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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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Rosenberg, Adolf: Ueber einen Kupferstich Aldegrever's
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https://doi.org/10.11588/diglit.4970#0258

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Ueber einen Kupferstich Aldegrever's.

500

»05

^ Renaissance wurde vas niemals erloschene Jnleresse
mr die Antike bis zur Begeisterung sür dieselbe ge-
Heigert. Während man sich bis dahin auf Vermittler,
^ren Verständniß für die römische Welt nieist ein mangel-
^ftes war, und auf mit Willkür verfahrende Bear-
beiter angewiesen sah, konnte man jetzt dirckt aus dem
klaren Borne der klassischen Literatur schöpfen. Die
^ischen Dichter des Mittelalters hatten aus spLtcn
^chriftstellern des Alterthums ihre Stoffc entlehnt, die-
!klben phantastisch nach dem Geschmacke ihres Zeitalters
^usgeschmückt und so z. B. aus dem trojanischen Kriege
^jnen höfischen Ritterroman gemacht. Ihre Darstellungen
"bten natürlich einen entscheidenden Einfluß auf die
^unst. Namentlich beeiferten sich die Illustratoren ihrer
^erke, die Miniatoren, es den prächtigen Schilderungen
antiken Ritterthums von Seiten jener, wenn möglich,
^ach zuvorzuthun, und so unterschieden sich Agamemnon
^ud seine Helden bald nicht mehr von den Rittern des
^iligen Gral. Die Götter Griechenlands wurden in
"'ittelalterliche Eisenrüstungen gesteckt, die man aus Cour-
iuisie vergoldete, und die spärlichen Reste römischer
^unst, die sich in rheinischen und süddeutschen Städten
'id Kirchen und Mauern zerstreut vorfanden, wurden
">eist m seltsamem Mißverständniß gleichfalls von den
^ünstlern verwendet. Jn einem Aufsatze über das Paris-
»rtheil in der Kunst des Mittelalters (Kunstchronik 1873,
363) habe ich auf diese Behandlung der antiken
^ugenstoffe hingewiesen. Doch genügt das Angedeutete
^>uch nicht, um gewisse bizarre und selbst groteske Züge
ä» erklären, mit denen die mittelalterlichen Künstler bis
)u Dürer und den Kleinmeistern die Darstellungen antiker
^egenstände ausstatteten. Man hat geglaubt, in gewissen
^arstellungeu des Merkur, Les Herkules, der Centauren
s. w. einen burlesken Zug erkennen zu müssen, den
Maler absichtlich hineingetragen. Diese Anffassung
>st irrig. Jch kann z. B. aus Schriftwerken des Mittel-
alters genau nachweisen, weshalb Akcrkur als Greis,
^eshalb dic Centauren in der mittelalterlichen Kunst
als Satyrn dargestellt werden. Dem einen lag cine
ausgesprochene Absicht, die aus der scholastischen Wissen-
^)aft geflossen, dem andern ein Mißverständniß zu
^runde.

Hierzu kommt noch ein drittes Moment, welches
^lar beweist, daß das, was wir für Karrikatur und
^atire halten, den mittelalterlichen Künstlern bitterer
^rnst war. Um nämlich die antiken Götter bei den
»euen Christen gründlich zu diskrevitiren, ließen sich die
Ilaubenseifrigen Kirchenväter und ihre Nachfolger auf
^rui Gebietc der Kirchenschriftstellerei herbei, ven Göttern
Alterthums alle möglichen Untugenden und Laster
^zuhängen. Sie brauchten nicht einnial in allen Fällen
'stte Hjstörchen direkt zu erfinden, sondern nur an die
^»stößigen Götter- und Heroensagen, an gewisse heid-

nische Religionsgebräuche u. s. w. den Maßstab der
christlichen Moral zu legen. Durch das eifrige Stu-
dium der Kirchenväter fanden die frommen Verleumdungen
im Mittelalter um so eher Eingang, als die antike
Literatur selbst nur spärlich bekannt war und die Kirchen-
schriftsteller sich einer unbeschränkten Antorität erfreuten.

Ein Kupferstich HeinrichAldcgrever' s (Bartsch
68) liefert einen interessanten Beitrag zu diesein Ver-
leumdungswerke. Auf der linken Seite treibt der nackte,
mit einem Lorbeerkranze geschmückte Curtius sein Pferd
zum Sprunge in den Abgrund an. Rechts stehen drei
nackte Frauen, von denen zwei Lorbeerkränze in den
Händen haben. Zwei andere kauern zwischen ihnen am
Boden: die eine rauft ihr Haar, die andere ringt die
Hände. Rechts oben liest man auf einer Tafel: Oon-
psrtu Homunu Hiutorlu 1'ix 'l'ittio l.ivlo ^.ssunptu
1532 und das Zeichen des Stechers. Was sollen die
nackten Frauen bei dem Opfertode des Curtius? Darauf
giebt Thomas Murner in seiner „Geuchmat zu straff
alle weybsche Manneu rc." Basel 15 l9. Fol. >8,3
eine Antwort, welche die patriotische That des edlen
Römers in einem sehr bedenklichen Lichte erscheinen
läßt. Er erzählt:

Es hat zu Rom sich uff gethon
und ging ein großer dnnst darvon
ein loch was griisam iu der statt,
darob man großen schrecken hatt
und dag und nacht die götter batt,
die darumb inen antwurt gaben,
sy müsten eynen menschen haben,
der in das loch do wiüig sprengt
und gantz nnd gar sich dryn versengkt.

So wnrd das loch beschließen sich.

Erbot sich Marcus Curtius glich,
wenn man im das zu wolt lo»,
das er möcht on entgelten gon,
wo er wißt ein wyblin schon,
das er mvcht thnn nach sym gefallen,
so wolt er darnach vor in allen
srölich in die gruben springen
nnd endtschafft machen dissen dingen.
den tiifflen hat er sich ergeben
willigklich in synem leben,
das er nun möcht ein kleine wyü
gcnchcryen triben vill.

Es ist nicht cmzunehmen, daß Murner diese „Gän-
cherei" selbst erfunden hat. Da nun, wie oben bemerkt,
in den Schriften der Kirchenväter genug Beispiele für
solche Berunglimpfungen zu finden sind, so wird man
nicht irren, wenn man auch die Herabsetzung antiker
Heldenthaten auf die Rechnung der Kirchenväter setzt.
Bei der umfangreichen Literatur ist es mir bis jetzt
noch nicht gelungen, die Quelle aiifzufinden, aus welcher
Thomas Murner seine bemerkenswerthe Rotiz entlehnte.

Adolf Nosenberg.
 
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