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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 27.1929

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Heft 6
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Lamm, Albert: Vor neuen Bildern Max Liebermanns
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https://doi.org/10.11588/diglit.7608#0247

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Verehrung der realen Macht gelenkt zu sehen.
Das Wesen der Kunst aber ist reine Innerlichkeit,
das Glück abseits von allem, was kausal in der
Wirklichkeit abläuft, eine Verankerung des Ge-
fühls im Ewigen und Ganzen. Im neunzehnten
Jahrhundert kommt die Kunst in einen tiefsten
Konflikt mit dem Leben; und während sie dem
einen die letzte Zuflucht zu echter Metaphysik
wird, wird sie dem anderen verhaßt als die große
Verführung zur Verachtung der realen Macht.
Darum mußte die Kunst mit der Dornenkrone
und dem Purpurmantel bekleidet werden. Der ver-
hungernde Künstler mit seiner quälenden Fratze
als komische Figur: das ist eine Schöpfung des
triumphierenden Geistes des neunzehnten Jahr-
hunderts.

Wer ermißt, wie tief alle Künstlerschaft dieser
„glanzvollen" Epoche gelitten hat? Die Verachtung
des Lebens, des Menschenwesens, die Verzweiflung
am Kosmos — so möchte man fast sagen —, ist
so noch nie von Menschen gefühlt worden. Von
der Neunten Sinfonie bis zum Zarathustra stöhnt
die Größe des Wortes „mein Reich ist nicht von
dieser Welt", und erkämpft sich immer wieder eine
seelische Freiheit der letzten Kraft, die auch zeugen-
los sterben kann.

Die seelische Verfassung der Malerschaft ist in
dieser Epoche die kämpfereichste. Denn es liegt
im Wesen der bildenden Kunst, daß sie nur am
gegenwärtigen Objekt der gegebenen Wirklichkeit
sich betätigen kann. So war der Malerschaft das
Problem der Zeit am tiefsten ins Herz gestoßen:
leben zu müssen mit einer Umwelt, mit der man
nicht „leben" kann. Daher hat die Malerei im
Bewußtsein der letzten Epoche die führende Rolle
gespielt; was jeder fühlende Mensch dieser Zeit
innerlich empfand, offenbarte sich bei ihr unmittel-
bar an ihrer Arbeit.

Was war denn das jahrzehntelange Suchen nach
einem Neuen, Anderen in der Malerei, wenn es
nicht das Suchen nach der seelischen Möglichkeit
des Malens überhaupt war! Der Zerfall mit allen
Werten des wirklichen Lebens führte zu einem
Widerspruch in jedem Anblick eines Lebensteiles;
ein heimatlos gewordenes Künstlertum suchte nach
dem Stück Leben, vor dem das Malen — jener
allen anderen Menschen kaum verständliche Prozeß
— überhaupt möglich war.

Bis die Entdeckung des Impressionismus kam,

die bis heute fast niemand verstanden hat. Die
ganze Tiefe des Weltgefühls an einem Gegenstande
zu offenbaren, war aus dem Widerspruche der
Gegenwart und des Wesens der Malerei als solcher
immer wieder gescheitert; denn in der gegenwär-
tigen Welt fehlte es am brauchbaren Gegenstande,
und mit dem nur auf irgendeinem Wege gedank-
lich oder gefühlsmäßig geschaffenen Gegenständ-
lichen war ein vollkommenes Malen nicht erreich-
bar. Bis endlich ein aus dunklen Tiefen stam-
mender Entschluß die Malerschaft dazu trieb, die
gegebene Wirklichkeit abzumalen, wie sie war,
trotz allem. Man malte eine Welt, an der alles
das Gefühl nur verwirrte, in ihrer Erscheinung ab,
voll Hingabe an das Schaffen selber, voll Freude
an den Mitteln der Arbeit, voll Überdruß am Da-
sein, voll Widerspruch gegen das, was alle Welt
dachte und wollte. Das Ergebnis war, daß ein
neues, kompliziertes Gefühlsleben sich eine Sprache
schuf, und ein inneres Walten, bewußt unlenkbar,
neue Harmonien entstehen ließ. Der Maler wurde
erstaunt zum Werkzeug einer höheren Gewalt.
Man entdeckte eine Kunst, die Dinge auszusprechen
vermochte, um die noch niemand je einen Versuch
gewagt hatte. Man sprach nicht mehr von der
Metaphysik in dem Sinne, daß man jenseits der
Natur die ewige Macht suchte; aber Differenz-
gefühle wurden wach, und die Natur selbst, die
reine Natur, sprach von mehr als sich selber. Noch
nie hat das Irrationale der Kunst so rein gewaltet.

Die Leidenschaftlichkeit, mit der diese Malerei
abgelehnt und angenommen wurde, beweist, daß
gefühlsmäßig ihre Bedeutung erkannt wurde. Aber
was geistig geleistet wurde, um das Bewußtsein
mit ihr ins Reine zu bringen, war minderwertig.
Daß unter den Malern keiner zu seinen künstle-
rischen Leistungen auch noch die hinzuzufügen
vermochte, daß er die Kunstwissenschaft mit dem
Schlüssel des Verständnisses für seine Leistung be-
reicherte, kann nicht überraschen: das Malen ist
dem abstrakten Denken vielleicht am stärksten ent-
gegengesetzt, weil es an die einzelne Erscheinung
und lediglich an die Erscheinung gebunden ist.
Was die Maler in die Erörterung warfen, war
zum großen Teil Atelierjargon, der in seinem wirk-
lichen Sinn nur innerhalb der Malerschaft restlos
verständlich ist und in der beliebten Literaten-
Umdeutung zu Mystisch-Bedeutungsvollem nichts
mehr von dem enthält, wie er gemeint ist. Die

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