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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 27.1929

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Heft 5
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Scheffler, Karl: Gedanken über Van Gogh: gelegentlich der Ausstellung der Sammlung Kröller-Müller im Kronprinzpalais
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https://doi.org/10.11588/diglit.7608#0225

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stark oft — das Sichtbare übertragen. Dabei war
van Gogh nicht unbedingt ein geborener Maler,
er war von Hause aus nicht ein Auge und nur
ein Auge. Neben der Malerei hatte er in seiner
Jugend viele andere Götter. Und doch wurde
er dann ganz ein Maler und ein schwärmendes
Auge. Auf dem seltsamsten Entwicklungsweg,
den man sich denken kann. Zuerst war ihm das
Zeichnen und Malen nur ein Mittel, um von den
Leiden des Lebens zu zeugen; doch endigte sein
fanatisches Autodidaktentum in einer Malerei um
ihrer selbst willen. Der soziale Symbolismus ver-
wandelte sich in einen optischen Symbolismus.
Legenden und Allegorien hat van Gogh nie ge-
malt, und die Armeleute-Malerei war eine Jugend-
episode; der Symbolismus der besten Zeit bestand
darin, daß der Natureindruck gleichnishaft ge-
macht wurde, daß der blühende Baum zum Sinn-
bild des Blühens an sich, ein Wind zum Gleichnis
alles Wehens, der Frühling zur Symphonie des
Wachsens wurde.

Selbst ein so wohl gegründetes Wollen, ein so
ins Symbolische gesteigerter Naturalismus ist in der
Malerei gefährlich. Denn alle Symbollust drängt zum
Ornamentalen, und dieses streift leicht am Kunst-
gewerblichen. Van Goghs Form ist darum eine merk-
würdige Mischung von spontaner Anschauung und
dekorativen Pinselarabesken, von sinnlichen und
gedanklichen Elementen. Kein anderer hätte zwi-
schen diesen Widersprüchen zu balancieren ver-
mocht wie er. Formen, die einander sonst aus-
schließen, erscheinen organisch verwachsen. We-
nigstens in den besten Bildern und Zeichnungen.
Nur ist das ganz Meisterhafte nicht eben häufig
im Lebenswerk van Goghs. Wenige Künstler sei-
nes Ranges sind so ungleich gewesen. Nur diesem
dauernd von einer Geisteskrankheit bedrohten Le-
benswerke konnte es widerfahren, was wir eben
erlebt haben: daß eine lange Reihe von Bildern
angezweifelt wird, und daß es damit wahrschein-
lich noch gar nicht zu Ende ist.

So läßt sich also das Allerpersönlichste am
erfolgreichsten fälschen? Ein Persönliches dieser
Art: ja; weil es sich nämlich eines selbstgeschaffe-
nen Stils bedienen muß, der in schwächeren Wer-
ken notwendig zur Manier werden muß. Manier
ist die Sprache eines Bekennertums, das vom Sub-
jekt, nicht vom Objekt das Gesetz empfängt.
Dramatische Spannung ist für Maler überhaupt

ein bedenklicher Zustand. Alle großen Maler ver-
halten sich der Natur gegenüber abwartend, ihr
Beobachten ist wie ein Hinhorchen. Wer durch
das Auge lebt, muß stille sein können. Van Goghs
Bilder aber schreien. Sie sind übermäßig. Der
Pinsel „peitscht" die Leinwand, die Erscheinung
wird übercharakterisiert, die Malerei ist nicht selten
so pastos, daß ein hohes Relief entsteht, die For-
derung nach der schönen Oberfläche ist ganz miß-
achtet. Es tut sich der merkwürdige Widerspruch
auf, daß eine Reihe von Meisterwerken entstehen
und daß diese Meisterwerke in gewisser Weise
die Kunst vernichten. Van Goghs Leben war ein
einziges großes Opfer im Dienste der Idee. Als
solches ist es schlechthin ehrwürdig. Aber man
darf sich nicht darüber täuschen, daß dieser Un-
bedingte, während er sich selbst zerstörte, auch
in die Kunst den Keim der Selbstzerstörung hin-
eintrug. Nietzsche hat einmal geschrieben, kein
Denker seit alter Zeit habe vielleicht das Wunder
der Inspiration erfahren wie er. Der Gedanken-
sturm, den Nietzsche meinte, hat ihn zu kühn
formulierten Weisheiten geführt, aber hat ihn auch
zum Aphoristischen verdammt und nicht selten
zur Wortrenommage. Van Gogh hätte ähnlich von
sich sprechen können. Er war ein inspirierter
Mensch. Darum gelang ihm das ganz Neue mit
dem Ewigkeitszug; darum konnte er schnell aber
auch zum Manieristischen herabsinken. Diese Art
Inspiration scheint ein Merkmal krankhafter Span-
nung zu sein. Sie ist ein Phänomen; doch ist
sie nicht im organischen Sinne vorbildlich und
schulbildend — sie schafft Einmaliges. Man kann
von van Gogh sagen: es ist leicht, ihn nachzu-
ahmen, unmöglich aber, ihm nachzuahmen. So
wie es unmöglich ist, im Sinne Nietzsches zu
leben, leicht aber einen Aphorismus im Stil
Nietzsches zu schreiben. Man ehre van Gogh,
man liebe ihn, man begeistere sich für sein
Bestes: aber man folge ihm nicht durch dick
und dünn.

Es wirft ein entscheidendes Licht auf alles
andere, daß im Malerleben van Goghs eigentlich
nur zwei Jahre zählen: die Zeit nach der Abreise
von Paris. Das beweist auch wieder diese schöne
und bedeutende Ausstellung im Kronprinzenpalais,
die zufällig oder absichtlich im sogenannten psy-
chologischen Moment gekommen ist. Es gibt aus
der Periode vor dem Pariser Aufenthalt ein paar

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