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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 7.1932

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Rückert, Otto: Fortsetzung der Diskussion um das Handwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.13707#0269

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wird. Die einmal übernommene Verpflichtung, den Bestand
des Handwerks zu verteidigen (gegen wen, ist eine andere
Fiage, die ich vorläufig offen lasse) bzw. zu mehren, kann
nach meinem Erachten nur auf dem Boden einer berufs-
ständischen Weltanschauung gedeihen, und es ist nicht von
der Hand zu weisen, daß gerade dieses Denken im und
um des Handwerks willen leicht in jene Enge führt, die man
als eine utopisch gemeinte Abwehrstellung gegen die
übrige Gesellschaft bezeichnen kann. Diese Behauptung
bedarf selbstverständlich einer weitgehenden Einschrän-
kung und dieses Bekenntnis darf Ihnen als Beweis dafür
dienen, daß ich die Schwächen und die fehlerhaften Kon-
struktionen, die die Gedankengänge des Handwerks hie
und da beherrschen, recht gut kenne und daß ich gewillt
bin, die Diskussion um das Handwerk weiterhin so sachlich
und unromantisch wie nur irgend möglich zu führen.

Mit vollem Recht haben Sie, verehrter Herr Lötz, auf die
Unsitte, das Handwerk als den berufenen Erzeuger soge-
nannter Luxusgüter auszugeben (und damit gegen die In-
dustrie bewußt auszuspielen) hingewiesen, und ich muß
restlos zugestehen, daß gerade in den Kreisen der soge-
nannten Kunsthandwerker diese erwähnte Darstellung des
Sinnes undWertes der handwerklichen Arbeit weitgehende
negative Auswirkungen zeitigte.

Mit allem Freimut sei einmal festgestellt, daß die meisten
Handwerker, die sich irgendwie mit Form und Farbe be-
fassen, stets dazu neigen, die wirtschaftlich und menschlich
wichtige und entscheidende Plattform ihres Tuns, die Er-
stellung durchaus nützlicher Dinge, tunlichst zu verleugnen
und das Heil dieser Erde in jenen Regionen zu suchen,
deren Grenzen äußerst sichtbar mitdenendeskünstlerischen
Beginnens zusammenfließen. In Ihrem Briefe erhoben Sie
gegen den Großteil der Handwerker den Vorwurf, daß
dieser nicht sorgfältig genug arbeite, daß er für einen be-
sonders wertgeschätzen Kunden einmal etwas Ordent-
liches mache, um im gleichen Atemzuge im Rahmen einer
mehr anonymen Aufgabe (z. B. innerhalb einer Großsied-
lung oder im Gefüge öffentlicher Bauten) alle Sorgfalt
hintanzustellen. Welche Antwort soll ich Ihnen nunmehr
erteilen? Die Einstellung und die geistige Haltung der
„Form" zwingt mich geradezu, alle wirtschaftspolitischen
Fragen so weit wie möglich auszuschalten, und doch muß
ich meine Behauptung, daß der Mißbrauch, der mit der
Verdingung handwerklicher Arbeiten getrieben wird, im
gerüttelten Ausmaße dazu beigetragen hat, die Gesin-
nung der Handwerker zu verschlampen, im vollen Umfange
aufrecht erhalten. Ich würde meinem eigenen Berufsstand
einen nicht unbedeutenden Schaden zufügen, wenn ich
nicht jede Gelegenheit benutzen würde, um in der breiten
Öffentlichkeit auf die tiefgehenden sittlichen Schäden hin-
zuweisen, die dem Handwerk durch die seltsamen Formen
der Verdingungen, der öffentlichen Ausschreibungen und
der seltsamen Preisbildungen erwachsen.

Andererseits kann die bereits oben erwähnte, tief ein-
gerissene Unsitte der Überschätzung aller „kunstgewerb-
lichen Dinge" nicht oft genug und nicht deutlich genug an
den Pranger gestellt werden. Aus dieser Unsitte, die seit
50 Jahren die Köpfe beherrscht und verwirrt, erwuchs uns
seit den Tagen der unseligen Stilnachahmung die unter der
Decke mühsam verhaltene Glut einer steten Unzufrieden-
heit der Handwerker, ihre feindselige Haltung gegen das
Neue, gegen das Unromantische und Unsentimentale und
darüber hinaus die Mißachtung der „geringfügigen Auf-
gaben". Es ist nämlich mehr als eigentümlich, daß ein
Großteil der Handwerker in Stadt und Land unter diesen
„geringfügigen Arbeiten" nicht, wie man annehmen könnte
und sollte, die Arbeiten kleineren und kleinsten Umfanges

erachten, sondern solche, die ihnen phantasie-und wesens-
los erscheinen. Die meisten von uns halten an der sonder-
lichen Anschauung fest, daß nur die „bessere Arbeit" (z. B.
die Wandbemalung, die geschmiedeten Arabesken oder
aber geschweifte Beine und reiche Profile eines prunk-
vollen Möbelstückes) als handwerkliches Gut zu gelten
habe, daß es nur in diesen und ähnlichen Fällen verdienst-
voll sei, den „Schweiß des Edlen" zu vergießen, während
alle anderen Arbeitsvorgänge und -Verrichtungen als
„Klafterarbeit" lediglich dazu berufen seien, die wertlose
Schale darzustellen, in die die köstliche Perle der „Kunst-
gewerblerei" eingebettet ist. Und diese Meinung wird im
besten Falle mit schönen Redensarten von der Kulturver-
pflichtung der besten Geister des Handwerks verbrämt,
während im schlechtesten Falle heute noch eine große
Reihe von Handwerksmeistern allen sogenannten kultu-
rellen Bewegungen im Handwerk völlig verständnislos
gegenüberstehen. Diese leben von den Brosamen, die von
dem Tische der Industrie abfallen, d. h. sie treten lediglich
als Händler in Erscheinung, die irgendwelche industriell er-
stellten Dinge an Hand eines Kataloges auswählen und
dann schlecht und recht irgendwo, wo es auch sein möge,
d. h. ohne Rücksicht auf Umgebung und Zweck der Dinge,
anbringen. Die letztere Feststellung wird allerdings immer
wieder hartnäckig von verschiedenen Stellen des Hand-
werks als eine Übertreibung bekämpft, trotzdem sie als
eine offen zutage tretende Wahrheit erkannt wird. Ge-
flissentlich sehen die meisten Handwerker, die sich mit
Form oder Farbe befassen, über den Umstand hinweg,daß
die Werkgesinnung (die als solche ein gravierendes Merk-
mal der Kulturverpflichtung des Handwerks ist) eine gleich-
mäßige Hingabe an a I I e Arbeiten, die dem Handwerker
unterlaufen, gebieterisch erheischt. Ich habe bei der Zu-
sammenstellung des Anschauungsmaterials für die mir
unterstellten Schulen versucht, die verschiedensten „Stil-
erscheinungen", d. h. alle Modetorheiten, denen unser
Handwerk in den letzten bewegten 20 Jahren nachjagte,
im Schaubild zusammenzustellen. Der Weg vom wildbran-
clenden „Expressionismus" über den „Neoexotismus", der
chinesische und indische Vorbilder aufwärmte, bis zur
„Wandbemalung" im Sinne der neuen Sachlichkeit, die im
Gewände einer aufgemalten Röhrenanlage einhergeht,
führt in direkter Linie zu einer ungeahnten Barbarei, und
es ist geradezu frappierend, wie im Gegensatze hierzu
eine höchst kultiviert erscheinende Linie von einem Gemach
eines Rokokoschlosses über den Empire- und Biedermeier-
raum hinweg bis zu einem modernen Raum (etwa im Sinne
der Räume des Hauses Tugendhat) gezogen werden kann.
Es ist mehr als augenscheinlich, daß der gegenwärtige
Handwerker den Begriff Tradition völlig falsch ausdeutet.
Tradition, d. h. die Fortführung der uns überkommenen
handwerklichen Gesinnungsmomente, bedeutet für ihn so
etwas wie„Ornament"und reiche Ausstattung eines Dinges
und nicht, wie es eindeutig und sinnvoll wäre, die von den
Bedürfnissen einer Zeitspanne bestimmte einwandfreie
Darstellung des Werkstoffes. Zur näheren Illustrierung des
eben Gesagten sei nur darauf hingewiesen, daß ich allen
Ernstes wegen meiner unverhohlenen Abneigung gegen
die erwähnte falsche Tradition von einem Verband kunst-
gewerblich abgestellter Handwerker als „blutiger Laie"
und als „handwerksfeindlicher Schulmeister" bezeichnet
wurde und daß selbst in unseren eigenen Reihen da und
dort die Meinung vertreten wird, daß wir kraft unserer
Lehranschauungen und -methoden den Maler zum Anstrei-
cher herunterwürdigen. Dies aber nebenbei! Ebenso
nebenbei wie eine äußerst bezeichnende Rekonstruktion
der Gedankengänge eines Lehrers einer Kunstgewerbe-

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