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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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Holländische Kunstzustände, [2]
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787

Holländische Kunstzustände.

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Ainnäo in Olunäu, o (pnsstu ösoiaiuLLioiis iui vsiiiis
xiu volto sullo lublii'u,"" (Ollkwäu äi Lälliouäo äs
^miois. H'iroiiM 1874.).

Als ein bekannter Freund der schönen Künste kürzlich
an die seit Iahren bestehende Feuergefährlichkeit des
Trippenhuis erinnerte, fühlten sich gerade diejenigen
durch das Wort znr rechten Zeit verletzt, welche durch
ihre engen Beziehungen zum Knnstleben am meisten
Grund hatten, der Bundesgenosse des Alarmrufers zu
sein; war das Wort einmal gesprochen und von der
Menge unserer Landsleute die Gefahr erkannt, so ge-
nügte das, um — keinen Augenblick mehr an die Sache
zu denken. Der Alarmrufer hatte scherzend erzählt, daß
die Amsterdam'sche Feuerwehr sich täglich im Retten von
Rembrandt's Nachtwache und von den sechs oder sieben
Millionen übe, mit denen das Trippenhuis vollgepfropft
ist. Selbst der Verwaltungsrath fühlte sich durch die
Bedeutsamkeit dieser Mittheilungen aus dem Schlaf
aufgerüttetz; doch man fand den Scherz nicht artig und
war ärgerlich über die Störung im festen Schlaf; man
ließ durch ein Vorstandsmitglied in den Tageblättern
daran erinnern, daß schon vor 30 Jahren Vorsichts-
maßregeln und scharfe Vorschriften getroffen und gegeben
worden waren, um im Nothfall die Schätze der Galerie
zu retten (wörtlich, daß scharfe Kerbmesser bereit lägen,
die Leinwandstücke der unsterblichen holländischen Meister
abzuschneiden.). Ob auf die Tafelmalereien und Knpfer-
stiche Bedächt genommen worden war, wurde nicht gesagt,
und die Nation konnte indessen behaglich weiter schlafen.

Enthüllungen, wie pikant, wie trauriger Natur sie
auch seien, können unser Publiknm nicht auf die Dauer
wach erhalten; ste verursachen nicht einmal die geringste
Aufregung, wie viele Beispiele beweisen. Der Grund
der allgemeinen Apathie gegen alles, was Kunst betrifft,
liegt in der Unkenntniß und einseitigen Entwickelung
unseres Volkes.

Wo soll auch Kunstsinn bei uns herkommen, die
wir das Studium des Schönen für nebensächlich, ja
zwecklos halten?

Das Ausland thut uns Unrecht, wenn es uns blos
des Jnteresses am Materiellen beschuldigt; Verehrung
unserer großen Männer der Vergangenheit, berechtigter
Stolz auf alten Ruhm, Tugendliebe nnd Sinn für die
Wissenschaft fehlen uns nicht; für das Gute wird unser
Sinn von Jugend auf geweckt, aber das Auge bleibt
blind und das Herz verschlossen für das Schöne.

Schon anf den Volksschulen lernt man, in Ora-
nien, dem Schweiger, den Vater des Vaterlands zu er-
blicken, und vertheidigt späterhin in instinktiver Liebe
seinen Namen gegen jede Kritik; aber darum/daß sein
ehemaliger Palast zu Delft, der Schauplatz des an ihm
verübten Mordes, in eine schmutzige Kaserne verwandelt
wird, darum kümmert sich kein Mensch.

Fast kindisch zu nennen ist das zähe Festhalten
an der keineswegs begründeten Meinung, daß Lorenz
Coster der Erfinder der Buchdruckerkunst sei; warmn
hat die Stadt Haarlem Geld dafür, ihm ein Monu-
ment zu setzen, ihm dem zweifelhaften, nicht aber ihrem
berühmten Mitbürger, Frans Hals, dessen acht köstliche
Bilder im städtischen Museum allein schon der Stadt
einen Weltruf verleihen köunen? Gieße man doch das
Standbild des Pseudobuchdruckers in das des unsterblichen
Malers um!

So etwa charakterisirt der Verfasser der genannten
Schriften die auffallende Gleichgiltigkeit gegenüber der
bildenden Kunst in seinem Vaterlande; manch' andere
Beispiele führt er noch an, um diese Einseitigkeit der
Jnteressen in Holland zu kennzeichnen, die so weit
geht, daß man zwischen einem Sammler von Kunstwerken
und einem Briefmarkensammler keinen Unterschied zu
machen weiß, die sich selbst in den Universitätsstädten
in der absoluten Uninteressirtheit der Professoren für
die lokalen Sammlungen von Kunstgegenständen äußert.
Jch füge als schlagendes Beispiel hiesiger Begriffsver-
wirrung noch die charakteristische Gegenrede an, die mich
überraschte, als vom Verfall der Kunst in Holland ge-
sprochen .wurde, „nun, und unsere großartigen Wasser-
bauten, Schleußen, Brücken rc., ist das etwa keine
Kunst?"

Und die modcrne Malerei in Holland, steht die
nicht in voller Blüthe? Herr V. de Stuers sagt über
die letztere: „Jch erinnere mich, wie zur Zeit der Wiener
Weltausstellung alle Tageblätter rasten und tobten, weil
ein Deutscher behauptet hatte, daß bei uns die Kunst
nicht viel leiste. Die Unbestimmtheit der Begriffe „viel"
und „nicht viel" erschwert es, diesen Ausspruch zur
Basis einer Diskussion zu wählen. Aber fragen wir
uns einmal ohne Voreingenommenheit und gewissenhaft,
ob denn unsere Malerei in Wirklichkeit ungetheilte Be-
wunderung und Zufriedenheit verdient, so wird man
wohl einigen Einwand erheben müssen. Nicht, daß es
, mir in den Sinn käme zu bestreiten, daß wir uns
einiger vortrefflicher Meister zu erfreuen haben, die
später einmal gewiß ebensogut wie die Meister des 16.
und 17. Jahrhunderts genannt werden; aber ich kann
nicht zugeben, daß die moderne niederländische Maler-
schule sich im Ganzen mit derjenigen früherer Zeit und
in irgend welcher Hinsicht mit derjenigen von Belgien,
Frankreich und Deutschland messen könne. Man er-
innere sich nur daran, daß gegenwärtig nur die Land-
schaft, die Marine nnd das Genre gepflegt werden; die
Historienmalerei, sowohl die mythologische und religiöse
als die eigentliche, ist auch nicht durch einen einzigen
Meister vertreten, und ebensowenig die große Dekora-
tionsmalerei, die früher unsere Kirchen mit prächtigen
Wandmalereien schmückte. Vor allem auffallend ist
 
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