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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,1.1905-1906

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1905)
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Avenarius, Ferdinand: Spielzeug
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https://doi.org/10.11588/diglit.7963#0381

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mächtiger geworden die Richtung auf das „Fertige", das „von sich
aus" ein bis drei Kunststücke rann. Und auf das sogenannte „Schöne".
Ach, dieses Schöne! Mit den eleganten Puppenkleidern Pflegt es
geradezu Eitelkeit und Putzsucht. Soweit dieses „Schöne" aber, das
Puppen-Schöne, Formen nnd Farben selbst bearbeitet, verdirbt es den
gesunden kindlichen Sinn für kräftigen Ausdruck und päppelt das Ver-
gnügen jener hohlen Gefälligkeit, Eleganz und äußerlichen Glattheit
groß, das uns jahrzehntelang selbst bei den Aposteln und dem Hei-
lande auf kirchlichen Bildern vorzugsweise nach Gewandmotiven,
großartigen Attitüden und wohlgefälligen Locken sehen ließ.

Anfänge der Besserung sind gemacht, nachdem beim Bilderbuche
der Bann gebrochen worden war. Jch erinnere an das „Dresdner
Spielzeug", das von verschiedenen Firmen und neuerdings auch von
einem Vereine unter Beihilfe tüchtiger Künstler schon glücklich aus-
gebaut wird, auch schon billiger geworden ist, bei reger Nachfrage ohne
Zweifel noch wesentlich billiger werden kann, und dessen Grundsätze
man jetzt auch anderswo zu verwirklichen strebt. Nach ganz anderer
Richtung brauchbar ist z. B. der Baukasten „Matador" des Albrecht
Dürerhauses in Berlin. Hoffentlich nehmen sich die Künstler bald auch
desjenigen Spielzeugs an, das früher zu dem hübschesten von allen
gehörte, der billigen Modellierbilderbogen, mit denen sich einst anch
das Kind der Armen schon allerliebste Dörfer und Städte selber
zusammenpappen konnte, während jetzt die alten künstlerischen Vor-
lagen größtenteils durch Papier-Gebäude „ersetzt" worden sind, die
freventlich an die Jdeale der Baugewerkschulen Gottlob nun ver-
gangener Jahrzehnte erinnern. Auch das Puppen-Theater empfehle
ich unsern Künstlern und denen, die mit ihnen gehen. Nicht nur
das teure mit hölzernen Figuren, nein, gerade das billige und billigste,
herzustellen nach Bilderbogen zu jO bis 25 Pfennigen das Stück.
„Die Mengc tut es."

Aber wir laufen Gefahr, bei der Umschau nach Einzelheiten
das Ziel unsrer Weihnachtsbetrachtung zu übersehen. Man darf wohl
sagen: die Schule ist das künstliche, das Spiel ist das natürliche
Erziehen. Versuchen wir nicht, abzuwägen, was für den Menschen
wichtiger ist, wir könnten's vielleicht nicht einmal! Bedenken wir
lieber einmal, und sei es nur obenhin, was alles an Kräften des Leibes
und der Seele im Spiele geübt, gebildet und vorgebildet wird vom
Niedrigsten bis zum Höchsten oder auch vom Höchsten bis zum Nied-
Ngsten, je nachdem das Spiel ist. Dann erstaunen wir vielleicht über
seine Macht als Veredler oder Erniedriger. Gottlob: wie ein ge-
suuder Leib nicht so leicht Bazillen, so nimmt ein gesunder Geist
uicht so leicht Krankheitskeime aus, und in der Jugendkraft erst recht
uicht. Gar zu ängstlich zu sein, ist kein Grnnd. Aber zu eiuer Bazillen-
Kucht doch wohl erst recht nicht. Lehnen wir das modische immer
„feinere" und „feinere" Spielzeug mit Entschiedenheit ab und dringen
wir immer wieder auf einfaches, das den geistigen Zähnen zn knacken
gibt, stE daß es ihnen die Speisen zugeschnitten, ja vorgekaut zu-
schiebt. Das ist etwas Nötiges zur Reformation des Jugendspiels. Und
somit immerhin auch etwas Nötiges an unsrer Kulturarbeit über-
haupt. A

2. Dezembcrhcft t905 L05
 
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