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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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Abrest, Paul d': Der Salon, [5]
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645

Der Salon.

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den BrLutigam nur das regelrechte Sitzen seiner Kra-
vattenschleife oder das Eintreffen des Heirathsfrackes
derspätet haben, und daß binnen einer Minute ein
denwnstratives Ah seinen Einzug begrüßen wird. Aber
der Anblick der Gesellschaft in der Wartepause ist recht
^Uiüsant, und Durand's Pinsel malt ihn so lustig ab,
uls HLtte er fürwahr diese kleine Scene aus dem in-
liinen Leben hinter einem Vorhang mit eigenen Augen
^eschaut. Lacht man aus offenem Herzen über den Scherz
des „Mariage auf der Mairie", so liegt in dem „Lout
6« vonänito" (Ein Stück Begleitung) ein Galgen-
hunwr, der denjenigen gefallen wird, die nicht der Ansicht
sind, daß die Stiefel und der dreieckige Hut des Gens-
darmen komische Requisiten sind. Die Beglciteten sind
k>u Trupp ,,Landstreicher", die von drei Gensdarmen
Zu Pferde geführt, mitten im Schnee waten. Der Ver-
jasser trachtete offenbar, eine lächerliche Wirkung zu er-
Men, und schreckte vor keinem groben Mittel zurück.
Deshalb muß hinter der Gruppe Landstreicher ein Bär
Einherschreiten, den ein Bergsteiger an dem Rüssel an
einer eisernen Kette befestigt führt, deshalb wird mit
einem zerlumpten Bettler ein Herrchen im feinen Reise-
«nzug, ein elegantes Necessaire in der Hand, zusammen-
gestoppelt. Man sinnt darüber nach, was dieser Junge
Uerbrochen haben mag. Natürlicher siud die kleinen
Dtädchen und Knaben, die lustig und wohlgemuth umher-
irippeln, als wären ste nicht Staatsgefangene.

Vibert, der nervöse Karrikaturist, verlegt die Fabel
>,Im viAuto vt tu konrnri" des guten Lafontaine auf
bas menschliche Gebiet. Ein wandernder Sänger, etwa
>ui Kostüm eines mittelalterlichen Troubadour, ausge-
bvrrt und abgemagert, dessen Rücken unter der Last
seirier Guitarre schier zusammenbricht, trifft im Gehege
ein feistes Mönchlein mit obligatem Vollmondgesicht
und Träger eines Schmerbauches, der dem Abt von
St. Gallen Ehre gemacht hätte. Der fromme Diener ^
ber Kirche trägt auf seincm stämmigen Rücken, der unter
bieser Last nicht einzubrechen droht, einen riestgen Korb j
uiit Prachtexemplarey von Geflügel. Oh, wie wohl
thäte dem armen Wicht von Sänger das kleinste Täubchen
aus diesem Korbe oder der geringste Silberling aus
ber gewiß .runden Geldkatze Les feisten Winzers im
ÄZeinberge des Herrn. Dieser aber zuckt die breiten
Achseln, rümpft die geröthete Nase und verzieht das I
Gesicht so, daß deutlich aus demselben ein unchristliches
„Ja, lieber Freund, da kann ich nicht helfen", heraus-
!pricht. Beide Personen dieser kleinen knbis vn xoin-
iurs sind sprechend: der Egoisnms in dem Pfafsen
uud an dem bettelnden Sänger die zur Demuth ge-
zwungene Sorglosigkeit.

Man muß bedauern, daß von diesem leichten lustigen
Genre, in dem die französischen Künstler mit ihrer gra-
Pvsen Haud so leicht reussiren, nicht viele Exemplare

aufzuweisen sind- Wurde in den Ateliers eine Parole
ausgegeben, welche das Heitere auf der Leinwand ver-
pönt und nur Ernstes gestattet? Das geringste Uebel
dieser Selbstbezwingung ist wohl, daß die Maler, die in
ihrem Jnnern die Anlage zum Heiteren empfiuden,
ihre natürliche Begabung forciren und Groteskes er-
zeugen, so daß man bei vielen Bildern über den Ver-
fasser lacht, statt über den Stoff, bei anderen aber
rathlos stehen bleibt.

„Im ikroio" ist ein Bild, dcm zu Ehren schon
mancher Strom Tinte geflossen ist. Man weiß nicht,
ob man es mit einem Zerrbild oder einem aus dem
Lebcn gegriffenen Porträt zu thun hat. Diese „Beute"
ist ein junger zwanzigjähriger Lebemann, fast noch
ein Kind, den eine schlankgewachsene Phryne im
schwarzen Seidenkleid, den Arm mit goldenen Reifen
bedeckt, in ihren Krallen hält. Die inisv vn svons
ist recht geschickt, der Strahl der aufgehenden Morgen-
sonnc, welcher durch den Vorhang das Gemach bcleuchtct,
wo eben die Orgie ihr Ende erreicht hat, bcnimmt dem
Auftritte die Banalität eines gewöhnlichen Trinkgelages
nach der Schlacht. Aber der Charakter ist es, der dieser
Scene aus dem Pariser Leben abgeht; man hat auf den
dahinsiechenden Jüngling ein Sonnet gedichtet; aber es
gehört etwas guter Wille dazu, um ihm das Dutzend
Verse auf das nichtssagende Gesicht zu borgen. Aber
allerdings der Frack ist so schön geschnitten, und die
Blume im Knopfloche so köstlich nachgeahmt.

Die „vonisnvrs" (die Natter) des Herrn Beau-
lieu, ein nackt auf dem Bauche liegcndes zusammen-
gekauertes Geschöpf mit einem schwarzen Perrückenkopf,
soll ebenfalls etwas spezifisch Pariserisches sein. Wir
vermögen jedoch in diesem Bilde nur eine seltsame Ver-
letzung der Perspektivgesetze zu entdecken. Die Arme
und der Kopf scheinen gar nicht zu diesem Rumpfe zu
gehören, man würde schwören, daß sie auf denselben
geleimt sind. Der Effckt, auf welchen der Maler rech-
nete, als er die blendend weißen und durchsichtig rosa-
farbigen Tinten des Körpers mit hochrothen Teppichen
und bunten Federn umgab, ist versehlt. Außerdem be-
ginnt dieses Schlagmittel wirklich ein wenig ranzig zu
werden. Eine viel echtere Pariser Figur als diese an-
gebliche Schlange finden wir in dem „Verlasscn", einer
Episode aus dcr Leidensgeschichte der Liebe. Ein jungcs
hübsches Mädchen, welchcs eiu Trculoser im Stich ge-
lassen hat, bringt sich auf vie landesüblichc Weise um:
sie erstickt sich mit Kohlendampf; das Mittcl ist in
solchcn Fällen für die Ariadne aus dem Pariser Volk
so obligat, wie vor Jahren das Cyankali in solchen
Fällen in Wien. Die Selbstmörderin, im Hemde und
bereits von dem Todesschauer ergrisien, schleppt sich
mühsam nach eincm am Fuße des Bettes gestellten Sessel,
worauf Schreibzeug und ein begonnenes Briefchen liegen.
 
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