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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 27.1929

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Heft 7
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Scheffler, Karl: Georg Grosz: Ausstellung von Zeichnungen und Aquarellen im Verlag Bruno Cassirer
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https://doi.org/10.11588/diglit.7608#0301

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GEORGE GROSZ, LESENDE FRAU. ZEICHNUNG

Städten verstanden und geschätzt. Sie kann vielleicht
nur in Berlin entstehen, aber sie hat nicht etwas
spezifisch Berlinisches, wie etwa die Zeichnung
Zilles. Und sie spricht durch sich selbst; sie be-
darf nicht redaktionell hergerichteter Witze zur
Erklärung. Die knappen Unterschriften des Künst-
lers genügen dem Verständnis.

Grosz weiß zu treffen. Darum wird er auch
eifrig von Zensoren und Staatsanwälten verfolgt.
Er deckt das Unmenschliche im Menschen auf.
Das Menschliche selbst im Unmenschlichen freilich
bleibt ihm vorläufig noch verborgen; auch dieses
ist aber zur Kenntnis des Menschen nötig. Siehe
Daumier. Dennoch: die, die ihn im Namen der
Moral und der Staatsraison verfolgen, spotten ihrer

selbst und wissen nicht wie. Sie attes-
tieren diesem Publizisten mit dem Zei-
chenstift seine Bedeutung. Die Bedeu-
tung des Sittenschilderers ist aber auch
die des Künstlers, denn nur durch das
Künstlerische können Anklagen nach-
drücklich wirken.

Grosz gehört nicht zu den Humo-
risten, zu den lachenden Spöttern. Er
ist sehr ernst. Wenn er sagt „Men-
schen", meint er's schon bitter. Eine
Hogarthnatur. Er ist aber nicht von
Hause aus das, was Rudolf Großmann
einen „Baissier" nennt, sondern er ist
ein Empörer. Seine Kunst lacht nicht;
sie dient der Charakterisierung und
Ubercharakterisierung bis zum Fanatis-
mus. In diesem Radikalismus, in dieser
international gültigen Zeitkritik lebt et-
was, das mit dem Wort Pflichtgefühl
bezeichnet werden könnte: etwas Preußi-
sches, fast möchte man sagen etwas
Menzelisches.

Diesen Zug erkennt man auch in
den sehr genauen, sehr fleißigen Natur-
studien. Sie weisen auf eine akademi-
sche Selbstzucht und auf das, was „neue
Sachlichkeit" genannt wird. Einige
Bildnisse — das der Mutter, das des
Freundes Max Herrmann —, einige der
in großem Format gezeichneten jungen
Mädchen haben ihre Meriten; das wesent-
liche der künstlerischen Phantasie lebt
sich aber in Erinnerungsbildern aus, die
nur durch flüchtige Notizen unterstützt werden. Die
Blätter des Sittenschilderers haben nie etwas von
„Neuer Sachlichkeit". Dieser wagt, was der Natur-
zeichner nie tut: er bringt Menschenprofile auf eine
einzige sprechende Linie, er gibt die Beobachtungen
unmittelbar, er tut alles Weiche von sich ab und
folgt unbedenklich seiner Formphantasie, er ist
nicht geschmäcklerisch, sondern hat in der sichersten
Weise Geschmack, vielleicht ohne es zu wissen.

Die Ausstellung im Verlag Bruno Cassirer war
denkwürdig, weil die dort gezeigten Blätter ohne
alle Tendenz und mit sicherem Sinn für Qualität
ausgesucht waren. Nie hat man Grosz so gut als
Künstler, als Talent kennen gelernt. Ein Spiegel
der Zeit, ein kluger Zerrspiegel, in dem alle ein-
 
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