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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 7.1932

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Gábor, László: Die Architektur der Gegenwart in Österreich
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https://doi.org/10.11588/diglit.13707#0109

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Im Vordergrund Parterrehaus von Richard J. Neutra, dahinter Stockwerkhaus von Oskar Wlach

Au premier plan, maison ä rez-de-chaussee seulement de Richard J. Neutra ; au fond, maison ä plusieurs etages de Oscar Wlach
In the foreground one-floor house by Richard J. Neutra, behind two-floor house by Oskar Wlach

noch erinnerlich sein wird, mit dem Versuch der Bewälti-
gung der materiellen Nöte der kunstgewerblich tätigen
Mitglieder und wurde sich der hier neu erstandenen Auf-
gabe erst gar nicht bewußt. Eine kleine weiterblickende
Minderheit der modernen Architekten verließ ihn, um im
„Werkbund Wien" unter Protest ein Scheindasein zu
fristen. Den wesentlichen Anteil an der modernen Archi-
tektur, den zweifellos der Deutsche Werkbund im Reich
genommen hat, hat der Osterreichische Werkbund in-
folge dieser widrigen Umstände damals zu nehmen ver-
säumt, und so blieb die Gemeinde Wien auch aus diesem
Grunde ohne Berater. Erst im Jahr 1929 fand sich der
österreichische Werkbund wieder zusammen, und das
erste Resultat war die Übertragung einer Mustersiedlung
der Heimbauhilfe Gemeinde Wien, die vor der Voll-
endung steht.

Selbst bei repräsentativeren Aufgaben als bloße
Wohnbauten für Arbeiter und kleine Angestellte wurde
nicht der richtige Weg beschritten, wie einige hier bei-
gegebene Abbildungen nachzuweisen vermögen. Da ist
zum Beispiel der riesige „Karl-Marx-Hof" mit mehr als
tausend Wohnungen, für dessen Entwurf das Stadtbau-
amt verantwortlich zeichnet, das mit viel Aufwand er-
slellte „Amalienbad", das gleichfalls zu Lasten des
Stadtbauamtes zu buchen ist, und zu guter Letzt die
„Kinderübernahmesteile", die zu erbauen auch dem
Stadtbauamt vorbehalten blieb. Diese drei Beispiele

von „gehobener" Architektur, entstanden aus einer be-
sonderen Anstrengung, machen weitere Kostproben von
dem Durchschnitt der Gemeindebauten überflüssig. Daß
es aber auch anders geht, beweisen die beiden Tandlers
Ressort unterstellten Bauvorhaben: ein Tuberkulosenspital
von Judtmann und Riß und das im Prater befindliche
Stadion des Deutschen Schweizer.

Die moderne Architektenschaft mußte, da bei den Ge-
meindebauten für Experimente wenig Raum blieb, ihren
Drang hierzu hauptsächlich an kleineren Aufgaben be-
friedigen. Es sind hierbei Leistungen entstanden, die ein
beträchtliches Niveau aufweisen und den klaren be-
stimmten Willen zu einer internationalen Baugesinnung
zeigen. Erfreulicherweise sind hierbei Auswüchse einer
Mitläuferschaft, aber auch überspitztheiten allzu Unent-
wegter vermieden worden, was auch daher kommen
mag, daß hier die moderne Baukunst schon eine Vor-
kriegstradition hatte und nicht, wie in anderen Ländern,
erst neu entdeckt werden mußte. In diesem Zusammen-
hang wäre es sehr aufschlußreich, bei gegebener Ge-
legenheit in der „Form" eine Zusammenstellung moderner
Wiener Vorkriegsbauten zu zeigen, die bestimmt für
viele eine Neuentdeckung bedeuten und obendrein den
Gegnern beweisen würde, daß die moderne Architektur
keine bolschewistische Erfindung ist, sondern schon in ge-
ruhsamen Friedenszeiten feste Wurzeln zu fassen ver-
mochte.

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