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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

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Heft 3 (März 1926)
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Schubert, P.: Noch einmal "Kunstunterricht im bildhaften Gestalten und Kunstbetrachtung"
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https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0060

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53

Wir sind objektiv und gerecht genug, um die große
Aedeutung aller Abhandlungen von kunstfreudigen
Philologen anzuerkennen; lenken sie doch vor allen
Dingen das Augenmerk der übergroßen Zahl der
Philologen, die kein Interesse oder Berständnis
für bildende Kunst haben, auf den Wert der Kunst-
erziehung für die höhere Schule. Auch uns Zeichen-
lehrern haben diese Aufsähe vieles gegeben, beson-
ders die von Wahnschaffe in der „Zeitschrift für
Deutschkunde" und Dr. W. Franke ser war es, dec
im Frankfurker Philologenverband die trefflichen
Morte über Zeichen- und Kunstunterricht fand) im
„Handbuch für den Arbeitsunterricht an höheren
Schulen", herausgegeben von Dr. A. Zungbluth. Sie
zeigen dem, der es noch nicht wußte, wie wertvoll
die Kunstbelrachkung ist, sofern sie dem Ziele zn-
strebt, das wir oben klarlegten. Leider haben manche
Philologen nun einmal das Bestreben, alles „wissen-
schaftlich" zu betreiben oder ihm wenigstens den
Anstrich zu geben, und alles, was nicht wissenschaft-
lich abgestemgelt ist, wie der Zeichenlehrer, hat für
fie keine Bedeutung. Auch die Kunst wird erst wert-
voll für die meisten von ihnen, wenn fle sie wissen-
schaftlich behandeln können, möglichst nach vielen
gelehrten Büchern über Kunst. 2n diesen steht aber
von dem neuzeitlichen Ilnkerricht im bildhaften Ge-
stalten und von seiner Bedeutung für die Kunster-
zlehung noch nichts. Darum besteht die große Ge--
fahr, daß für diese Kunstbetrachtungslehrer der Kunst-
gelehrte das Borbild wird. Die Aufgaben der Kunst-
gelehrten stnd aber ganz andere. Mit unerhört feinen
Methoden, beinahe naturwissenschaftlich exakt, gehen
sie auf dem gewaltig angewachsenen Gebiete, zum
Teil als Spezialifien, dem Kunstwillen und -voil-
bringen aller Bölker und Zeiten nach, erforschen die
treibenden Kräfte und ordnen die der Kunst nach
ihrer Auswirkung in das gesamte Kulturleben ein.
Sie erleben die Kunst in einer sinnlich-anschaulichen
und wissenschaftllchen Bertiefung, zu der nur ganz
wenige berufen sind, die uns dann Werke geschenkt
haben, die zu den schönsken Kulturblüten zu rechnen
sind. Ieder Kunstfreund wird diese Werke gebührend
schähen und benuhen, aber zum Borbild für den
Unterricht in der Kunstbetrachkung können sie nur
sehr bedingk zelten.

Diese Meinung haben wir durch Kunstgelehrte be-
stätigt erhalten. Dafür ein Beispiel. 3n Frankfurk
am Main wurden eine Anzahl Philologen und Zei-
chenlehrer durch einen namhaften Kunsthistoriker
durch die Bildersammlung des Städelschen Museums
geführt. 3n meisterhafter Weise machte trotz kurzer
Zeitbemessung der Führer in einzelnen Haupkwerken
die verschiedensten Kunstepochen lebendig. Kunst-
geschichkliches wurde auf das geringste notwendige
Maß zurückgedrängt und die Seele einer bestimmten
Zeit und des Künstlers wurde ganz aus dem Bild-
werk herausgearbeitet. Man stand mik dem Maler
in seiner Werkstatt und erlebte sein Ringen um Auf-
bau, Linienführung und Farbe als Ausdruck für die
gestellte Aufgabe mit. Solche Aeußerungen, daß
nur der dem Künstler ganz gerecht werden könne,
der selbst einmal versucht habe, ein Bild zu kompo-
nieren, solche Farbenharmonien zu schaffen, oder ein
solches Werk zu kopieren, dann die Äekonstruktion
des gewaltigen Dominikaneraltars von Hoibein in
eigenhändigen, meisterhaften Skizzen, zeigken, daß
der führende Kunsthistoriker nicht nur rezepkiv son-

dern auch produktiv, als schaffender Künstler, in
engste Berbindung mit der bildenden Kunst getreten
war. Und daraus erklärke sich sofort die packende
Art der Kunstbekrachkung, die durchaus als Muster
für die Arbeit in der Schule und nicht nur als Be-
reicherung kunstgeschichtlichen Wlssens gedacht war.
Als mit dem Danke für die Füyrung durch einen
Zeichenlehrer sin Gegenwart der Philologen) auch
die Frage ausgesprochen wurde, wer berufener dazu
sei, Kunstbetrachtung mit den Schülern zu treiben,
der Philologe öder der Zeichenlehrer, kam die Ant-
wort: „Das kann nur der Zeichenlehrer sein: denn
ich möchte nicht, dah es der liugend mit der bildenden
Kunst ergeht, wie mir mit Goethe und Schiller. stch
habe 10 Zahre gebraucht, um nach der „Behandlung"
im Gymnasium wieder an diese Klassiker mit unge-
trübter Freude herangehen zu können." Aehnliche
Beispiele hörten wir von Ministerialrat Dr. Äichert
bei feinem glänzenden Bortrage über künstlerische
Erziehung in Dresden.

Wenn nun auch unbedingl feststeht, daß in der Be-
handlung der Dichtkunst die Fehler früherer Zeiten
kaum mehr gemachk werdey, so beskeht doch noch die
Gefahr der „Betgrämung" in der Kunstbelrachtung
durch zu wilsenschaftliche Behandlung durch solche
Philologen, die nicht wie die Berfafser der ange-
zogenen Abhandlungen mit ganzer Seele als pro-
duktive Menschen bei der bildenden Kunst sind, aber
doch Unterricht in Kunskbetrachtung geoen müfsen,
weil der Zeichenlehrer ausgeschaltek werden joll.
Das hat wohl auch Geheimrat Pallat veranlaßt, stch
auf einer Gymnasialtagung gegen die besondere
Stunde für die Kunstbetrachlung auszusprechen, wo-
bei wahrscheinlich noch die Befürchtung mitsprach,
daß durch die Bevorzugung der ankiken Kunst die
Wertschätzung der deutschen und die Forderung eines
neuzeitlichen Kunstwöllens zu kurz kommen würde.
Wir Zeichenlehrer sind aber doch für die Kunstbe-
trachkungsskunde, die dem Unterricht im bildhasten
Gestalten organisch angegliederk und dem Zeichen-
lehrer übertragen werden muß, die also nicht in
erster Linie dem Kunstwisten dienen darf, sondern
' aus der produktiven Arbeit herauswachsen und ihr
wieder öienstbar gemacht werden muß. Ntcht um
etwaige Belange der Philologen oder Zeichenlehrer
handelt es fich yier, sondern um den besten Weg zur
Kunsterziehung. Die drängende Fraae ist: Soll das
mehr rezeptiv erwvrbene Wissen über
Kunsk oder die stnnlich-anschauliche produktivc
Kunstübungim Vordergrunde derselben stehen?
Wir sind der Meinung, daß zur Lösung dieses Pro-
blems nicht ein Ausspielen gegeneinander, sondern
verständnisvolle Zusammenarbeik und gegenfeWge
Achkung vor der Arbeit jeder Lehrergruppe (wie sie
bei den Zeichenlehrern schon vorhanden ist) zum Ziele
führk. , Die Erkennlnis, daß üie innere Struktur der
wissenschaftlich und künstlerisch arbeikenden Lehrer
verschieden sein muß und keine schemakische Nang-
ocdnung verkrägt, und daß die traditionelle Allekn-
herrschast des Workes auch in der höheren Schüle
endgiltig vorüber ist, wird vielleicht manche Hem-
mungen, die vielfach Suherlicher Nakur und unzeit-
gemäß flnd, beseitigen.

Aber das entscheidende Work im Kampf der Mei-
nungew kann nur die oberste Schulbehörde sprechen,
die mik ihrer weitausschauenden Äeform bestimmke
Ziele verfolgt. Für die Richtung, in der sich diess
 
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