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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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Ein neues Bild von Adolf Menzel
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https://doi.org/10.11588/diglit.4970#0192

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Ein neues Bild von Adolf Menzel.

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^nspruchen darf, um nichl zu sagcn, daß ihm der erste
8-bührt.

Nur wer über eine tiefe Kenntniß, des Hüttenwesens
^fiigt, ist im Stande, dem Leser eine anschauliche Be-
Ichreibung des Bildes zu bieten. Jch entnehmc deshalb
der Berlinev „Pvst" eine Schilderung, welche der Feder
sMes Mannes entstammt, der als ehemaliger Fachmann
^ die Geheimnisse des Puddlingwerkes eingeweiht ist
^d zugleich als ausgezeichneter Meister seiner Kunst
die Berechtigung hat, über Werke der Malerei zu ur-
^eilen. „Wir stehen in einem großen Eisenwalzwerk,
^ >st cin Werk neuer Konstruktion; alle Wände bleich,
^ui Theile verschiebbar und in die Höhe gehoben, ge-
statten sie dem kalten Tageslicht durch die dadurch all-
seitig entstehenden Oeffnungen ungehindert Eintritt, um
^ nialerischem Kampfe, theils mit der von Ranch und
^ainpf erfüllten Atmosphäre des Raumes, theils mit

glühenden Beleuchtung, welche die Oefen und das
derarbeitete Metall ausstrahlen, cine Fülle von Be-
^uchtungseffekten zu bilden, wie sie in solcher Menge,
svlcher Verschiedenheit und namentlich in solcher Voll-
kudung bisher künstlcrisch noch niemals bewältigt worden
sind. — Wir stehen an der ersten Walze eines Walzen-
stranges, welche die Luppe, das glühende Eisenstück, von
beni ricsigen Dampfhammer, dcn wir hinter den Walzen
swden, empfängt. Der Verschwindungspunkt liegt ziemlich
>u dex Mitte des Bildes, wir sehen an der Reihe der
^öalzen und ihren Bedienungsmannschaften entlang bis
'U den Raum, dessen leuchtender Dampf uns die Lage
ber Puddel- und Schweißöfen angiebt. Rechts im Hinter-
Arunde steht der Motor des Werkes, die große Dampf-
uraschine, deren riesiges Schwungrad wir sauscn zu
^uren glauben. Der ganze obere Theil des Bildes wird
burch eine dem Laien vielleicht wirr erscheinende Menge
don Wellen, Rädern, Seilscheiben, Treibriemen und
äugstangen zur Fortpflanzung der Bewegungen erfüllt
U^elche mit erstaunlicher Richtigkeit angeordnet sind . . .
^er Haupttheil des Bildes, in welchem das eigentliche
^ben desselben gipfelt, ist die Umgebung der großen
^uppenwalze. Die weißglühende Luppe ist durch die
^ste Oeffnung der Walze gegangcn und wird nun von
bon Arbeitern mit großen Zangen empfangen, um durch
bie nächste Oeffnung der Walzen zurückzugehen. . .
Die vorderen Arbciter haben die mehrere Centner schwere
^isenmassc mit ihren Zangen zu empfangen und mit
ilochster Kraftanstrengung beim Walzendurchgange zu
Unterstützen, während die hinter der Maschine befind-
iichen Leute dem Walzstücke die Richtung gebcn. Dicht
dor der Walzc fährt ein Arbciter ein halb im Erkalten
begriffenes Walzstück auf eiucm zweirädrigcn Karren.

ist nahe am Schichtwechsel; dcnn cinzelne Arbeiter
sind bereits dabei, die nothdürftigsten Reinigungsversuche
borzunehmen; bort waschen sich welche, der eine seift

Kopf und Haare, er hat es nöthig; ein anderer ist be
reits bis zum Wechseln des Hemdes gelangt. Ganz
im Vordergrunde, gedeckt von dem Walzenschutzbleche,
im Helldunkel, sitzt eine Gruppe Arbeiter, welche eine
Mahlzeit verzehreu." —

Der moderne Künstler darf sich nicht mit vornehmer
Nachlässigkeit über Aeußerlichkeiten hinwegsetzen. Man
verlangt heute in der Darstellung der Erscheinungen
und der Dinge eine „archäologische" Trcue. Ein Ncm-
brandt, der Römer und Juden im türkischen Phantasie-
kostüm darstellte, wäre heutzutage unmöglich. Aber so
verwöhnt man auch in dieser Beziehung sein mag,
Menzel hat in der Wiedergabe der technischen Details
selbst die kühnsten Erwartungcn übertroffen. Das scharfe
Auge des Künstlers erspähtc jeden Griff der Arbeiter,
jede Bewegung der Maschine, jede einzelne Funktion,
die das Glied einer Kette von Funktionen bildet, welche
zum Gelingen des Ganzen nöthig sind, so daß selbst
der Fachmann durch die Präzision in der Wiedergabe
der Vorgänge in Erstauuen versetzt wird. Welch' eine
Fülle von Beobachtungen setzt das Alles voraus! Gewisse
Körpertheile haben durch anstrengende Arbeit oder durch
lange Gewöhnung eiue besonders charakteristische Gestalt
angenommen; gewisse Muskeln, und nur diese, kommen
bei gewissen Funktionen in Thätigkeit, nichts ist dem
scharfen Auge des Künstlers entgangen, nicht die ge-
ringste Kleinigkeit, deren etwaiges Nichtvorhandensein
auch dem geübtesten Auge nicht auffallen würde.

Man hat an manchen Bildern Menzel's, so be-
sonders an dem Krönungsbilde, die Farbe getadelt. So
hat man z. B. dem letzteren den allzu bräunlichen Ton
zum Vorwurf gemacht. Das können — nebenbei be-
merkt — nur diejcnigen aussprechcn, die dem Vorgange
selbst nicht beigewohnt haben. Von Augenzeugen wird
an dem großen Gemälde in erster Linie die Wahrheit
des Tons gerühmt. Dasselbe Lob, in verstärktem Maße,
muß dem neuen Bilde gezollt werden. Wie spielend
hat der Meistcr die größten Schwierigkeiten überwunden,
die der Kämpf des eindringenven kaltcn Tageslichtes
mit dem glühenden Roth der Feueröfen und Eisenmassen
vcrursachte. Hier liegt auch der einzige Grund zu
einem Vorwurf, den man gegen Menzel erheben könnte.
Es ist wahr, die glühende Luppe im Centrum des Bildes
leuchtet im Berhältniß zum Tageslichte nicht genug.
Aber dieser Vorwurf trisst uicht den Künstler, sondern
die Kunst. Hier war eine unübersteigbare Grenze ge-
zogen. „Der Künstler sah sich gezwungen, so sagt
treffend der oben angeführte Gewährsmann, entweder
die Lichtquellen in beliebter Weise zu verstecken oder sich
mit dem eben Erreichbaren genügen zu lassen. Die
Deckung der Lichtquellen, der Luppen und glühenden
Schienen war ohne ein Aufgeben aller der hochwichtigen
und interessanten Erscheinungen, um welche es sich ja
 
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