mit einem groß-
mächtigen Munde. Das arme Kind ist gar schwerfällig
angethan und verliert sich fast in einem so großen Bilde.
Cin bischen weniger Sammt und Federn auf deni Hute
würden die Grazie der Kindheit nicht so verleugnen,
ivie es auf diesem Bilde in geradezu gewaltsamer Weise
geschieht. Der Bater, welcher sein Erstgeborenes als
niie kleine Frau vorstellen wollte, hat hier über den
Geschmack des Malers offenbar gesiegt. Jst das heurige
Pvrträt des Herrn Carolus Duran verfehlt, so wird
vr gewiß eine eklatante Revanche nchmen, indem er über's
>sahr eine jener köstlichen Modcdamen auf die Leinwand
Zaubert, die zur Verzweistung der nur bürgerlichen Mil-
üonärsfrauen ihr Familienwappen im Bilde anbringen
lassen wird.

Der Salon hat heuer nur ein einziges Doppel-
porträt aufzuweisen: das Ehepaar Ratazzi. Der be-

rühmte Staatsmann und seine nicht minder berühmte
Ehehälftc, welche ihre begeisterten Verehrer die „moderne
Corinua" nennen, wcrden ,,sn ^ivck" repräsentirt. Der
Gatte im einfachen schwarzen Anzug, auf dem die gol-
dene Kette des Annunciaten-Ordens leuchtet, die Dame
in einem schweren gelben Atlaskleid, den Marie Louisen-
Orden um die Hüfte geschlungen und reichen Dia-
mantenschniuck ini Haar und an den Ohren. Der Kopf
des Ministers ist kcin schöner zu nennen, aber cin geist-
reiches und gleichzeitig mildes Lächeln, welches um die
Lippen spiclt, erhellt die Phhsioguomie. Madame Na-
tazzi ist hier so, wie ganz Paris sie in ihrer Anmuth
und klassischen Schönheit bewundert. Vielleicht hat der
Künstler die nervöse Bewegung der Augenwimpern zu
stark accentuirt. Das Bild ist die Arbeit eines italie-
nischen Malers und ein Geschenk der Stadt Alexandrien.

Schließlich darf auck zu den Porträts die „Mer-
vcilleuse" des Herrn Goupil gerechnet werden. Manche
Modistin und Schneiderin wird mit aufrichtiger Bewun-
derung und nicht ohne Neid vor dem Bilde stehen
bleiben, welches eine so hübsch, so reichlich uud doch so
korrekt geklcidete Frau vorstellt. Was für eiue dicke
Rechnung ließe sich nicht über dicses Kleid und über
diesen Federhut ausstellen! Paul d'Abrest.

Lnllsilitcrlitiir.

Ausgewählte Klinstwcrke aus dcm Schatzc dcr reichcn
Kapcllc der königlichen Residenz in München.
Von F. A. Z cttler, Jnhaber dcr k. bahr. Hofglas-
malerci-Anstalt, L- Enzler, Stiftsdekan und Custos
der reichen Kapelle, und Dr. I. Stockbauer,
Prof. an der k. Kunstgewerbeschule in München.
Jmp.-Folio. 1874.

Die Ausdrücke „veröffentlichen" oder „herausgeben"
dürften bei wenig Werken so richtig angewendet sein,
wie bei dem in Rede stehenden, da dasselbe nicht nur
im gewöhnlichcn Sinne Original-Kunstprodukte durch
Bild und Wort dem Publikum zur Anschauung bringt,
sondern aus einem seit Jahren verschlossenen Schatze
des königlich bayerischcn Familien-Besitzes, der nur
wenigen Personen höherer Kreise ausnahmsweise zu-
gänglich war, Kunstgebilde von großcm archäologischen,
historischen und pekuniären Werthe aus der Berborgen-
heit au das Tageslicht schafft und die gebildete Welt
zum Mitgenusse derselben einladet. Dafür allein ge-
bührt den Herausgebern, Stiftsdekan Enzler und Prof.
Stockbauer allgemeine Anerkennung, die durch die Art
und Weise dieser Veröffentlichung noch gesteigert wird.
Um den artistischen Anforderungen zu genügen und eine
würdige Publikation zu bewerkstelligen, wurden die Ori-
ginale in natürlicher Größe photographirt, und diese
photographischen Aufnahmen dcm Original entsprechend
 
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