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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 27.1929

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Heft 11
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Grossmann, Rudolf: Wenn Dilettanten Zeichnen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7608#0459

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RUDOLF GROSSMANN, BÄRENDAMEN IM ZOO. ZEICHNUNG

Man könnte die Entwicklung des Künstlers als
ein immer neues Sich-bewußt-Werden aufhissen.
Nach jedem verstandesmäßig Begriffenen entsteht
dem Talent immer wieder neu und wie von selbst
ein Unbewußtes. Der begabte Laie aber ist noch
ganz in der ersten unbearbeiteten Schicht seines
Unbewußten.

Wie das Kind, ist er im Bann des Neuen und
hat noch, wie dieses, das große Staunen vor den
Erscheinungen. Was er erschaut, gleicht oft einem
Traum, sein Stift umreißt es, er weiß selbst nicht
wie. Mancher träumt affektbetont, mancher sinn-
voll, mancher geistreich, phantastisch, mancher ver-
worren und verrückt. Wie einen Kindheitstraum,
der nach langen Jahren wie frisch erlebt noch im Ge-
dächtnis steht, gibt unsere begabte Zeichnerin zum

Beispiel ihr Kinderzimmer, den Besuch des
Klavierlehrers, das Zimmer der Großmutter. Die
kleine Stadt, worin ihr das Einzelne Ereignis
war, trägt sie als Erinnerung in die Großstadt, sie
sucht sich dort ihre Trauminseln in heimatlich
leeren Straßen und dicken Märchenbäumen. Sie
läßt sich mehr vom Gefühl leiten als der Arzt,
bei dem das Objekt eine größere Rolle spielt als
das subjektive Gefühl. Man erkennt den Diagnosti-
ker, der gewohnt ist, Gegebenes scharf zu be-
obachten. Er hat natürlich auch subjektive An-
schauung, aber in geringem Maße. Die objektiven
Daten reizen ihn am meisten; sein Interesse ver-
langt nicht nach anderem. Doch kommt als Kom-
pensation unwillkürlich etwas Infantiles, Selbstisches
in seine Zeichnungen, weil das unbewußte Gefühl
durch den kühl registrierenden Verstand unterdrückt
wird.

Noch bewußter von innen heraus schafft der
Dichter Ringelnatz, der seit einigen Jahren mit
Erfolg zeichnet und malt. Es gelingt ihm nicht
immer gleich. Er hat sich mit den Mitteln, auch
mit denen der Ölmalerei, schnell vertraut gemacht.
Was ihm aber in seinen Dichtungen und Zeich-
nungen spontan kommt, wird im Ölbild "manchmal
zugespitzter Einfall mit literarischem Beigeschmack.
In manchen Bildern sind Ansätze zu schönen Far-
ben; doch hält er nicht immer durch und gießt
dann plötzlich über den Himmel sein schwarzes
Tintenfaß. Seine Technik ist fast schon raffiniert.
Er orientiert sich heftig, mit manchem Seitenblick.

Daß das bildnerische Schaffen, das im Vergleich
zum schriftstellerischen mehr von der Materie be-
schwert ist, ein gleich geistiger Vorgang ist, daß
man Natur nicht nachbilden kann im Sinne der
Imitation, sieht man gerade an den Laienzeich-
nungen. Zwischen das Naturobjekt und den Nach-
bildner schiebt sich immer die Vorstellung von
dem Objekt, und es ist ausschlaggebend, wie lange
und wie geschlossen der Bildner diese Vorstellung
halten kann.

Auf welche Weise die Umformung, das „Bild
machen" geschieht, das ist ein Vorgang, dem man
vielleicht nur durch Analogien näher kommen kann
und den ganz zu begreifen unmöglich ist.

Ahnlich wie der Traum durch einen Reiz von
außen (Licht-, Tast-, Empfindungsreiz) entsteht,
mit dem sich dann ungehemmt die Erinnerungen
des Tages oder von früher wahllos verbinden, so

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