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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 7.1932

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Bruckmann, Peter: Die Gründung des Deutschen Werkbundes 6. Oktober 1907
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https://doi.org/10.11588/diglit.13707#0351

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den und in diesen Sommermonaten 1907 entwickelte sich
die auf dem Kongreß in Düsseldorf nur von drei Männern
vertretene neue Gesinnung zu einem Programm von glän-
zender Werbekraft, das von begeistertem Willen getra-
gen war.

Jedem, der in den Gründungstagen in München war,
wird es unvergeßlich sein, wie stark die Hoffnung und der
Glaube auf einen Sieg des Werkbund-Gedankens in
jedem lebte. Die Gründungsversammlung eröffnete und
leitete Scharvogel, München, seitens der Künstlerschaft
sprach Schumacher, Hamburg, und von seiten der Indu-
strie und des Gewerbes sprach ich selbst, der ich auf die
furchtbare Geschmacksverrohung in der Kunst-Industrie
aus eigener Erfahrung hinweisen konnte.

Diese große und bedeutsame Kundgebung ließ die
Leute aufhorchen und fand Widerhall in der ganzen Welt.
Das Programm des Deutschen Werkbundes enthielt einen
§ 2, der heute noch die Grundlage der Werkbundarbeit
bildet. Er heißt: „Der Zweck des Bundes ist die
Veredelung der gewerblichen Arbeit im
Zusammenwirken von Kunst, Industrie
und Handwerk, durch Erziehung, Propa-
ganda und geschlossene Stellungnahme
zu einschlägigen Frage n." Auch heute noch
wird das erste Ziel sein: Die Veredelung der gewerb-
lichen Arbeit. Diese Veredelung wird sich aber ganz von
selbst auf das Einzelhaus, die öffentlichen Bauten, den
Städtebau überhaupt, erstrecken. Von der Architektur
wird die Behandlung der Formfragen ausgehen. Damit
tritt die Arbeit des Werkbundes aus den Werkstätten
hinaus unmittelbar vor die Augen des Volkes, und wer
heute mit offenem Blick die Bauentwickiung der letzten
drei Jahrzehnte überschaut, muß zugeben, daß eine
große und starke Wandlung sich vollzogen hat. Von den
Bauten der Werkbundausstellung in Köln 1914 bis zur
Werkbundsiedlung Weißenhof in Stuttgart 1927 und zur
Wiener Ausstellung 1932 läßt sich eine geistige, tech-
nische, künstlerische und kulturelle Durchdringung des Bau-
und Wohnproblems übersehen, die ohne Beispiel ist, und
seit 1927 sind auch die Aufgaben, die uns das
S i e d I u n g s w e s e n gestellt hat, in einem
ähnlichen Fortschreiten.

Haben wir 1914 unter den in Köln ausgestellten Arbeiten
wilde Extreme und wuchernde Schmuckmotive neben ab-
geklärter Formgebung erlebt und immer noch mangelnde
Qualität beim größten Teil des ausgestellten Gutes fest-
gestellt, so haben wir nach dem Krieg in der Ausstellung
„DIE FORM" in Stuttgart 1924 den ersten Ansatz zu einer
grundsätzlichen Reinigung der Begriffe außerordentlich
wohltätig empfunden.

Der Fachverband für die wirtschaftlichen Interessen hat
die Gründung des Deutschen Werkbundes mit unseligen
Prophezeihungen begleitet. Trotzdem sind viele seiner
tüchtigsten Mitglieder zum Eintritt in den Werkbund aufge-
fordert worden und auch eingetreten. Heute gibt es keinen
Kampf zwischen dem Fachverband und dem Werkbund
mehr. Der hohe Ernst der Ziele des Werkbundes und
seine starken Erfolge, seine Lebenskraft, die die Kriegs-
jahre und die Nachkriegsjahre überstanden hat, und das
Bewußtsein, daß der Bund heute wichtiger ist als je, lassen

kleinliche Diskussionen über künstlerische Richtungen und
über Nuancen ästhetischer Auffassungen nicht zu. Männer
mit starker künstlerischer Kraft, beste Techniker und
Wirtschaftler und Kaufleute, beste Unternehmer und
Handwerker, aber auch die weitsichtigsten Vertreter der
Arbeiterschaft selbst müssen die Notwendigkeit eines Zu-
sammenarbeitens auch für die Zukunft bejahen und ohne
Rücksicht auf persönliche Vorteile und persönlichen Ruhm
sich dem großen wichtigen Dienst an der deutschen Kultur
zur Verfügung stellen, der als Werkbundarbeit seither so
vieles erreichen konnte.

Heute liegt manches ähnlich wie in jenen Gründungs-
tagen. Wie damals die Angriffe gegen Muthesius über-
wunden werden mußten durch die Gründung des Bundes
selbst, so kommen heute Ansichten zu Wort, die der
Tätigkeit des Werkbundes bolschewistische Ziele vor-
werfen. Rassengegensätze sollen schuld sein an dem
Fehlen einer deutschen nationalen Kunst und diese deut-
sche nationale Kunst sieht man in altgermanischen Vorbil-
dern, in Motiven, die angeblich nationale Stoffe aus der
Vergangenheit holen, im Ankämpfen gegen viele lebens-
wichtige, aber durch ihre Notwendigkeit international ge-
wordene Errungenschaften der Technik, der Hygiene, der
Verbindung des Sports mit dem Haus und in einer Ableh-
nung der neuen Baustoffe. Eine deutsche nationale Kunst
soll sich von neuem einkapseln in Formen, wie sie die
Biedermeierzeit und die Renaissance gebracht haben.

In diesem Geist wurde auch das Bauhaus in Dessau be-
kämpft und abgebaut. Das System, das in dieser Be-
kämpfung der deutschen Werkbundarbeit zutage tritt,
ruft uns auf zu frischem Kampf. Das Junge und Hoffnungs-
volle, das Nationale und das Deutsche, scheint mir gerade
in dem jungen Geist der neuen Baukunst und der neuen
gewerblichen Arbeit zu liegen. Das kühne Experi-
ment jungen deutschen Geistes bei der
theoretischen und praktischen Bearbei-
tung der großen Forderungen des Lebens
der Jetztzeit ist viel, viel jünger und viel,
viel deutscher als die abgeblaßte resig-
nierende Rückkehr zu einer Formenwelt
und zu einer geistigen Einstellung, die
schon einmal das Ergebnis einer Destil-
lierung gewesen ist.

Schlägt man den Mut zum Experimentieren, zum Auf-
decken der tiefen Zusammenhänge von Kunst und Arbeit,
von Geist und Wirtschaft in Parteifesseln, überträgt
man nationalistische Forderungen auf das Gebiet tiefer
innerer Hingabe an die höchsten Ziele wahrhaft deut-
schen Geistes, dann zerstört man das deutsche Wesen in
einer seiner schönsten Erscheinungen. Denn das, was von
der ganzen Arbeit das Deutscheste ist und sein wird, die
Unabhängigkeit des Geistes und die ahnende Erfassung
der Zukunft, wird nur bestehen, wenn, losgelöst von der
politischen Tagesmeinung und unbekümmert um politische
Machtbildung verantwortungsvolle Männer im Werkbund
den Weg weiterschreiten, der ihnen
schon von den Gründern gewiesen wurde
und immer wieder hineinführen wird in
den Kampf um Geist und Form einer neuen
Zeit.

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