Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

DOI Artikel:
Die Verschleppung der Kunstwerke aus Italien
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4970#0361

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
711

Die Verschleppung der Kunstwerke aus Jtalien,

712

seiimn Heimathlande legirte, in den beiden letzten Jahren
18 Miniaturen aus einem Missale vom Ende des 15,
Jahrhunderts, welche an Schönheit weder dem Gri-
manischen Brevier noch dem Chigischen nachstehen, um
20,000 Franken und ein schönes, wohlerhaltenes echtes
Bildchen von Bcato Angelico um 6000 Frankcn gekauft
hat, beide aus italienischen Klöstern stammend. Der
berühmte Kelch des Klosters von Grottaferrata ist seit
einigen Jahren spurlos verschwunden. Mehr oder minder
kostbare Mannskripte von Klassikern und Kirchenvätern
in Klosterbibliotheken fehlen jetzt ebenfalls, wobei noch
zu bemerken ist, daß sich die Mönche gar nicht die Mühe
genommen haben, sie in den Jnventarien zu streichen.
Oder es wurden ganze Bibliotheken oder Partien von
6000 bis 8000 Banden durch Scheinverträge an irgend
einen Kardinal verkauft, wie dies in den Klöstern von
San Pietrv in Vincoli nnd in der Minerva vorkam,
Bei andern Abgängen wurde geradezu erklärt, daß der
Papst ihre Ueberführung in den Vatikan befohlen habe-
Ueber noch andere könnten deutsche und englische Anti-
quarbuchhändler die genaueste Auskunft geben.

Große, ja kolossale Altarbilder sind vielfach ver-
schwunden und tanchen namentlich bei Pariser und Lon-
doner Kunsthändlern wieder auf. Wie ungenirt es dabei
hergeht, mag der eine Fall zeigen, daß, während die
Kiuntn liciniäntrios von dem Kloster Besitz nahm, der
Pater Superior der Oratorianer das bekannte große
Gemälde von Rubens in der Chiesa nuova bei Seite
schaffen und es nur auf energischen Einspruch des Pater
Theiner wieder auf seinem frühern Platz aufstellen ließ-

Ueberdies ist die Verschleppung heute leichter als
jemals. Bckanntlich ist dem Papste das Recht zuer-
kannt, daß vom Batikan ausgehende und mit dem päpst-
lichen Amtssiegel versehene Sendungen ohne zollamtliche
Visitation und zollfrei überall hin versendet werden
können. Man weiß, daß von 1871 bis 1873 all-
wöchentlich ans dem Vatikan hunderte von Kisten nn-
bekannten Jnhalts unter päpstlichem Amtssiegel nach
Civitavecchia expedirt und von dort anf französischen
Schiffen nach Marseille geschafft wurden. Da weder
das Geheimarchiv des Vatikans, noch die vatikanische
Bibliothek, noch die Archive der verschiedenen apostolischen
Kongregationen jemals eingepackt oder von Rom in's
Ausland geschafft wurden, so liegt die Vermuthung nahe,
daß jene Tansende von Kisten nur verschlepptes Kloster-
gut enthalten mochten. Es scheint aber der Regierung
niemals in den Sinn gekommen zu sein, zu untersuchen,
ob das Garantiegesetz auch jede Art von Mißbrauch
jenes dem Papste eingeräumten Privilegiums sanktionire
und ob nicht gerade der angenscheinliche Mißbrauch
desselben die Regierung ermächtigen würde, sich einmal
von dem Jnhalte dieser Sendungen Einstcht zu ver-
schaffen. Seit dem vorigen Iahre jedoch sind diese

Sendungen weniger zahlreich und seltener geworden:
ein Anzeichen, daß man bereits möglichst vollständig
„liquidirt" hat und daß wenig oder nichts mehr zu ver-
sendcn übrig ist.

Jedoch ist zureichender Grund zu dem Berdachte
vorhanden, daß manche mit dem päpstlichen Amtssiegel
versehene Kiste weder vatikanisches noch klösterliches Gut,
sondern höchst profanes Privateigenthum enthalten habe,
Die italienischen Exporteure stehen mit dem Vatikane
auf bestem Fuß. Namentlich ein vielbekannter römischer
Antiquitätenhändler steht im Verdachte, stch beim Export
antiker Kunstwerke der päpstlichen Prärogative auf's
ausgiebigste zu bedienen und unter dem Schutze dcs
päpstlichen Amtssiegels die verschiedenen öffentlichen und
privaten Kunstsammlungen des Auslandes nicht blos mit
kleinen antiken Bronzen nnd Schmnckgegenständen, son-
dern anch mit lebensgroßen und kolossalen antiken Skulp-
turwerken zu bereichern. Vor einigen Monaten war er
eben daran, einen ganzen antiken Mosaikfußboden in's
Ausland zu transportiren, als die Sache ruchbar wurde
und ihm einige kleine Unannehmlichkeiten mit der Polizei
und der Justiz zuzog. Und zwar nicht wegen des großen
Bolumens dieser Sendung — denn in dieser Beziehung
hätte er sie über die italienische Grenze geschafft, ohne
daß irgend eine Behörde ihrer gewahr geworden wäre
— sonderu anderer Umstände wegen, die ich hier in
der Kürze andeuten will.

Dieser Mosaikfußboden — oder richtiger gesagt
ihrer zwei — war in der Nähe von Ostia ausgegraben
worden. So oft Aehnliches vorkommt, heißt es her-
kömmlich, daß, die Stücke auf Grundstücken zweier oder
mehrerer verschiedener Grundbesitzer aufgefunden wurden,
denn diese Angabe gewährt nach Umständen große Vor-
theile. Zunächst müssen die einzelnen Stücke zu einem
Ganzen vereinigt werden. Der Eigenthümer ist ein
gnter Mann, der mit sich sprechen läßt und sich mit
einem mäßigen Preise begnügen würde. Aber der Eigen-
thümer L ist ein wahrer Wärwolf und stellt die aus-
schweifendsten Forderungen. Er weiß was er thut; der
Käufer des einen Theils will selbstverständlich das ganze
Kunstwerk erwerben, und nach der Ansicht des Verkäufers
kann da kein Preis zu hoch sein; L läßt daher auch
nicht einen Scudo nach. redet zur Güte, aber B
nimmt keine Raison an. Endlich nach langem Feilschen
giebt auch L nach. Der Handel wird abgeschlossen und
der Strohmann B erhält die ausbedungene innnoiu vom
Eigenthümer ^ auf Kosten des Käufers. Oder die
beiden Ehrenmänner und L geben vor, sie unter-
handeln, unter selbstverständlicher Forderung der äußersten
Diskretion, mit zwei verschiedenen Käufern, deren einer
den andern nothwendig überbieten muß. Der wirkliche
Käufer wird endlich entweder mit dem Eigenthümer
oder mit dem Strohmann handelseinig. Am nächsten
 
Annotationen