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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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Valentin, Veit: W. Lindenschmit's Venus und Adonis
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https://doi.org/10.11588/diglit.4970#0368

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W. Lindenschmit's Venus und Adonis.

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stand, der schon durch den zufälligen Anblick eines Ent-
setzen erregenden Gegenstandes erfolgen kann, und der
uns daher keinen Blick in die Seele des ohnmächtig
hinsinkenden Weibes thun läßt. Und nnn die übrigen
Theilnehmcr der Sccne! Sie setzen sich aus drei Lebens-
sphären zusammen. Da sind zunächst die Gefährtinnen
der Göttin. Jhr ganzes Jnteresse geht in der Fürsorge
für ihre schvne Gebietcrin auf, und als ob der Künstler
recht deutlich hätte sagen wollen, wie sie, wohl aus Eri
fahrung, selbst nicht recht an die Tiefe und die Dauer
des Schmerzes der Göttin dcr Liebe glaubten, wendet
sich die Eine dem herbeiflatternden Amor zu, der wie
ein tröstender und rettender Genius seincr Mutter zu-
eilt, wobei er in sehr unschöner Weise — und dies ist
in formaler Beziehung der, wie es uns scheint, einzig
störende Punkt der sonst in dieser Beziehung so har-
nwnischen Komposition — dem Beschauer in eigenthüm-
licher Wendung eincn Körpertheil in voller Ansicht zu-
wendet, der sonst dem Revers anzugehören pflegt. Was
vermag der todte Adonis auf diese Gruppe von Per-
sönlichkeiten für einen Eindruck hervorzubringen als
höchstens einen von sehr sekundärer Art? Noch gleich-
giltiger aber müssen sich die menschlichen Personen ver-
halten, die wir uns doch nur als zufällige Zuschauer
denkcn können, die aber in keinerlei Beziehung zu dem
Gestorbenen stehen, und von denen man überhaupt nicht
wüßte, was sie sollten, wenn sie eben nicht als Träger
bestimmter Farbenabstufungen dem Künstler zur Er-
reichung seiner Farbenklimax nothwendig wären. Eine
innere Beziehung zu dem Todten und daher auch die
Möglichkeit eines Seelenausdrucks bietet allein die dritte
Gruppe der umgebenden Persönlichkeiten dar, und hier
hal der Künstler auch nicht verfehlt, die sich ihm wie
zufällig darbietende Gelegenheit zu benutzen: ich meine
die beiden Hunde des Jägers, die an dem Geschick desselben
mehr umnittelbaren und wahren Antheil nehmen als
die beiden anderen Gruppen zusammen.

Sodann die Wahl des der fortlaufenden Handlung
entnommenen einzelnen Augenblickes. Zst er so inhalts-
schwer, daß uns bei jedem neuen Anschauen des Bildes
auss Neue die ganze Wucht eines geschickumwälzenden
Geschehens erfaßt und kräftig an unser Herz rührt?
Da ist denn wieder die alte Wahrheit zu betonen, daß
im Leben und in der Kunst am ergreifendsten der Zu-
stand wirkt, der in sich die Gewißheit einer unabwend-
baren erschütternden Entscheidung trägt und dennoch
einen Funken von Hoffnung zu gewähren scheint, weil
die sicher ausstehende Entscheidung noch nicht gefallen
ist. Ieder Zustand aber, der eine Entscheidung in sich
trägt, giebt, sei sie auch, welche sie wolle, doch immerhin
eine Beruhigung, eine Sammlung des Geistes und der
Seele, die nun nicht mehr nach verschiedenen Seiten
hin gezogen werden. Jndem nun der Künstler den

Adonis bcreits als todt darstellt, wählt er eincn folchcn
fertigen Zustand, eine unabänderliche Entscheidung, in
die man sich nun finden muß und gewiß auck kann,
zumal wenn man Venus heißt und als Trostspender
den pfeilversendenden Amor zugetheilt erhält. Wie ganz
anders verstanden es doch die Alten, den rechten Moment
zu wählen! Mochten auch die Dichter, wie es Ovid
thnt, erzählen, Venus habe den bereits gestorbeneu Adonis
aufgcfunden: das war eben Sache des Dichters, der in
einem ganz andercn Material arbeitet, der uns lang und
breit die rührenden Klagen mittheilen kann, in welche
die durch keine Zeit beschränkte Venus ausbricht, die
vielmehr klagen mag, so lange es dem Dichter gefällt,
und der Leser es lesen mag. Aber der bildende Künstler,
dem nur ein einziger Augenblick zu Gebote steht, um
uns die Seele seiner Gestalten aufzudecken, der bildende
Künstler folgt seinem eigenen Gesetz. Er bringt Venus
mit dem zum Tode verwundeten Freunde zusannnen und
wir leben mit ihr Hoffnung und Verzweiflung durch,
welche doppelte Seelenstimmung darzustellen dem Maler
eine größere und würdigere Aufgabe ist, als eine in
Ohnmacht sinkende Frauengestalt neben einem mit allem
Grauen des Todes gezeichneten Geliebten. Jenen in der
Thai inhaltschweren Augenblick stellt zum Beispiel das
im Hause des Chirurgen zu Pompeji gefundene Wand-
gemälde dar (Nus. Lord. IV, 17): Adonis ruht vcr-
wundet der Göttin im Schooße, zwei klagende Genien
und der Hund des Jägers sind das ganze Beiwerk der
harmonischen Komposition. Aber freilich, wenn unscr
Künstler den Adonis noch hätte leben lassen, was hätte
aus der Farbenklimax wcrden solleu, die doch offenbar
der Hauptzweck des Bildes ist und in welcher die grau-
sige Todtenfarbe nicht fehlen durfte, um so weniger, als
sie mit ein Haupttheil der Basis ist, auf welcher sich
der strahlende Körper der Göttin der Schönheit aufbaut.
Auch zu Unwahrscheiulichkeiten läßt sich der Künstler
durch seineu nächstliegenden Zweck verleiten. Wir haben
rühmend hervorgehoben, daß die Hunde des Jägers eine
energische Empfindung ausdrücken. Hier aber müssen
wir darauf jhinweisen, daß die Art ihres Ausdrucks
nicht zur isituation paßt. Der Leichnam muß schon
lange liegen: der Leib ist bereits tief eingefallen, die
Farbe ist eine so fahle, daß man nicht nur auf min-
destens einen Tag, sondern auf mehrere schließen möchte.
Die Hunde waren aber vom Anfang des Unglücks bci
dem Iäger, und doch wendet sich der eine witternd nach
dem Leichnam, als ob er ihn eben zum ersten Male
merkte, während der andere in Wehgeheul ausbricht,
gleichfalls als ob seine Empfindung eben den ersten
Anstoß erhielte. Solche auffällige Vermengung aus-
einanderliegender Momente sollte doch zu vermeiden sein.

Und so läßt sich das Urtheil über das Bild dahin
zusammenfassen: der Künstler hat cin Werk geschaffen,
 
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