Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 27.1929
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https://doi.org/10.11588/diglit.7608#0347
DOI Heft:
Heft 8
DOI Artikel:Mayer, August Liebmann: Die Entkörperlichung des Künstlers
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SAMMLUNG WILDENSTEIN & CO,
CHARDIN, SEIFENBLASEN
AUSGESTELLT IN DER LEIHAUSSTELLUNG „FRAUEN UND KINDER", NEW YORK, REINHARDT GALLERIES
DIE ENTKÖRPERLICHUNG DES KÜNSTLERS
VON
AUGUST L. MAYER
r\ie Kunstgeschichte ist eine junge Wissen-
schaft; ja es fehlt nicht an Stimmen, die
den streng wissenschaftlichen Charakter dieser
Disziplin insofern anzweifeln, als behauptet wird,
die Kunstgeschichte könnte nicht eine derart exakte
Wissenschaft werden, wie etwa die Philologie oder
gar die Physik. Es ist jedenfalls das Bemühen der
Kunsthistoriker, dem der reinen Historiker viel-
fach ähnlich, mit den „Legenden" aufzuräumen,
die sich an das Wirken der einzelnen Künstler
und an einzelne Kunstwerke knüpfen; die Bedeu-
tung der einzelnen Meister wird säuberlich ge-
schieden und abgemessen, Eigenhändiges von Schul-
gut getrennt, der Werdegang der einzelnen Künst-
ler klargelegt und die Entwicklung ganzer Epochen
aufgezeigt. Es wird Künstlergeschichte getrieben
und Kunstgeschichte, vor allem auch im Sinne
WölfFlins, die Kunstgeschichte als eine Geschichte
des Sehens zu begreifen und zu gestalten. Gewiß
sind wir heute imstande, die Stellung des einzelnen
Kunstwerks innerhalb der Entwicklung viel besser
zu begreifen als früher, gewiß kann auch unsere
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CHARDIN, SEIFENBLASEN
AUSGESTELLT IN DER LEIHAUSSTELLUNG „FRAUEN UND KINDER", NEW YORK, REINHARDT GALLERIES
DIE ENTKÖRPERLICHUNG DES KÜNSTLERS
VON
AUGUST L. MAYER
r\ie Kunstgeschichte ist eine junge Wissen-
schaft; ja es fehlt nicht an Stimmen, die
den streng wissenschaftlichen Charakter dieser
Disziplin insofern anzweifeln, als behauptet wird,
die Kunstgeschichte könnte nicht eine derart exakte
Wissenschaft werden, wie etwa die Philologie oder
gar die Physik. Es ist jedenfalls das Bemühen der
Kunsthistoriker, dem der reinen Historiker viel-
fach ähnlich, mit den „Legenden" aufzuräumen,
die sich an das Wirken der einzelnen Künstler
und an einzelne Kunstwerke knüpfen; die Bedeu-
tung der einzelnen Meister wird säuberlich ge-
schieden und abgemessen, Eigenhändiges von Schul-
gut getrennt, der Werdegang der einzelnen Künst-
ler klargelegt und die Entwicklung ganzer Epochen
aufgezeigt. Es wird Künstlergeschichte getrieben
und Kunstgeschichte, vor allem auch im Sinne
WölfFlins, die Kunstgeschichte als eine Geschichte
des Sehens zu begreifen und zu gestalten. Gewiß
sind wir heute imstande, die Stellung des einzelnen
Kunstwerks innerhalb der Entwicklung viel besser
zu begreifen als früher, gewiß kann auch unsere
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