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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 7.1932

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Lotz, Wilhelm: Die Aufgaben des Gestaltungsunterrichts
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https://doi.org/10.11588/diglit.13707#0149

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liehe Aufgabe des Gestaltungsunterrichts. So ergeben
sich drei große Gruppen von Fähigkeiten, deren Ausbil-
dung die Schule Beachtung schenken muß, und zwar in der
Form, daß bei den einzelnen Schülern je nach Veranla-
gung das Schwergewicht auf die eine oder andere Gruppe
von Fähigkeiten gelegt werden kann. Das Ziel der Er-
ziehung muß immer bestehen bleiben: der Mensch als ar-
beitendes, dienendes und förderndes Mitglied der Ge-
sellschaft.

Wie jeder Unterricht, zeitigt der Gestaltungsunterricht
Ergebnisse, die — wozu gerade er leicht verführt — nicht
als hohe Werte angesehen werden sollten, sondern als
Leistungen im Rahmen der Möglichkeiten, die dem Einzel-
nen gegeben sind. Weiterhin aber bilden diese Ergebnisse
ein ausgezeichnetes Material, um sich ein Bild über Wesen
und Anlage des einzelnen Schülers zu machen. Man
könnte sich sehr gut denken, daß ein Klassenlehrer oder
ein Rektor, der ein ausreichendes Bild über einen Schüler
erhalten will, sich nicht nur die Zeugnisse und die Arbeiten
in den wissenschaftlichen Fächern vorlegen läßt, sondern
den Schüler auch bei Turnen und Sport beobachtet und
nicht zuletzt dessen Arbeiten aus dem Gestaltungsunter-
richt eingehend prüft. Dann kann er ein ziemlich abgerun-
detes Bild über den Schüler erhalten. Gerade in Zeichnun-
gen von Schulkindern offenbaren sich manchmal geheimste
seelische Regungen; besonders interessant sind die Arbei-
ten schwer erziehbarer oder körperlich gehemmter Kinder.

Einleitend sprachen wir schon von der Freude des Er-
ziehers an der Erziehungsarbeit selbst. Bei modernem
Zeichenunterricht begegnet man dieser Freude sehr häufig
in einer für diesen Unterricht nicht ungefährlichen Form.
Es ist eine zwar sehr begreifliche Verliebtheit des Lehrers
in das Zeichnen der Schüler. Die Lehrer sind künstlerisch
begabt, mit künstlerisch schöpferischem Ehrgeiz behaftet.
Es hat ja so viel Reiz, die Schüler so recht unbesorgt und
naiv zeichnen zu lassen, und oft sagen die Lehrer selbst,
daß sie künstlerische Anregungen aus diesem Kinderzeich-
nen erhalten. Es ist aber sicher nicht ungefährlich, wenn
der Zeichenlehrer mehr Künstler als Pädagoge ist. Er
nimmt deshalb auch oft unter den anderen Lehrern eine
Art Sonderstellung ein. Die Kollegen nehmen seine Arbeit
als Spielerei hin und sehen den pädagogischen Wert nicht.
Es sind sicherlich sehr viel beachtenswerte Versuche ge-
macht worden, den Zeichenunterricht in Verbindung mit
anderen Lehrfächern zu bringen. Das ist gut, aber den
Kern der Sache trifft es noch nicht. Es entsteht sogar leicht
die Gefahr, daß er als Anhängsel für allerlei andere
Fächer aufgefaßt wird. Der Zeichen- und Gestaltungs-
unterricht gehört seinem Wesen nach in die Gruppe der
Fächer, die die Ausbildung der Empfindung zu pflegen
haben. Und die Pflege der Empfindungsfähigkeiten muß
auch in den anderen mehr wissenschaftlichen Fächern be-
achtet werden. Nicht nur der Zeichenlehrer muß sich den
anderen Fächern nähern und die Verbindung aufnehmen,
sondern — was noch wichtiger ist —, in den anderen
Fächern muß man sich nach dem Sinn und dem Wesen des
Gestaltungsunterrichts orientieren und nach dorthin Füh-
lung aufnehmen.

Es wurde schon ausgeführt, daß der Gestaltungsunter-
ticht Teil der Erziehung ist. Und daraus ergibt sich, daß
die Gestaltung nicht das Ziel des Unterrichts ist, sondern
das Mittel. Nun darf nicht übersehen werden, daß genau

wie bei Spiel und Sport auch beim Gestalten sich ein Be-
tätigungsdrang äußert, ein Ausleben bestimmter Seiten
des Spieltriebs, die in disziplinierte Bahnen gelenkt wer-
den müssen. Wir dürfen auch nicht vergessen, daß hier
die Grundlage zu großen Werten der menschlichen Ge-
sellschaft liegen, die wir als Arbeitsfreude, als Betätigungs-
trieb, als freudiges Ausleben bezeichnen. Man nimmt
heute die schauspielerischen Aufführungen in den Schulen
als Erziehungsmittel nicht nur ernst, sondern als ein not-
wendiges tätiges Sich-Ausleben der Schülergemeinschaf-
ten. Das selbst Erarbeitete in den wissenschaftlichen
Fächern, auch das im Spiel Erlernte ist als ein neuer Fak-
tor in den Unterrichtsplan eingezogen, und man denkt da-
bei an die Bildung menschlicher Werte und nicht nur an
das Wissen, das diese Art Unterrichtsmittel vermittelt.

Zum Schülersein gehört heute, und das ist eine große
Errungenschaft der modernen Pädagogik, nicht nur das
ständige Aufnehmen, das Lernen mit bestimmter Ziel-
setzung, sondern ebenso wichtig auch das Produzieren.
Und wenn es nur in den Formen spielerischer Betätigung
geschieht. In der Schulzeit soll nicht nur immer mehr Stoff
in den Schüler hineingepreßt werden, von dem er dann
später im Leben im Beruf zu zehren hat. Nein, auch der
Schüler hat sein Leben und gestaltet sich sein Leben. Und
die Gestaltung dieses Lebens als eine aktive, nicht etwa
passive Funktion beginnt in der Schulzeit.

Der Mensch von Morgen soll erzogen werden als ein
gestaltender Mensch, als einer, der sein Leben formt und
der sich entfalten will, der seine menschlichen Ansprüche
an Leben und Umwelt stellt. Er tritt als Fordernder auf und
als Formender, nicht als zu Formender allein. Wirvom Werk-
bund haben allen Grund, dieses Leben auf dem Gebiet
der allgemeinen Erziehung zu beachten und die tieferen
geistigen Zusammenhänge zu verfolgen, die zwischen
diesen Ideen und den Ideen des Werkbundes bestehen.

Wenn man von einer Wandlung der Werkbund-Idee
sprechen kann, so liegt offenbar dieser Wandlung das Be-
streben zugrunde, den Menschen und die Ansprüche, die
er ans Leben stellt, stärker zu betonen. Früher, vor
25 Jahren, stellte man neben den Gebrauchszweck und die
Art seiner Verarbeitung das Material als ebenbürtig bei
aller Formung beteiligt. Heute wird das, was man damals
Gebrauchszweck nannte, tiefer ausgedeutet und beherr-
schender. Im Zweckhaften sieht man den Zusammenhang
mit dem Menschen und seinem Leben. Die anderen Fakto-
ren, Materialgerechtigkeit und Werkgerechtigkeit — also
das, was bei der eigentlichen Herstellung stärker mit-
spricht — verschwinden nicht, aber sie treten zurück. Das
Gestaltete interessiert uns nicht nur als fertiges Objekt, son-
dern noch viel mehr als Werkzeug einer neuen Gestaltung.
So tritt in der Gruppierung von Ideen, die den Werkbund
interessieren, der Mensch stärker und immer mehr als For-
dernder auf. So sehr uns die Maschine als Werkzeug
interessiert, so steht doch über diesem Interesse die Frage,
wie kann die Maschine dazu dienen, das Leben des Men-
schen zu verbessern und zu verschönern. Es zeigen sich
deutlich Parallelen zu dem, was wir über die moderne Er-
ziehung gesagt haben, und es ergibt sich daraus, daß das
Interesse des Werkbündlers für diese Fragen nicht allein
aus der gebietsmäßigen Nachbarschaft entspringt, son-
dern ebenso sehr den geistigen Zusammenhängen gilt.

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