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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 27.1929

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Heft 4
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Scheffler, Karl: Plastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7608#0167

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Gegensatz zum Raffinement Rodins. Maillols Plastik
hatte eine bessere Herkunft. Rodin ließ bestenfalls
an Carpeaux und schlimmstenfalls an Carriere
denken, Maillol aber kam mit der schönen Ani-
malität, mit dem gebändigten Elementargefühl
seiner Kunst unmittelbar von Courbet und Renoir
her. Das bloße Dasein seiner Werke bedeutete eine
Reinigung. In gewisser Weise wirkte er auf ganz
Europa, wie Adolf Hildebrand bedingter und
in engeren deutschen Bezirken gewirkt hatte: stil-
bildend. Im Gegensatz zu Rodin, der die Erregung
wollte, stellte Maillol „Existenzfiguren" hin —
eine Bezeichnung, die Wölfflin mit Bezug auf
die Gestalten Hans von Marees' geprägt hat. Maillols
Menschen sind nur da, sie stehen, gehen, sitzen
oder kauern, sie handeln nicht; mit ihnen aber
ist das ganze Leben da: mit dem Jüngling und
dem jungen Mädchen die Jugend überhaupt, die
Sitzende wird zu einer Darstellung des Sitzens an
sich, der Stehende ist ein Gleichnis alles ruhigen
Dastehens. Ohne daß es, wie oft bei Marees, dok-
trinär und schulmäßig erscheint. Alles ist bei Maillol
auch sehr fleischig und unmittelbar, in allem ist
etwas Blühendes und Momentanes. Wie bei Renoir.
Dessen Plastiken sind denen Maillols ähnlich; Maillols
Plastiken aber sind den gemalten nackten Gestalten
Renoirs ähnlich. Das kann man jetzt, in der schönen
Ausstellung bei Flechtheim wieder einmal nach-
prüfen. Vor den herrlichen Kleinbronzen der „Ab-
wehrenden", der „Knienden", der „Badenden" usw.

Die Fülle, die Renoir hat und die — in einer
ganz anderen Weise und mit vielen Vorbehalten
— auch Rodin auszeichnete, hat Maillol freilich
nicht. Das ist erst im Laufe der Jahre recht er-
kennbar geworden, und es wird jetzt in der Aus-
stellung wieder bestätigt. Maillol sucht das Klassische
schlechthin. In seinen besten Werken hat er es
auch gestaltet. Der „Torso", das Fragment eines
Denkmals, ist in seiner courbethaft weichen Kraft
wundervoll. Ebenso vollkommen nach der Seite
zarter Anmut ist das Modell einer Statue „pour
un parc ombrage". Arbeiten wie die „Hockende
Frau", wie die Reliefs, wie die „Badende" und
vor allem wie die nackte Jünglingsgestalt des
Radfahrers Gaston Collin, die Graf Keßler besitzt,
und die eine der schönsten Plastiken des neun-
zehnten Jahrhunderts ist, sind in keiner Weise
eklektizistisch. Sie sind nicht griechisch, sondern
man möchte sagen: so würde ein Grieche arbei-

ten, wenn er heute lebte. Nur ein Elementartalent
aber könnte diese Höhe, obendrein in einer feind-
lich gesinnten Umwelt, dauernd halten. Das Letzte
und Höchste an Gestaltungskraft ist Maillol je-
doch versagt. Und so kommt es, daß beim Stocken
oder Nachlassen der produktiven Kraft an die
Stelle des Klassischen leise und unmerklich etwas
tritt, das als ein naturalisiertes und modernisiertes
Klassizistisches bezeichnet werden könnte. Maillols
Kunst weicht dem Stilismus nicht immer aus. Auch
der Klassizist ist sehr persönlich, sinnlich und
voller Zeitgefühl; doch stammt in dieser Aus-
stellung der Torso des Blanqui -Denkmals aus
einer anderen Sphäre als die „Pomona" (beide
Werke sind im vorigen Heft abgebildet). Auch die
geistvoll italienisierenden, ein wenig englisch an-
mutenden Holzschnitte des Illustrators für die Ec-
logen des Vergil (der Insel-Verlag gibt das Werk
heraus) wirken leise eklektizistisch, vor allem im
Vergleich mit den schönen Zeichnungen des Bild-
hauers nach der Natur. Die Entwicklung, die Jugend
Maillols spielt hier eine Rolle. Er war zuerst Maler
und kam erst mit vierzig Jahren zur Plastik; mehr
durch tiefe Einsicht als durch elementaren Trieb.
Welcher Art der Maler war, das zeigt das eben-
falls ausgestellte „Konzert", ein Entwurf für Stickerei,
der lebhaft an Maurice Denis denken läßt. Im
ganzen strömt Maillols Kunst frei und — trotz
langer, mühevoller Arbeit in jedem einzelnen Fall
— scheinbar leicht dahin, ohne die Hemmungen,
woran so viele Jüngere leiden; doch wird die
Tradition dem Künstler gefährlicher, je älter er
wird. Wird Maillol seine Form, dem Gesetz des
Alterstils entsprechend weiter öffnen, oder wird er
sie künstlich mehr schließen müssen ? Tut er dieses,
so kann er dem Klassizismus, der sich in der
„Pomona" ankündigt, kaum entgehen.

Ingres hat gesagt: „Warum schafft man nicht
großen Stil? Weil man statt einer großen Form
drei kleine Formen macht." Maillol hat immer die
eine große Form gesucht und hat sie oft gefunden.
Nicht so naiv wie Renoir; wie ihm denn auch
das fehlt, was man bei Renoir eine Wiedergeburt
des achtzehnten Jahrhunderts nennen könnte. Sein
Talent tanzt nicht. Doch hat seine Kunst den großen
Stil. Mit dem Vorbehalt, daß die Absicht überall
leise durchschimmert, wenn auch ohne zu ver-
stimmen. Renoirs Mädchenkörper haben bei der
Übertragung ins Plastische wenig verloren. Sie

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