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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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Abrest, Paul d': Der Salon, [1]
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531

Der Salon.

532

fälligcr; dafür sindct sich in den einzelnen Punkten der
Ausführung eine Präzision, welche wir bei den Gobelins
oft vermissen. Dic aus acht Bildern zusammengesetzte
Serie stellt den Römerzug des älteren Scipio nach Kar-
thago vor, eine getreue Kopie nach Giulio Romano,
in einer graziösen Einrahmung von Blumen, Früchten,
Guirlanden, fliegenden Kolibri's und geflügelten Amo-
retten, die gegen die rauhen Kriegsbilder, welche den
Mittelpunkt der Arbeit bilden, merkwürdig abstechen.

Die erste Gruppe zeigt Scipio an der Spitze seiner
Flotte in Sicht des afrikanischen Gestades. Der rö-
mische Feldherr in einer hellen blaueu und rothen Klei-
dung, mit einem goldenen Helm als Kopfbedeckung, steht
auf dem Deck der Galeere und deutet auf die Küste.
Eiu Standartenträger schwenkt triumphirend ein rothes,
mit kriegerischen Emblemen geziertes Fähnlein über dem
Haupte des Eroberers, und die Mannschaft rings herum
blickt erstaunt auf das vor ihrem Auge liegende Land.
Eine andere Rudergaleere, nüt Kriegern in glänzendem
Kostüm gefüllt, sucht dem Fahrzeuge, welches Scipio
trägt, vorauszurudern. Jm Hintergrunde naht, Schiff
an Schiff iu festgeschlossener Schlachtlinie, die römische
»Segelflotte. Die Küste Afrika's im üppigen Grün mit
dem kreisförmigen Hafen ist öde und verlassen. — Jn der
zweitcn Gruppe empfängt Scipio die Gesandten Kar-
thago's. Der General in einen hellblauen, mit Sternen
besäeten Mantel gehüllt, den er um die Hüfte geschlun-
gen, ist eben vom Pferde gestiegen. Ein Sklave hält
den edlen Schimmel, welcher mit kostbarem Geschirr
und Sattelzeug bedeckt ist, am Zaume; auf dem breiten
Nacken des Thieres spielt ein Affe, dessen Sprünge die
Aufmerksamkeit einiger Zuschauer im hohen Grade an-
ziehen, während anderes Volk sich vielmehr durch den
politischen Theil der Scene fesseln läßt. Die Gesandten
der gedemüthigten Meerkönigin liegen vor dem stolzen
. Römer knieend im Staube. Dahinter werden die
Kisten mit den üblichen Geschenken von dem Rücken
zweier Kameele herabgenommen. Eine dieser Kisten ist
eben eröffnet worden, und der Jnhalt, den Sklaven auf
dem Rasen ausbreiten, ist durchwegs danach angethan,
dem Ruf der Freigebigkeit der Römer Ehre zu machen.

.— Die dritte Gruppe zeigt uns die Schlacht von
Zama in einem ihrer effektvollsten Momente. Die rö- ^
mischen Legionen rücken unerschrocken gegen die beweg-
lichen, von den Elephanten getragenen Festungsthürme
an, und da es kein anderes Mittel giebt, die Ungethüme ^
zum Fall zu bringen, zünden sie ihnen das Fell mit
Fackeln an. Diese blicken ganz traulich den Fackelträgern
zu. Es herrscht offenbar eine große Gemüthlichkeit in
der Darstellung dieser Bataille. — Dramatischer ist die
vierte Gruppe, welche den Brand des numidischen Lagers
darstellt. Mitten in der Nacht sind die Römer nach
Erzwingung der Umzäunung in das Lager eingebrochen,

und Rauchwolken ringsumher verkünden, daß es ihR"
mit dem Zerstöruugswerke sehr ernst ist. — Die übrige"
Gruppen stellen die Unterredung Hannibal's und Scipw s
angesichts beider Heere, die nur durch einen schw^
dahinfließenden Bach getrennt werden, die Einnahwe
von Karthago und das gemeinsame Mahl der beideN
Feldherren nach dem Friedensschlusse dar. Letztere Kow'
position versetzt mit der naiven Kühnheit der alteu
Meister ein venezianisches Fest nach den punischen
staden.

Jm großen viereckigen „Ehrensaal" drängt sich vor'
allen ein Gemälde von ungeheuerer Dimension unftr"
Blicken auf, es bedeckt eine Fläche von wenigstens 5—"6
Quadratmetern. Das Werk, die Schöpfung Geotg
Becker's, ist unbedingt das Sensationsbild des diese
jährigen Salons. Die Erfindung muß einem askft
grauen Temperament entstammen, und auch die Aus-
führung ist wirklich eine aschgraue. Der Maler schöpsi^
seine Jnspiration aus einer der abscheuerregendsten Ep'"
soden des alten Testamentes, welche darthun, daß
hova ein eifersüchtiger und blutdürstiger Gott geweftu-
Jm 2. Buche Samuelis, Kapitel 21 wird erzählt, daß
um das Blut der Gibeoniten zu rächen, David siebeu
Söhne des Saul an sie auslieferte, welche jene unbariU-
herzig an's Kreuz schlugen. Unter den Gerichteten be-
fanden sich auch zwei Söhne der Respha, und die Muttee
vcrtheidigte die Leichen ihrer Söhne gegen die Raub-
vögel. Diese Scene ist es, welche das Becker'sche Bikd
behandelt. Das Blutgerüst ist inmitten einer gebirgigeU
Landschaft aufgerichtet; ringsherum nichts als Felsblöcke,
von denen einige vom Blute der Gemordeten triefeiu
Die ersten Schatten der Nacht tragen noch zur Unheinn
lichkeit der Scene bei. Die Sühnopfer sind nicht a»>
Halse, sondern an den Händen mit starken Stränge»
aufgeknüpft; bluttriefende Wunden bedecken ihre nackte»
Körper, die um Hals und Finger noch die üblicheU'
Geschmeide zeigen. Die Rotte der Raubvögel ward voU
dieser Beute herangelockt, über die Berge unterscheidet
man die Schaaren der Geier und Adler; Raben schwirreu
in den Lüften. Ein riesiger Steinadler mit ausgebreü
teten Flügeln und mächtiger Tatze kreischt bereits uru
den Galgen. Er hat den Schnabel geöfsnet; noch einc
Sekunde und er wird sein abscheuliches Mahl beginneu-
Ein Weib, fahl vor Zorn und Schrecken, blickt deu
Aar mit fürchterlichem Blick an und ihre Rechte schwingt
einen vom nächsten Baum mit Gewalt abgerisseneu
Knotenstock. Vor der rasend gewordenen Mutterliebe,
die selbst über das Grab hinausdauert, schreckt die Bestie
zurück. — Die Phhsiognoinie der Respha ist eine iiU
höchsten Grade ausdrucksvolle. Die Figur, in Leberis-
größe ausgeführt, ist kräftig hoch gewachsen, die Arn>o
sind muskulös und die Büste voll. Das Haupt ist eiu
Jdeal unverfälschter semitischer Schönheit, die regel^
 
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