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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

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Heft 1 (Januar 1926)
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Reinke, Oskar: Verborgene Kräfte im Zeichen- und Kunstunterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0021

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16

Bildnts eineS LehrerS der Schule. Holzschüitt.

Oberrealschule Uhlenhorst, Hamburg. Zeichenlehrer Fr. Brcest.

Noch deutlicher erkennen und verstehen wir diese
Sprache der Ratur bei der 5- und 7-lappigen Blatt-
form. Während die Eiche in ihrem Ausbau eindring-
lich Stolz und bezwingende Krast verkörpert und
predigt, so wecken die S- ünd 7-lappigen Blaktformen
schon geheimnisvolle Anschauungen; wenn wir im
Zeichenunterricht an das Borkommen der beiden
Zahlen in der Natur und dem Kulturleben der Völ-
ker hinweisen. Denken wir an die Siebenzahl im
biblischen und christlichen Leben, im Bau des Kölner
Domes und in unsern MSrchen und Sagen. Noch
stürkeren Anteil nimmt unsere Seele, wenn wir auch
diese Blattformen aus dem Kampfe in der Nakur
enkwickeln. Bon der ruhigen einfachen Form des
Epheublattes, dem Feldahorn, dem Huflaktich usw.
Alle diese Formen erschafft die Sugend alsdann,
ohne datz dieselben von der Natur abgeklakscht wer-
den. Äach und nach kommen wir dann zu der Er-
kenntnis, daß die beiden Naturkräste Formbildungen
enkstehen lasien, welche 1. auf dem stärkeren Stre-
ben zum Licht, 2. dem stärkeren Auf- und Abwärts-
wogen, 3. dem zentralen Streben vom Ausgangs-
punkt, 4. auf der nach physikalischen Gesetzen enk-
standenen Schwungkrast beruhen. Daß zwischen
dem Bau der Blatkform und der Gesamtform des
Baumes eine gewisie Aehnlichkeit bestehk, brauche
ich üohl nicht besonders hinzuwelsen.

Dte Kuüst offenbark keine starke einseitige Enk-
wicklung, sondern pulsierendes Leben. Unsere histo-
rischen Kunstwerke zeigen uns noch heute Uebergänge
von der trägen Mässe zur lebendigen Form, von der
ruhenden Krast zu harmonisch wirkenden -Bewe-
gungen. Diese Entwickelungen stnd durch geheimnis-

volle Zusammenhänge hervorgerufen. Mitunter tre-
ten uns auch starke seelische Willenskräste entgegen,
wie bei der Entwickelung des gothischen Raum- und
Formenempfindens. Nach Erkennknis aller dieser
Zusammenhänge ist unsern Schülern die Spirale,
Band- oder Zickzacklinie nicht mehr ein totes Kunst-
motiv, welches uns die Nakur und dte bisherige
Kunst präsentierk, sondern sie tritt der Zugend als
eine Sprache der Nakurkräste oder als ein tief-
empfundenes Symbol entgegen. Das Streben, ein
kieferes Walten in Form- und Farbbildungen zu su-
chen, wird z. Zt. von führenden Männern angestrebt
und unterstützt. .

Für viele Zeichen- und Kunstlehrer wird auch
wteder die Einsicht dämmern, daß nur zielbewuhtes
Arbeiten mik Äylehnung an die Natur und unfer
natürliches Empfinden von Erfolg sein kann. Der
Weg vom intuitiven Erfasien hls zum heitzen Er-
gründen mutz seelische Kräfte auslösen, die noch in
üer Zugend schlummern. Was Goeche in der „Meta-
morphvse der Pflanze" ahnunasvoll entwlckelte, därf
uyserer Iugend nicht vorenchalten werden. Dies
Kunstschaffen ist nichk von der Sinnesauffasiung loS-
zulösen, sie ist abhängig von ihr und rust Äelebung
und Bereicherung dieser Sinnenwelt hervok.

Weitere Zulammenhänge ruhen in der Erkennt-
nis der seellscyen Kräste der Iygend. Die stärksten
Wechselwirkungen werden im Zelchenunterrichk durch
folche Aufgaben hervorgerufen, welche leichtfatzlich
und einfach flnd. Goethe wollte wiedertzolt zur Er-
kenntnis der griechtschen Plastik gelangen; aoer erst
als Siebzigjähriger erarbeltete er flch felbstschaffend
ein Verständnis für die körperllche Schönheit. Bei ,
der schlichten Natürlichketk der Grabmäler begli».
nend, reiste seine Erkenntnis allmählich erst heran
für die Plastik der grtechischen Kunst. Die FSHig-
keit, die Eqiönheit etner Landschast zu erkennen,
entwickelt sich als langer Kulturprozetz beim Einzel-
nen wie bei einem ganzen Dolke. Begabte 2ms-
nahmen wie Schwlnd, Tyoma, Leistikow pnd andere
zeigen uns, datz die Erkenntnis der Schönhett «iner
Landschatt kleferliegende Krätte erfordert, als das
blotze Abzelchnen und Abmalen. ÄufgabeN, deren
Ziele bei -er Arbeit erkannk werden, vringen stark-
klingende Seiten zum Mittönen. Dle nakuralisttsche
Wtedergabe einer Traube rüst elne stärkere Wechsel-
wirkung hervor, wenn neben der Naturwkedssrgabe
das Ziel vorschwebt: „Wle kann ich Form und
Färbe zu etner starken Auswirkung bringen?" Mei-
ter beobachten wlr verborgene Kräfie bei den Schü-
lern, welche das Problem der Derwerkung einer
schemakischen üüd rrin naturalistischen Darstellung
elner einfachen BlStenform lösen. 3n -em Wechfest
spiel diefer beiden Aufaaben liegen Kräste verbor^
gen, weiche neue Probleme und Gedanken wach-
rufen. Auch scheinbare Beobachkungen im tägllchssn

Leben sopttsche TSuschungen) -ürfen nicht autzer achk
^ schrügen

gelasien werden. HSuser, welche an einem
Abhang stchen, erscheinen schief usw., falsche Linten
führung für Flächendarstellungen, Schattenrichkungen
im Gegensah zu FlSchenrlchtungen usch. flnd ^r-
scheinungen, die trotz stärkster künstlerischer Enkfal-
tung berückflchttgt werden müsien.

Tiefe ZusammenhLnge ruhen in der AbhLngigkeit
der Kunstprodukke von dem Makeriäl, dem iewelllgen
Gebrauchszweck ünd dem Zeitgssiste. WSHrend die
 
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