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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 27.1929

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Heft 8
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Behrendt, Walter: Hans Poelzig zum sechzigsten Geburtstage
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https://doi.org/10.11588/diglit.7608#0338

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artigsten Sehenswürdigkeiten der Welt gezählt wer-
den, zu dem die staunende Menschheit in Scharen
pilgern würde.

*

Es ist die Tragik dieses Architekten, daß der
Zeitgeist der vollen Realisierung und fruchtbaren
Entfaltung seiner Begabung im Wege steht. Die
barocke Phantasie hat heute keine Konjunktur.
Die Freiheit des persönlichen Schaffens steht im
Konflikt mit der heutigen Enge und Strenge einer
zweckgebundenen Wirklichkeit. Und weil es so
ist, weil dieses ungewöhnliche und einzigartige
Architekturtalent nicht von einem gleichgerich-
teten Zeitwillen getragen ist, weil der schöpferi-
schen Phantasie nirgends ein gleichgeartetes Kön-
nen des Handwerks antwortet, fehlt seinen Schöp-
fungen fast immer auch das Zwingende, das erst
aus der letzten Vollendung der Form hervorgeht.
Es sind großartige, ja oft geniale Ansätze, die
aber fast immer im ersten Anlauf stecken bleiben.
Was über diesen Anfängen liegt, gerät oft ins
Gezwungene und trägt zuweilen sogar das fatale

Merkmal von Krafthuberei. Ein verspäteter Barock-
mensch balanciert auf dem hochgespannten Seil
seiner Phantasie zwischen Kunst und Kitsch, und
wenn er gelegentlich abgleitet, so ist es nicht immer
die Seite der Kunst, nach der er stürzt.

Der Fall Poelzig ist tragisch und heroisch zu-
gleich. Ein starker, ursprünglicher Mensch unter-
nimmt den tapferen Versuch, seiner inneren Be-
rufung zu folgen und dem Gesetz zu gehorchen,
nach dem er angetreten. Aus urtümlichen Säften
einer vergangenen Welt genährt, lebt sein Talent
jener inneren Berufung: große Architektur zu
schaffen, im Sinne des Begriffs, den das Barock
erst gebildet und der uns Heutigen vorläufig (oder
für immer?) verloren gegangen ist. Ein Ziel, das
gegen die Zeit gerichtet ist und darum die Kräfte
auch des stärksten Einzelnen übersteigt. Ein ro-
mantisches Ziel also, vom Standpunkt der Heuti-
gen gesehen, eine ewige Sehnsucht, von der Seite
der Form und der Kunst her gesehen. Diese
Sehnsucht lebendig zu erhalten, ist heute nichts
unentbehrlicher als jene Substanz, die an der Per-
sönlichkeit Poelzigs haftet.

HANS POELZIG, WERDERMUHLE IN BRESLAU. ENTWURF

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