Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 27.1929
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Heft 7
DOI Artikel:Goldschmidt, Adolph: Russische Ikonen
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zösischen Kunst gehabt, zu bestimmten Zeiten auch
zur italienischen und niederländischen, aber von
der russischen Kunst haben wir — ich sehe von
der modernen ab — bisher wenig gespürt, und
so ist es von größter Bedeutung, daß uns die Ge-
legenheit dazu jetzt geboten wird.
Was ein Mensch künstlerisch bildet, verrät
uns meist mehr von seinem Wesen als was uns
seine Worte sagen. Es ist zwar ein paradoxer
Ausspruch, daß dem Menschen die Sprache ge-
geben ist, damit er seine Gedanken verbergen
kann, aber wenn etwas daran richtig ist, so ist es
sicher auch richtig, daß das gleiche bei dem Kunst-
werk nicht der Fall ist. Die Kunst erwächst un-
mittelbar aus dem Gestaltungstrieb und spricht die
Wahrheit. Um sie aber zu deuten, muß man sich
ihr mit Aufmerksamkeit widmen.
Jedem, der die Ausstellung in ihrer Gesamt-
heit übersieht, wird das ornamentale Gepräge der
Bilder auffallen. Auf goldenem Grund stehen
kräftige Farben gegeneinander, ein reines wenig
modelliertes Zinnoberrot und ein klares kaltes
Weiß sind beliebt und unserm Auge ungewohnt,
daneben Stahlblau, Gelb-
braun und ein bräunlicher
Purpur, doch auch zartere
Töne und weichere Li-
nien kommen vor, be-
sonders bei den demMaler
Rublew zugeschriebenen
Werken. Und gerade die
Linienführung, die sich oft in silhouettenhafter
Ausprägung kundgibt, ist ein Hauptausdrucksmittel
dieser Kunst.
Es ist ein anerkennenswertes Verdienst der
Sowjetregierung, daß sie mit großer Energie und
sorgfältigen Methoden die Reinigung dieser Bil-
der von den vielen Übermalungs- und Schmutz-
schichten unternommen hat. An einer Anzahl
von Gemälden hat man in instruktiver Weise die
verschiedenen Stadien der Reinigung stehen ge-
lassen, so daß wir deutlich dem Prozeß folgen
können. Manche der wertvollsten Originale hat
man uns nicht senden können und statt dessen
Kopien anfertigen lassen. Diese Kopien sind mit
einem solchen Raffinement ausgeführt, daß jede
Fehlstelle, jede Zerstörung, jeder Schmutz, jedes
Cracquele täuschend nachgeahmt sind. Wenn diese
Fertigkeit in unsere westliche Kunst übergreift,
werden sich Bilderkäufer und Experten vor Fäl-
schungen nicht mehr retten können.
Diese Kopien bieten uns jetzt eine höchst will-
kommene Ergänzung neben der Schau von Ori-
ginalen, die für alle Stufen und Schulen charak-
teristische Beispiele lie-
fern.
Uns allen eröffnet sich
durch diese Ausstellung
ein Tor, durch das wir
einen Schritt in das große
und geheimnisvolle russi-
sche Reich tun können.
DIE HL. DREIFALTIGKEIT. XIV. BIS XV. JAHRHUNDERT
MOSKAU, HISTORISCHES MUSEUM. AUS DER AUSSTELLUNG „DENKMÄLER ALTRUSSISCHER MALEREI*1, HERLIN
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zur italienischen und niederländischen, aber von
der russischen Kunst haben wir — ich sehe von
der modernen ab — bisher wenig gespürt, und
so ist es von größter Bedeutung, daß uns die Ge-
legenheit dazu jetzt geboten wird.
Was ein Mensch künstlerisch bildet, verrät
uns meist mehr von seinem Wesen als was uns
seine Worte sagen. Es ist zwar ein paradoxer
Ausspruch, daß dem Menschen die Sprache ge-
geben ist, damit er seine Gedanken verbergen
kann, aber wenn etwas daran richtig ist, so ist es
sicher auch richtig, daß das gleiche bei dem Kunst-
werk nicht der Fall ist. Die Kunst erwächst un-
mittelbar aus dem Gestaltungstrieb und spricht die
Wahrheit. Um sie aber zu deuten, muß man sich
ihr mit Aufmerksamkeit widmen.
Jedem, der die Ausstellung in ihrer Gesamt-
heit übersieht, wird das ornamentale Gepräge der
Bilder auffallen. Auf goldenem Grund stehen
kräftige Farben gegeneinander, ein reines wenig
modelliertes Zinnoberrot und ein klares kaltes
Weiß sind beliebt und unserm Auge ungewohnt,
daneben Stahlblau, Gelb-
braun und ein bräunlicher
Purpur, doch auch zartere
Töne und weichere Li-
nien kommen vor, be-
sonders bei den demMaler
Rublew zugeschriebenen
Werken. Und gerade die
Linienführung, die sich oft in silhouettenhafter
Ausprägung kundgibt, ist ein Hauptausdrucksmittel
dieser Kunst.
Es ist ein anerkennenswertes Verdienst der
Sowjetregierung, daß sie mit großer Energie und
sorgfältigen Methoden die Reinigung dieser Bil-
der von den vielen Übermalungs- und Schmutz-
schichten unternommen hat. An einer Anzahl
von Gemälden hat man in instruktiver Weise die
verschiedenen Stadien der Reinigung stehen ge-
lassen, so daß wir deutlich dem Prozeß folgen
können. Manche der wertvollsten Originale hat
man uns nicht senden können und statt dessen
Kopien anfertigen lassen. Diese Kopien sind mit
einem solchen Raffinement ausgeführt, daß jede
Fehlstelle, jede Zerstörung, jeder Schmutz, jedes
Cracquele täuschend nachgeahmt sind. Wenn diese
Fertigkeit in unsere westliche Kunst übergreift,
werden sich Bilderkäufer und Experten vor Fäl-
schungen nicht mehr retten können.
Diese Kopien bieten uns jetzt eine höchst will-
kommene Ergänzung neben der Schau von Ori-
ginalen, die für alle Stufen und Schulen charak-
teristische Beispiele lie-
fern.
Uns allen eröffnet sich
durch diese Ausstellung
ein Tor, durch das wir
einen Schritt in das große
und geheimnisvolle russi-
sche Reich tun können.
DIE HL. DREIFALTIGKEIT. XIV. BIS XV. JAHRHUNDERT
MOSKAU, HISTORISCHES MUSEUM. AUS DER AUSSTELLUNG „DENKMÄLER ALTRUSSISCHER MALEREI*1, HERLIN
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