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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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Das Michelangelofest in Florenz, [1]
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8N7

Zur Geburtsfeier Michelangelo's.

8"8

Sei uns gegrüßt, äonisch' Fest,
Vierhundertjähriger Tag, der uns
Der Größten Einen gebar
Jm Menschengeschlecht!

Heut' lagst du, Titan, noch

Ein wimmernd Knähleiu wie nnd're

Jn der sterblichen Mutter Wiege,

Doch schon stand dein Schicksal
Groß in den Sternen —

So erzählen die Deuter.

Und kaum ein Jüngling, hobst du
Aus der still genährten
Schale deiner Kunst
Jene edle Psrle,

Die Mutter der Schmerzen,

Den geliebten Todten im Schoß,
Thränenlosen Auges,

Doch des Menschenleides Tiefe
Jm Antlitz.

Und bald zum Kampf der Geister
Rief dith auf deine Vaterstadt.

Da, iin ersten kühnen Anlauf
Entrangst du dem Fürsten der Maler
Siegreich die lang getragene Palme,
Und ehrfürchtig nannte
Florenz deinen Namen:

Michel Angelo Buonarroti.

Jetzt war nach Rom auch
Zum zweiten Julius, dein Geivaltigen,
Dein Ruhm gedrungen,

Und er erglühte,

Daß du der irdischen Reste Gruft
Jhm hüllest in ewigen Marmor.

Du aber schufst jenen Moses,

Des Gesetzes flammenden Helden,

Der heute, deiner Hände
Riesenhaft Denkmal,

Thront in der römischen Kirche.

Da, wachsend an Gunst,

Befahl der Drangvolle
Auch des vierten Srxtus Capelle,

Der häuslichen Andacht Stätte,
Deinem schmückenden Griffel.

Und kühn durcheilten
Deines Genius Schwingen
Zurück zum ersten Tag
Des Daseins Erinn'rung,

Da Jehovah, voran den Heerschaaren,
Einherbraust' mit allmächtigem Wort,
Zu scheiden die Nacht vom Tage,

Den Wassern zu oämmen die Erde
Und auf sie zu gründen
Des Menschen blühenden Stammbaum.

Deutend der Gottheit Räthsel,
Spürtest du Regung
Allewigen Werdens,

Wie'dein Adam,

Berührt vom Finger Gott Vaters,
Leben verspürte
Und Odem des Geistss.

Du sahst erschließen sich
Des Jrdischen Blume,

Eva, das Weib,

Die, ach! geknickt bald

Von der Schlange giftigem Anhauch,

Znr Geburtsfeier Michelangels's.

Streuts die Aussaat
Des uralten, nimmer endenden
Jammers der Menschheit,

Und jene erste
Furchtbar gerechte Strafe
Trat dir vor Augen,

Die Sündfluthj
Aber die Gnaden auch
Und die Hoffnung des alten Bundes
Sammt der Verheißung des neuen
Sahst du und schufst sie im Bilde
Jener erhabenen Decke.

Doch dort an der Capelle Wand
Welch' dräuendes Kampfbild?

Welch' finstere Schrecken über dem Altar,
Der sonst Friede und Licht zu spenden
Aufragt!

Sind es Giganten, die
Prometheischen Uebermuths
Des Olympiers Blitzen trotzend
Himmelan stürmen?

Hebt Briareus seine Arme
Frevelnd im Aufruhr
Geqen des Donnerers Obmacht,

Der, hoch oben,

Zürnenden Winkes
Seine Götter antreibt
Die Frechen zu schleudern
Zurück in den Abgrund?

Fast wähn' ich's, doch
Näher im Hinblick
Wechselt die Deutung.

Siehe, der Christenheit letzter,
Schrecklicher Tag ist's, den
Dein Seherauge uns malte.
Furchtbarer, du prüftest
Dein eigen Geschlecht
Jn die Nieren,

Und du fandest es leicht,

Zu leicht.

Da gürtete dein Gott sich
Mit dem Schwert erhabenen Zornes,
Und hinab in die Höllentiefe
Erwachter Gewissen
Schleuderte ssin strafender Arm
Die Gottlosen —

Also stehet vor uns
Der Menschenseele
Gerichtstag.

Und doch wie verklärend schün
Hülltest du ein
Mit Blüthen deiner Kunst
Urnen oes Todes!

Deß seid Zeugniß ihr,

Mediceische Gräber,

Die ihr vielverschlung'ne Pfade des
Lebens

Und des Tages
Hell' und dunkls Führung
Versöhnend ausklingt
Dort im Pantheon der Ruhe,

Jn der Heimat.

Aber zurück wieder
Lenkst du den Blick uns,

Und jetzt zum gewaltigen

Wahrzeichen Roma's, -
Dem Aller Herzen entgegenjauchzten,
Die von heute und eh
Suchten das Bild ihrer Sehnsucht,

Die ewige Stadt,

Wann, fern noch, der Grüße ersten
Jhnen winkte die Kuppel Sanct Peter's.

Wer sie nicht geschaut
Am abendlichen Himmel,

Von gold'nem Schimmer umflossen
Hoch zum Aether,

Dem reinen, ragend,

Wer nicht gekniet unter ihr,

Wann von der stolzen Wölbung
Des Tages strahlendes Auge
Warm sich niedergessnkt
Und von der Orgel hoch her
Schwebende Klänge
Sich ihm vermälte», —

Bebend in der L>eele Tiefen,

Wem das nicht bescheert war,

Der hat Roms Größe
Nimmer geschaut
Und deines Geistes Gewalt,

Die erschütternde,

Nimmer geahnt.

Du liehest Gestalt

Des Menschenherzens tiefsten Regungen
Ahnend zur Gottheit empor
Hebt sich die sehnende Brust,
Schwellend im Vertrauen,

Bis sich des Glaubens
Sicher gefesteter Dom
Wölbet zum Jenseits.

Einsam aber wandeltest du
Deines Gestirnes Bahn,

Freude und Leid des Daseins
Dämonisch im Busen verschließend.
Einmal nur entriß dich
Schweigender Schwermuth
Jener herrlichen Freundin
Wunschlose Liebe,

Zur Gluth dich entfachend,

Wie sie grotze Herzen
Noch im Alter erwürmt.

Doch nur zu bald
Entschwand deinem Auge
Jhr tröstliches Bild. "

Ernst und ernster

Lagerte auf der sdel gefurchten Stirn' dir
Des Erlebten Schwere,

Und nur ein Schimmer
Deiner ersten und letzten Liebe
Erleuchtete noch deiner Tage Heimgang:
Ein Schimmer der göttlichen Kunst.

Trauer erfüllet die irdische Brust
An des Genius Grabe,

Ob er gleich ewig lebt;

Aber heute kehrt freudige Feier
Einzig uns ein am Tage,

Der uns der Größten Einen gebar
Jm MenschengeschlechU
Michel Angelo Buonarroti!

O. Eisenmann.
 
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