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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 27.1929

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Heft 5
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Scheffler, Karl: Meier-Graefes "Renoir"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7608#0232

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Buch über Renoir beweist es wieder. Ihm fließt alles ziem-
lich formlos auseinander, man muß sich Zu dem Entschei-
denden nicht ohne Mühe durchlesen. Wenn hier schöne
Wortbilder aufglänzen, so verwirrt dort eine gewisse Un-
klarheit des Ausdrucks. Dafür entschädigt die sich in
jeder Zeile verratende Liebenswürdigkeit des Seelischen und
ein seltener Sinn für das Wesen des Künstlerischen. Ein
Nachteil der Verliebtheit ist, daß der Schriftsteller seinen
Helden gern über alle erhöht, daß ihm zuliebe die Nach-
bargestirne merklich verdunkelt werden. Dem steht der
Vorteil gegenüber, daß im Lebenswerk und im Menschen-
tum des Helden Nuancen gesehen werden, die der kühleren
Gerechtigkeit unfehlbar entgehen. Meier-Graefe schreibt
erwärmend; und er macht seine Leser so produktiv, daß
sie es letzten Endes ihm sogar zu danken haben, wenn
sie seinen Büchern kritisch gegenüberstehen.

Der „Renoir" gehört zu Meier-Graefes vorzüglichen Bü-
chern. Er ist dem „Delacroix" vergleichbar, der auch ganz
aus dem Bedürfnis des Herzens kam. Daß der Verfasser
Renoir noch persönlich gekannt hat, gibt der Schilderung
einen besonderen Reiz. Nötig ist nur, daß man ohne Vor-
urteil und Mißtrauen, daß man mit gutem Willen das Buch
zur Hand nimmt. Denn mit den Be-
griffen geht Meier-Graefe ziemlich will-
kürlich um. Was er unter Barock ver-
steht, wird nicht ganz klar, was er vom
Griechentum Renoirs anmerkt, muß
sehr übertragen verstanden werden,
und was er vom Verhältnis der Alters-
werke zu den Jugendwerken sagt, gibt
zu einer prinzipiellen Auseinanderset-
zung Anlaß.

In diesem Punkte kann ich Meier-
Graefe nicht folgen. Er stellt den spä-
ten Renoir über den jungen; ich aber
meine, daß eine Parallele mit Tizian
oder Rembrandt nicht gezogen werden
könnte, daß Renoir die Bilder, die er
zwischen dem fünfundzwanzigsten und
vierzigsten Lebensjahr malte, wohl zu-
weilen wieder erreicht, nie aber über-
troffen hat. Die „Lise", der Knabe mit
der Katze, das Ehepaar Sisley, die Gre-
noulliere, die Ruderer in Chatou, die
kleine Durand-Ruel, die Dame mit
dem Mövenhütchen, die „Loge", das

„Dejeuner", das „Frühstück der Ruderer" und andere Bilder
dieser Art vor 1880 sind Hauptwerke, wie sie später in
gleicher Konzentration und Lebensfülle nicht wiederkehren.
Die Mittel des Impressionismus oder des Kolorismus sind
dem Wesentlichen der Gestaltungskraft gegenüber unwichtig.
Daß Meier-Graefe die „Badenden" von 1885, dieses Pro-
grammbild, so wichtig nimmt, ist ebensowenig im Sinne
Renoirs, wie diesem selbst das prinzipielle Arbeiten jener
Jahre gemäß war. Meier-Graefe spürt richtig, daß hier ein
wichtiges Problem liegt. Nur will seine Deutung nicht ganz
überzeugen. Das Problem liegt nicht nur in Renoir, son-
dern in nahezu allen bedeutenden Malern des neunzehnten
Jahrhunderts von einem bestimmten Zeitpunkt ab; es wird
ebenso kenntlich bei Manet, Monet und Degas, bei Menzel,
Leibi, Liebermann und Trübner. Man könnte bei allen von
einem Knick sprechen, von einem Drang, alles Erreichte
wegzugeben für etwas Ungewisses aber Neues, von einer ent-
scheidenden Wandlung in bestimmten Jahren, die meistens
mit einem „Offnen der Form" verbunden war. In dieser
Wandlung war gewiß Notwendigkeit. Warum aber mußte
sie kommen? Und warum zwang sie in allen Fällen zur
Aufgabe von Werten, die zumeist Aussicht haben, einst
„ewig" genannt zu werden? Diese er-
regend interessante und sehr wichtige
Frage harrt noch der Antwort. Vielleicht
ist der Trieb zur Unruhe, zum Neuen,
der dem Jahrhundert eigentümlich ist,
den Klassikern unserer Malerei so oder
so gefährlich geworden. Meier-Graefes
Erklärung für Renoir ist nicht zureichend.
Doch liefert sie immerhin einen wich-
tigen Beitrag. Und darum ist sein Buch
über Renoir selbst hier, wo man wider-
spricht, höchst instruktiv.

Der Verlag hat mit schönen Abbildun-
gen nicht gespart, so daß der Leser das
Lebenswerk des großen Malers auch in
Reproduktionen vor Augen hat. Wenige
Kunstbücher dieser Jahre bieten in Ab-
bildungen einen so reichen Querschnitt
eines großen Lebenswerkes. Die Farben-
tafeln freilich sind zum Teil keine Be-
reicherung, weil sich Ölbilder nicht far-
big wiedergeben lassen und weil für die
Farbentafeln durchweg weniger bedeu-
tende Arbeiten verwendet worden sind.

Karl Scheffler.

RICHARD ENGELMANN, BADENDE

AUSGESTELLT IN DER KUNSTSCHULE WEIMAR
 
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