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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 27.1929

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Friedländer, Max J.: Stil und Manier
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https://doi.org/10.11588/diglit.7608#0075

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baute im gotischen Stil, das neunzehnte in goti-
scher Manier: so drücken wir uns jetzt aus. In
der Umgangssprache rühmt man einem Manne
nach, er habe Stil, und meint damit, seine Eigen-
schaften, sein Aussehen, seine Kleidung, sein Be-
nehmen offenbarten einheitlichen Charakter zu
einem ästhetisch befriedigenden Eindrucke. Die
Einheitlichkeit, die Konsequenz, die Harmonie
zwischen den einzelnen Äußerungen, zwischen
den Teilen beruhen darauf, daß eine vom Zentrum
der Persönlichkeit ungehemmt wirkende, sich durch-
setzende Kraft die urverwachsenen Glieder durch-
strömt, lenkt und beherrscht. Gute Manieren kann
man erlernen; Stil hat man oder hat man nicht.

Die Prägung ist örtlich, zeitlich, individuell
und vom technischen Verfahren her bestimmt.
Man spricht vom romanischen Stil, vom franzö-
sischen, vom Stil Tizian und vom Stil des Grab-
stichels — stets mit dem günstigen Vorurteile, daß
die sinnlich wahrnehmbare, ästhetisch gewertete
Form der bildlich fixierte Charakter einer Zeit,
eines Ortes, eines Menschen, eines technischen
Verfahrens sei.

Der Gegensatz zwischen Stil und Manier
hat sich allmählich ausgeprägt, da man von Fall
zu Fall Kunstwerke beurteilend, wahrnahm, daß
die Form so oder anders entstanden wäre. Im
Groben und Großen unterschied man zwei Pro-
duktionsarten, die willkürliche und die unwill-
kürliche und erwartete originale, spezifisch künst-
lerische Aktion im Unwillkürlichen, im Willkür-
lichen dagegen Nachahmung als Folge von Ge-
staltungsschwäche, unbegründete, ursachlose, un-
verwurzelte Machenschaft.

Wir suchen die Merkmale des echtbürtigen
Kunstwerkes auszudrücken und zu beschreiben,
den Unterschied zwischen Stil und Manier zu
präzisieren. Einheitlichkeit, Aufrichtigkeit, Sorg-
losigkeit, freier und rascher Fluß werden als
Kennzeichen gefühlsmäßiger, spontaner Schaffens-
weise erwartet. Jedoch sind solche Beobachtungen
trügerisch, weil die berechnende kunstverständige
Erfahrung zu scheinbar ähnlichen Ergebnissen
führen kann wie die schöpferische Kraft. Selbst
der Schwankungsgrad kann so oder anders ge-
deutet werden. Freilich verrät sich der Manierist
dadurch, daß er seine Absicht nicht erreicht, seine
Bemühung nicht durchhält, aus dem beabsichtig-
ten in seinem natürlichen Ausdruck zurückfällt,

sich gehen läßt, seine Pläne ändert, aber ein
Schwanken von dieser Art kann leicht verwechselt
werden mit dem Wandel aus organischer Ent-
wicklung und reicher Phantasietätigkeit. Was auf
höherem Niveau Einheitlichkeit bedeutet, kann
auf tieferem pedantische Monotonie verraten,
das rasche Tempo, das dort Überfülle an-
kündigt, zeugt hier für oberflächliche Routine,
Sonderbarkeit kann unter dem Sehzwang einer
genialen Persönlichkeit entstehen, aber auch der
Sensationsgier und Neuerungslust kaltherziger
Rechner entstammen.

Auf das Niveau also kommt es an. Damit
aber wird ein Indizium eingeführt, von dem der
Wissenschaftler sich mit Grauen abwendet. Die
Frage nach dem Niveau, nach der Qualität, wird
beantwortet aus dem Gefühl des Überzeugtwerdens,
nach der Eindruckstiefe, nach dem Maß der ästhe-
tischen Lustempfindung. Wir schließen spontan,
je nach unserem Vermögen, unserer Aufnahme-
fähigkeit, auf das Niveau und deuten danach die
Eigenschaften.

Das Urteil über das Niveau ist subjektiv und
wandelt sich. Jede Generation entscheidet anders.
K. Justi nannte Greco einen Manieristen. Heute
betrachtet man diesen Spanier als ein naives Genie.
Auch die Kunstlehre, aus der wir die Unterschei-
dung von Stil und Manier abgeleitet haben, be-
steht nicht ewig, ist vielleicht heute schon nicht
mehr gültig. Nun ist die Etikette „Manier" ver-
bunden mit gewissen Erscheinungen, Personen und
Perioden und bleibt daran haften, nachdem sich
das Urteil gewandelt hat. So kann es geschehen,
daß jemand erklärt, ist Greco ein Manierist — gut,
so wollen wir diesen Titel ehren und erstreben,
und, wenn er willkürlich schuf — schön, so be-
kämpfen wir eure Theorie und leiten aus seiner
Produktion eine andere Theorie ab. Picasso zeigt
für mein Auge die Merkmale der Manier in Rein-
kultur und begeistert mich nicht in dem Grade,
daß ich zu dem Versuch ansetze, die Merkmale
umzudeuten oder gar um seinetwillen die Kunst-
lehre zu ändern. Andere werden über Picasso an-
ders denken.

Die Begriffe Stil und Manier, wie ich sie ge-
faßt habe auf der Grundlage einer bestimmten
Anschauung von dem Wesen des Kunstschaffens,
bedecken nicht zwei Flächen, sind vielmehr als
die obere und untere Grenze einer Fläche zu be-

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