Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 27.1929

DOI Heft:
Heft 12
DOI Artikel:
Tietze, Hans: Die Moderne Galerie in Wien
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7608#0506

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Das Innere des Gebäudes umfaßt vorläufig elf
Räume von meist bescheidenen Ausmaßen und ein-
facher Ausstattung, die Beleuchtung — die eigentliche
Museumstugend — ist restlos zu loben; der quantita-
tive und dekorative Effekt wurde wissentlich dem
Vorzug aufgeopfert, wenig zusammengehörige und
meist nicht umfangreiche Objekte, wie sie für die mo-
derne Kunst charakteristisch sind, möglichst locker
und gesondert unterbringen zu können. Die puritani-
sche Strenge betont den Unterschied vom reichen
Prunk der beiden anderen Häuser; in diesen wird das
Gesicherte, Bleibende, Urteilsschwankungen mehr
oder weniger Entrückte dargeboten, in einer moder-
nen Galerie das Gleitende, Problematische, in stetem
Fluß Befindliche. Dort unterstreicht die Aufstellung
die Ständigkeit und Gültigkeit, hier die Beziehung zu
noch unerstarrten Strömungen. Den vollständigen
Gegensatz zum Museum würde die landläufige Aus-
stellung bilden, die einen Zufallsquerschnitt durch
die tägliche Produktion legt; die neue Galerie möchte
zwischen Museum und Ausstellung in der Mitte stehen,
im Laufenden das Bleibende, im Durchschnitt die
Auslese festhalten. Es ist klar, daß ein solcher Schwebe-
zustand nur durch andauernde Korrekturen zu erzielen
ist, die eine Halbpermanenz der Aufstellung zur Folge
haben müssen; es ist in der Tat beabsichtigt, die Zu-
sammensetzung des Schaumaterials partienweise zu
wechseln, zumal des beschränkten Raumes halber
ohnedies immer nur ein Teil der Bestände gleich-
zeitig gezeigt werden kann.

Mit dieser Beweglichkeit hofft die Direktion
über das Problem hinwegzukommen, das darin liegt,
daß ihre Galerie einerseits eine moderne, ander-
seits eine österreichische sein soll; nicht daß dies
ausschließende Eigenschaften sein müßten, aber es
kreuzen sich dadurch zwei Sammelprinzipien, deren jedes
allein genug Schwierigkeiten bietet. Man kann moderne
Kunst so sammeln — wie etwa der Luxembourg —, daß man
möglichst viel von der laufenden Produktion — in einer ge-
wissen Qualität — sicherstellt und es der Zukunft überläßt,
daraus die definitive Auswahl zu treffen; oder man kann sich
entwicklungsgeschichtlich einstellen und die aufeinanderfol-
genden Richtungen mit ihren Spielarten darstellen, so daß
bei Geschicklichkeit und Konsequenz — wie z. B. in Mannheim
oder Hannover — gewissermaßen ohne bewertende Stellung-
nahme ein schichtenweiser Aufbau der modernen Kunstbe-
wegung entsteht; oder endlich man versucht, in der Fülle
des täglich Erscheinenden die bleibenden Werte zu erkennen,
also jene qualitative Auslese vorwegzunehmen, die die anderen
Methoden der Zukunft anheimstellen. Die österreichische
Galerie hat sich für diesen, den verantwortungsvollsten Weg
entschieden, ohne doch ganz auf die anderen zu verzichten
oder verzichten zu können. Infolgedessen gibt es eine Reihe
von Werken, die nur als Vertreter der Durchschnittsproduk-
tion eine Art statistischen Interesses beanspruchen können;
vielleicht befinden sich unter diesen unbekannten Soldaten,
die so zufällig zu einem musealen Denkmal gekommen sind,
ein paar Anwärter auf Generalstabsposten, im ganzen sind
sie meist über dieses hoffnungsvolle Alter hinaus und werden

O. KOKOSCHKA, BILDNIS CARL MOLL

MIT ERLAUBNIS VON PAUL CASSIRER, BERLIN

es wohl gerade diese sein, die am raschesten anderen — viel-
leicht ebenso Unbekannten — werden weichen müssen. Dem
Gesichtspunkt des Entwicklungsgeschichtlichen ist durch die
starke Berücksichtigung Gustav Klimts besonders Rechnung
getragen; ihm ist ein großer Raum gewidmet, der viel-
leicht durch eine noch monumentalere Gestaltung noch deut-
licher als einer der bleibenden Pole dieser Galerie charakteri-
siert werden konnte. Klimt ist — Führer und Verführer einer
Generation — ein unentbehrliches Hauptstück des Wiener
Kunstwesens an der Wende des neunzehnten zum zwanzigsten
Jahrhundert; jede Selbstrechenschaft, die ein solches Museum
doch ist, muß eine solche Tatsache ersten Ranges gebührend
festhalten. Und ebenso hat Egon Schiele, Verheißung für
alle und teilweise Erfüllung nur für Wien, hier Anspruch auf
einen bevorzugten Platz.

Damit ist an die andere, die österreichische Bindung
dieser Galerie erinnert; es ist die Stelle, an der man die
österreichische Kunst von heute kennen lernen soll. Mit
jenem Prinzip der qualitativen Auslese kombiniert heißt das,
jene österreichische Kunst, die beanspruchen kann, den be-
sonderen und bleibenden Anteil Österreichs an der ganzen
Kunst der Gegenwart darzustellen. Um nicht des Maßstabs
verlustig zu gehen, muß man ihre Leistungen mit den besten
anderer Völker vergleichen können; die Auswahl dieser ist

477
 
Annotationen