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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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Abrest, Paul d': Der Salon, [4]
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Wächter, Eberhard: Gutachten Eberhard Wächter's über die Boisserée'sche Sammlung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4970#0320

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629

Gutachtsn Eberhard Wächter's über die Boissers'sche Sammlung.

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Auf diesem Jndigofluß, die Seine bei Argenteuil, sitzen
in einem Kahn zwei „Canotiers", Mann und Frau, er
>m klassischcn Negligä, in der gestreiften Leibjacke, Zwillich-
hvse, Sandalen mit rothen Bändern und mit einem Zehn-
groschen-Strohhnt auf dem Kopfe, sie eine einfache Gri-
sette in dem selbstgenähten Sonntagskleide, gerade nicht
schön, aber wohl geformt nnd mit oollem Gesichte. Er
Macht ihr eine Mitlhcilung, die sie aber verdrießlich
stiinmt, und eben diese Verdrießlichkeit der Physiognomie
giebt den Stoff zu den allerärgsten Spöttereien. Du
Mein Gott! Wenn Maocmvisclle Pamela vom Hand-
schuhladen links um die Ecke, oder Fräulein Juliette
die Maschinennäherin nicht zufrieden ist, so äußert sie
doch gerade nicht ihre Gefühle in der nämlichen Weise,
wie die Marschallin von Mirepoie. Aber die blaue
Seine — die sonst so trübe, so gclb, so schmutzig ist!
Ei, meine Herren, habt ihr den kapriziösen Fluß je be-
trachtet? Etwa, wenn ihr im Omnibus über die Brücke
des Saints Pöres gefahren seid, odcr wenn ihr euch
tagelang dem hochedlen Vergnügen des Angelns hin-
gabt? Wahrschcinlich hat Manet scin Studium etwas
gründlicher betriebcn; nzacht cs ihm nach, wendet euch
an eincm ungetrübten, hellcn, hcißcn Sommcrnachmittag
entweder den melancholischen Gestaden von Argenteuil
vder den lieblichcn beschattetcn Ufcru von Bas Meudon
zu. Wenn dann gegen Mittag die Sonne ihre Wen-
dung vollzieht, betrachtet nur mit cinigcr Aufmerksam-
keit die Wirkung der Strahlen auf das Wasscr, und ihr
werdet selbst übcrrascht scin, zwanzig Minuteu von Paris
den Anblick ciner azurnen Wasserfläche, nicht lange
allerdings, zu genießen, welche man sonst nurauf demMit-
telmeer anzutreffen gewohnt ist. Manet übcrraschte die
Seine in einem so günstigen Moment; will man es ihm
zum Fehler anrechnen, daß er lieber diesen Moment
auf scin Bild fixirte als die gelbe, schmutzige, Spleen
spendende Phase? Wenn man Talent und einen sichern
Pinsel besitzt wie Manet, so darf man ein Wagehals
sein nnd sein Jahrhundert in dic Schranken fordcrn.
Nicht die Originalität Manct's ist es, über die wir
uns beschwcren, wohl abcr die Queuc, welche sich an
seine Rockschöße angehängt hat und in dem Glauben lebt,
daß Exccntricität das Talcnt crsetzen könnc, während das
Talent allcin crlaubt, excentrisch zu sein.

Paul d'Abrest.

Gutachien Lberhard Wächtcr's ütier dic
Goijsrree'sche Sammtung.

Vor eiuiger Zeit kaufte ich für dic hiesige Hof-
bibliothek von einem verkommenen Malermeister ein Kon-
dolut Handzeichnungen, größtcntheils von nicht bcdcu-
tendem Werth. Doch war darunter eine von Angelika
Kaufn, ann und eine vou Eberhard Wächter. Auch ein

mit diesem Namen unterzeichnetes, aus zwei Folioblättern
bestehendes Manuskript stak darunter. Da ich die Hand-
schrift Wächter's nicht kännte, wandte ich mich an die
Registratur des K. Finanzministeriums in Stuttgart,
wo sich ein Duplikät vorfinden mußte und erhielt auch
wirklich durch die Freundlichkeit des Herrn Finanz-
Ministerial-Negistrators Alb das Original zur Ver-
gleichung zugcsandt. Dieses Original von der Hand
Wächter's, die sich allerdings als eine andere answies, hatte
nur ganzwenigeund unbedeutendestilistischeAbweichungen,
aus denen sich schließen läßt, daß das hiesige Manuskript
entweder unter seinem Diktat für seinen eigenen Hand-
gebrauch entstanden oder von seinem Konzept abgeschrieben
ist. Jedoch das ist eine für die Zeitschrift höchst gleich-
giltige Frage, da ich in unserem Manuskript die paar
Abweichuugen dcr Stuttgarter Handschrift angcmerkt
habe und jetzt also beide ganz gleichlautend sind.

Die Boisserse'sche Gemäldesammlung befand sich
bekanntlich vom Jahre 1818—1827 in Stuttgart, wo
man sich vielfach mit dem Gedanken trug, dieselbe an-
zukaufen. Daß sie nicht angekauft wurde, hat ohne
Zweifel das Wächter'sche Gutachten mit verursacht. Jch
glaube, die Gesichtspunkte dcr Behördeu, sowie dic An-
sicht Wachters sind für Zustände und Personen charak-
teristisch und an sich intercssaut genug, um eincn genauen
Abdruck des Gutachtens, der unten folgt, zu recht-
fertigcn.

Sigmaringen, im Mai 1875.

Oi'. Lchncr.

Aufgefordert vom Kön. Finanz-Ministerio giebt
der Unterzeichnete übcr die ihm vorgclegten Fragen,
rücksichtlich dcr den Gebrüvern Boisserse zugehvrigcn
Gemälde-Sammlung, sein Gutachten mit Folgendem ab:

Eine im Gebiete der schönen Künste auffallende
Erscheinung ist jene Richtung des Geschmacks, die in
unscrn neuesten Zeiten an die Tagesordnung gekommen,
uud die sich hauptsachlich nur in Deutschland weit aus-
gebreitet hat. Mehrere talentvolle Künstler, von edlem
Eifcr beseclt, glaubtcn in ihren Studicn glcichsam znr
Wicge der ncucrn Kunst zurückkehrcn, und an jene frühcru
Meister sich anschließen zu müssen, deren Werke durch
ihre Unbefangenheit und Einfachheit wirklich viel An-
ziehendes für ein unverdorbenes Gemüth haben.

Wir wollen dic Absicht dicser redlich strcbcndcn
Männer nicht nur nicht vcrkenncn, sondern viclmehr '
ehren; denn die Malerei war schon lange her von ihrer
Würde herabgesunken, alles dramatische Jnteresse daraus
vcrschwundcn, uud eine bloße Handtverksfertigkeit das
Streben der meisten Künstler geworden. Es kann aber
doch nicht geläugnet werden, daß man in Schätzung
jener früheren Werke vicl zu weit gegangen sei. Jugend-
liche Gemüther gerathen leicht auf Uebcrtreibung und
so kam man darauf, das Mystischrcligiöse für den einzig
 
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