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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 7.1932

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Schmidt, Walther: Gewerbeerziehung
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https://doi.org/10.11588/diglit.13707#0147

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Ist so ein gewisser, dem handwerklichen Unterricht ein-
gefügter Formunterricht unvermeidlich und an sich wertvoll,
so wird er auch vielfach praktisch wichtig für den ausführen-
den Schreiner. Es ist ja so, daß ein guter Teil der Schrei-
nerarbeiten nach eigenem Entwurf des Schreiners erfolgt.
Freilich ist der Vorgang der Ablösung des Entwurfes von
der Ausführung unvermeidlich, er entspricht der fortge-
schrittenen Spezialisierung aller Arbeitsvorgänge. Man
mag diese Erscheinung bedauern, man wird sich jedoch mit
ihr abfinden müssen, wenn sich auch schon da und dort An-
zeichen einer rückläufigen Bewegung geltend machen.
Immerhin geht ein beträchtlicher Teil der Erzeugung des
Schreinergewerbes nicht nur aus der Hand, sondern auch
aus dem Kopf des Schreiners hervor. Wollte die Gewerbe-
schule an dieser Tatsache vorübergehen, so wäre das
ebenso falsch, als wollte sie im Gegenteil Innenarchitekten
ausbilden. Deshalb ist es nötig, daß die Schule Gefühl für
einfache klare Verhältnisse zu wecken sucht und in der sau-
beren zeichnerischen Darstellung einfacher Objekte unter-
richtet. So kann der dilettantischen Aneignung irgend-
welcher Entwurfstechniken vorgebeugt werden, die sonst
ja doch später bei Bedarf vom Schreiner versucht werden.
So wird auch die Grundlage zum Verständnis fremder Ent-
würfe und Pläne gelegt, wie überhaupt „Planlesen" nicht
das letzte Fach einer Gewerbeschule sein sollte.

Freilich tut sich hier ein gefährliches Grenzgebiet zu den
Kunstgewerbeschulen und ähnlichen Schulen auf, Schulen,
bei denen Entwurf und Ausführung nicht grundsätzlich in
eine Hand gelegt sind und bei denen der Nachdruck
nicht auf dem „Gewerbe" liegt. Wir wollen gerne hoffen,
daß sich beide Arten von Schulen aus einer natürlichen
Entwicklung heraus mit der Zeit reinlicher gegeneinander
abgrenzen werden, oder besser: daß sie in ein stufenför-
miges Verhältnis zueinander eintreten mögen. Das Beste,
was von der Gewerbeschule aus zu solcher Entwicklung
beigetragen werden kann, ist der Verzicht auf Arbeiten,
die aus dem Geist des Papiers entstehen, und die Vermei-
dung modischer Spielereien. Es ist in Ordnung, wenn von
hundert Lehrlingen dasselbe gute gediegene Stuhlmodell
handwerklich wiederholt wird. Aber es wäre das Ende ge-
werblicher Erziehung, wenn sich jeder Lehrling um eine
eigene originelle Form bemühen sollte. Maß und Beschei-
dung der Schüler und Lehrer ist mit verlangt, wenn Form-
erziehung gefordert wird.^

Die zweite große Aufgabengruppe der Schule erwächst
aus der Verpflichtung zu menschlicher Erziehung. Die Volks-
schule bietet keine in sich geschlossene Erziehung. Der
junge Mensch entgleitet ihr in den Jahren, in denen Füh-
rung am nötigsten wäre. Wenn man fragt, worin vor allem
der relative erzieherische Erfolg der humanistischen Bildung
zu suchen ist, so doch wohl erstens in der Tatsache vorwie-
gend ideeller Beschäftigung innerhalb eines in sich ge-
schlossenen Gedankenkreises während wichtiger Lebens-
jahre des Heranwachsenden, und zweitens in der Muße
zu freiem Wachstum und eigenem Bildungsstreben, die
neben der schulischen Beschäftigung bleibt und von ihr ge-
fördert wird. Das rein persönliche Element des Lehrers sei
aus der Betrachtung ausgeschieden, es handele sich nur um
das Grundsätzliche der Erziehungsform. Es ist die Aufgabe
der Gewerbeschule, allmählich eine Erziehung herauszu-
bilden, die dem jungen Menschen neben der fachlichen

Ausbildung eine solche innere Rundung geben kann, die
dem humanistischen Erziehungsideal entspricht. Nur daß
diese neue Erziehungsform das Gemeinschaftliche noch
stärker wird betonen müssen, als die humanistische Er-
ziehung, die von der Gemeinsamkeit ausgehend mehr auf
den Menschen als einzelnes geistiges Wesen abzielt.

Wir besitzen heute nicht viele Werte überpersönlicher
Art, die eine Gemeinschaft auf breitester Grundlage, die
wir heute so dringend brauchen, bilden könnten. Die Kräfte
des Religiösen, der ständischen Gliederung, die sonst die
wichtigsten Erzeugenden von Gemeinschaften sind, sind
heute zu sehr erschöpft, privatisiert oder gegeneinander-
gestellt. Als gemeinschaftsbildende Kraft erscheint jedoch
heute möglich die Arbeit. Arbeit jedoch weniger im sozia-
len Sinn verstanden, mehr in dem Sinn des Verhältnisses
des Menschen zu seinem Werk. Die Beziehung zum Werk
vermag dem Menschen einen Mittelpunkt der Persönlich-
keit zu geben, um den sich die übrigen Beziehungen zur
Umweit konzentrisch lagern können, daß ein in sich be-
ruhigtes Einzelwesen entsteht, das sich sinnvoll einer größe-
ren Gemeinschaft eingefügt fühlt. Solche Erziehung liegt
außerhalb der bloßen Wissensmehrung, die zur Halbbil-
dung führt, sie sucht nicht die Menschen von außen her an
der geistigen Arbeit teilnehmen zu lassen, die von anderen
Schichten des Volkes geleistet wird, sondern sie will inner-
halb ihres Rahmens in sich geschlossene Einzelmenschen
heranbilden, die allein berufen sein können, Träger einer
Kultur zu sein, die wir doch in allen verankert wünschen.
Das Ziel solcher Erziehung ist im Gebiet der Gesinnung,
des Charakters errichet.

Wenn so versucht wird,dieErziehung der Heranwachsen-
den in der Richtung eines abgerundeten Weltbildes und
der sinnvollen Einfügung des Einzelnen in die Gemein-
schaft zu beeinflussen, so kann auch ein Begriff wieder er-
höhte Bedeutung erlangen, der in jeder gewerblich be-
deutenden Zeit die größte Rolle spielte, der Begriff der
gewerblichen Qualität als menschliche
Verpflichtung und damit, äußerlicher gesehen, der
Arbeitsehre und der Berufsehre. Wenn wir nicht das Heil
darin sehen, die Tendenzen einer industralisierten und
materialisierten Epoche durch freiwillige Atomisierung der
Gemeinschaft zu unterstützen, so werden wir auf alle die
Werte zurückgreifen müssen, die geeignet sind, die euro-
päische Kultur auf ihren eigentlichen Grundlagen erneut
zusammenzubinden.

Wie nun solche Ziele im Unterricht verwirklichen? Wenn
irgendwo, so muß hier an das fast Unmögliche als ein
Mögliches herangegangen werden und so versucht wer-
den, Wege zu entwickeln. Ein solches Ziel wird nur er-
reichbar sein, wenn die Struktur der Zeit von selbst ihm ent-
gegenkommt. So lange die religiöse und weltanschauliche
Zerrissenheit unserer Zeit andauert, wird man nur Teil-
lösungen erwarten dürfen.

Die Wege solcher Erziehung sind nicht aus dem Ver-
stand heraus zu finden. Es wird mehr nötig sein: Ver-
senkung in die Aufgabe, menschliche Anteilnahme,Glaube,
Einsatz der Persönlichkeit. Der Aufbau solcher Erziehung
ist organischem Wachstum unterworfen, er kann weder
aus dem Verstand noch dem Willen Einzelner oder von
Kommissionen dekretiert werden. So lag es auch im Sinne
dieser Ausführungen, Fragen offen zu lassen.

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