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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

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Heft 1 (Januar 1926)
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Müller, F.: Kunstunterricht im bildhaften Gestalten und Kunstbetrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0019

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unterrichts etnstellk, neues Leben gewinnt. Näher
gesehen ist allerdings mit diesem Arbeitsunterricht,
wie er nun aufgefatzt wird, nicht viel anzufangen.
Er ist nichts weiter als eine Unterrichtsweife, welche
die geistige Selbsttätigkeit des Schülers anregt und
oerwendet, eine Lehrart, die im Grunde nichts Neues
darstellt und die, lange bevor das Wort Arbeitsun-
terricht geprägt und gedeutet war, von lebendig un-
terrichtenden Lehrern seit Pestalozzi und Rousseau
längst angewendet wurde. Herr vr. Franke, der in
jeder der Oberklassen seiner Schule eine wahlfreie
Kunstbetrachtungsstunde gibt, veranlaht seine Schüler
zum Lesen von Schriften über künstlerische Probleme
und von Selbstbiographien der Künstler, zu Vorträgen,
kleinen Ausarbeitungen, zum Sammeln von Bildern
und Kunstpostkarten. Lr empfiehlt mimische Wieder-
gabe des im Bildwerk Dargestellten und graphische
Skizzen des Bildaufbaues. Wir wissen aber aus
Erfahrung, wie viel von diesen Dingen sich in der
kurzen Zeit durchführen läßt und wie wenig der
Schüler sich auf diese Weise erarbeitet. ü!ch selbst
habe in meiner früheren Amtsstellung einige llahre
den Kunstbetrachtnngsunterricht in einer Gewerbe-
schllle für Frauen und Töchter gegeben und kannte
datnals schon das Buch von Lichtwark über die Be-
trachtung von Kunstwerken. Hier und auch später
in einer „Arbettsgemeinschaft" an einer Bolkshoch-
schule muhte ich immer wieder erleben» wie groß
die Bersuchung für den Lehrenden ist, selbst zu
reden, wenn die Echülerschar schweigt und wenn er
„weiterkommen" will. Daher halte ich von alledem,
was nun als Neuheit erscheint, nicht viel. Am
meisten bedenklich scheint mlr dle Stellung, die der
Berfasser zum Zeichenunterricht einnimmt. Wenn
er von diesem Unterrichk nür anzuführen weiß, daß
er dem Schüler „durch das Zeichnen von Naturvor-
bildern jenen reichen Schatz von Borstellungs- und
Gedächtnisbildern vermittelt» ohne die ein Kunstver-
ständnis nicht möalich ist," so geht daraus hervor,
dah er den neuzemichen Zeichenunterricht nur zum
geringen Teil kennt oder seine übrige Arbeit nicht
zu würdigen weiß. Das zeigt auch seine Aeußerung
auf der folgenden Seite, wo er von der „technischen
Fähigkeit eines Schülers" spricht, die sehr hoch seln
KSnne, „ohne daß er die Fähigkeit der Einfühlung
in die Seele des Kunstwerkes besttzt." Bet dieser
Einstellung des Berfassers zum praktischen Kunst-
unterricht hak eine Zusammenarbeit des Zeichen-
lehrers mit dem Lehrer der Kunstbekrachkuug, die der
Berfaller vorschläak, wenig Sinn. Es fällt übrigens
dem Äukor auf keiner Stelle seiner Abhandlung
ein, daß diese beiden Lehrer in derselben Person
vereinigt sein können.

Solchen Standpunkt des Berfassers muß man leb-
haft bedauern, umsomehr, als man aus seiner Arbeit
sonst den Eindruck gewtnnt, daß er ein warmes Herz
für die Kunst hat unü mit dem Gegenstand seiner
Arbeik wistenschaftlich wohl vertraut ist. Man kann
dem Aufsatz, der die gesamte einschlägige Literatur be-
rückstchtigt, eine werbende Krast nicht absprechen.
Schon gleich. eingangs wirkt es wohltuend, wenn
man liest: „Die Kunstbetrachkung muß steks daran
denken, daß die unterrichtliche Behandlung zum
Erlebnis, zu andächtiger Bertiefung, zu ehr-
fürchtiger Bewunderung, kurz zu Gefühlswerten, zu
jeelischer Bereicherung und Blldung führen soll...
daß sie nur Mtkkei ist, nur Weg zur Pforke des

Heiligtums, das geheimnisvoll und unerklärbar sen-
seits aller schulmäßigen Erläuterung liegt." Solche
Aeußerung psychologischer Erkenntnis läßk uns den
abwegigen Standpunkt des Berfallers hinfichtlich des
Kunstunterrichts im bildhasten Gestalten nur noch
mehr empfinden.

Wir würden das Heft unbefriedigk aus der Hand
legen, wenn nicht in ihm auch ein Aufsatz von
Prof. Guktav Kold über „Bildhaftes
Gestalten" stände. 2n mustergültiger, logisch
zwingender Darstellung vertieft sich unser verehrter
Schriftleiter von „Kunst und Iugend" in das Wesen
des neuzeitlichen Gestaltungsunterrichks und behan-
delt im Berlauf seiner Arbeit auch den Gegenstand,
der uns hier beschäftigt, dle Kunstbetrachtung. Er
sagt: „Der verhängnisvolle Irrlum der ersten PhasL
der Kunskerziehungsbewegung war es, daß der Nach-
druck auf Kunstbetrachtung gdlegt und diese
vom Unterricht im Gestalten getrennt wurde. Man
wollte wie bei den wiffenschastlichen Fächern auch
auf diesem Gebiet, das ganz der Anschaüllng, dem
btldhaften Schauen und Gestalten antzehört» durch
Belehrung und Vorträge, also ebenfalls durch das
begriffliche Mittel des Wortes „Kunstverstäichnis"
wecken. Heute glaubt keln Einfichtiger mehr att die
Richtigkeit dieses Weges. Man hat erkannt» datz
wahres Kunstgefühl, ein inneres persönlicheS Ber-
hälknis zur Kunst — darauf kommt es allein an —-
nur auf dem Wege des eigenen Gestaltens erwörben ^
wird. 3n diesem Stnne gilt das Wort: „Iedennann
versteht so viel von Kunst als er erarbeiket hät."
Dlese Erkennknis bildet den wichtigsten Marksteln
am Anfang der zweiten Kunfterziehungsbewegung,
in der wir mitken ürin stnd^L- Wlf die Mittel der
Kunstbetrachtung, welche Prost Kow Lingehend er-
örtert, wie er es auch schon in selner Schrift „D e r
Kunskllnherricht an den altgemeln
bildenden Schulen" gekan hak, soll hier nlcht
eingegangen werden. Ich üntsrstreiche nür: „Original-
werke der blldenden Kunst, Berwendung des Licht-
blldwerfers, weitestaehende Auswerkung der hetinat-
lichen Bau- und Kunstdenkmäler und des Heimat-
mukeums und möglicherivetse Schaffung eines Schul-
museums. Ileber den Wert -er praktischen Ilebungen
äußert sich der Verfafler u. a.: „Durch dlese Aus-
drucksmittel (Zeichnen, Malen, Förmen) und durch
die künstlerilche Werkarbeit kommk der iunge
Mensch mit den einfachsten Problemen der künst-
lerischen Gestältung ln lebendige Fühlung. Er erkebt
den Allsdruckswerk der verschledenen Gestülkungs-
mittel und den Gestattungsvorgang durch eigeneS
Schaffen. Die Sprache der Kunst wird chm ver-
traut. Sein Verständnis und' Gefühl fiir die De-
dingungen von Werkstoff, Technck »nd Zweck «tner-
seils und Kunstaufgabe und Kunstform andererselts :
werden dadurch am ehesten geweckk"

Diesen Worten des BerfMers habe ich nichts
weiter hlnzuzufügen ais den Wünsch, daß recht viel«
Amksgenoffen und Freunde der Schule seine Aus-
führungen, welche die pfychologischen Grundlagen
des Kunstuntercichts und deffen Auswirkungen klar
herausstellen, selbst lesen mögen. Denn wenn wir
weiterkommen wollen, müflen wir wiffen» wo wir
stnd und in welcher Rlchtung unser Ziel liegt. Es
heißt tn unserm Falle: Künstunterricht im bilühaften
Gestatten und Kunstbetrachtung — elne natürliche
Einheit. ^ i- , z !
 
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