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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

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Heft 6 (Juni 1926)
DOI article:
Kornmann, Egon: Kunsterziehung und exakte Kunstwissenschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0129

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117

heute schon sich durchzusetzen —, datz ein Arbeiks-
unkerricht, wie ich ihn angedeutet habe, das freie un-
beeinfluhte Borstellungszeichnen des Kindes als
Grundlage und Äusgangspunkk nehmen wird. Will
er aber von da aus weikerführen und dabei das
kinderkümltche Denken nicht zerstören sondern enk-
wickeln, so bedarf er der Einsicht in den eigenk-
lichen Sinn und die Bedeukung dessen, was das
Ktnd in seiner freien Zeichnung leiskek. Ilnd hier gibt
nun die neue Kunstwissenfchaft Erkenntnisse, mit
denen wir das Posikive der kindlichen Leistung
beurteilen können, nichk das Negakive/'llnvollkom-
mene" („Mihlungene Raumdarstellung", „Bermeng-
ung von Ansichten" usw.), das eine frühere —nach
dem Begriff der Naturdarstellung orientierte Kunst-
wisienschaft — allein darin zu iehen vermochke.

Äus einer erkenntnistheoretisch gerichteten Ilnter-
suchung der geistigen Boraussehungen, aus denen die
bildnerische Tätigkekt des Menschen entspringt, er-
gibt sich -er Schlutz, datz die Zeichnungen des Kindes
etwas ,g r u n d s ätz l i ch anderes sind als iede Art
, vpn Projektion, daß ste also keine Ansichken
einer gegebenenRatur sinh, — und damlk
auch keine „Bermengung von Ansichken" sein können.
Daß ste vielmehr der Niederschlag einer geistigen
Berarbeitung der Erlebnisse des Gesichkssinnes über-
haupt sind. Daß solche Berarbeikung zu geistiaen
Zusammenhängen, zu einer Art von Erkenntnis führk,
dle allgemein gültig ist, und die auf alles gestchts-
sinnesMähige Erleben angewandt werden kann.
Daß also unker solchen allgemeingültigen Erkennk-
niflen die Melk des Sichkbaren beurkeilk wird,
und datz die Kinderzeichnungen die Berwirklichung
solcher Beurkellungen in einem stchtbaren Symbol —
den Strtchen und Flecken der Zeichnung und Farbe
— geben. - ^

Diese Ark der Erkenntnis über Gesichtssinnes-
erlebnifle zeigt Analogien mit der Bildung der be-
grifflichen Erkenntnis, aber sie ist ein Denken auf
einem anderen Gebiek als dem der Begrlffe; fle ist
ein Denken auf dem Gebleke der Gesichksvorskellung:
ste schafft geistige Zusammenhänge über Gesichtsvor--
stellung. . :

And wle die begriffliche Urkeilsbildung fortschreikek,'
von einfacheren zu umfaflenderen Zusammenhängen,
indem neue Denkzusammenhänge (-Erkennknifle) ge-
wonnen werden, die die vorigen als Denkbeding-
ungen voraussetzen, so auch die Beurkeilung der Er-
lebnifle des Gesichkssinnes; 'die Ilrkeile auch auf die-
sem Denkgebiet bauen sich in logischer Folge zu
immer umfaflenderen Beurteilungen aüf.

Die Einsicht in diesen logischen Aufbau, also die
Elnsicht in die Stufen der künskl erisch en
Erkennknis, ergibk eine ganz andere Mertung
der Leistung als man ste gewinnt, wenn die Leistung
des Kindes nur an der heuke üblichen der Erwach-
ssneN gemeflen wird. Denn die künstlertsche Letstung
kann nur gemeflen werden nach dem Grade ihrer
Einheiklichkeik, d. i. nach der „Krafk", der Einheik
des Borstellungszusammenhanges.

An einem Beispiel: Ein ägypkisches Relief ist nichk
„falsch" im künstlerischen Sinn, sondern es ist ats
künstlerische Leistung weit einheitlicher, welt stärker,
als eine „richtige", aber unkünstlerische, weil mik
Projekkionsbeständen durchsehte, Zeichnung.

Deshalb kann auch dem Kinde gegenüber der
Matzstab für seine Leistung nicht gewonnen werden

aus der Bergleichung mik „richtigen Darstellungen",
sondern er mutz gewonnen werden aus der Einsicht
in den Grad der Einheitlichkeit, den es auf seiner
Skufe leistet.

lind es muß also das Ziel eines Arbeitsunkerrichtes
sein, einen höheren erreichbaren Grad von Einheit-
lichkeit erarbeiken zu laflen, der innerhalb der kind-
lichen künsklerischen Denkmöglichkeit liegk. Also mutz
für das Kind zunächst — um bei dem vorigen Bei-
spiel m bleiben — die „falsche" Leistung des Äegyp-
kers (oder eine enksprechende dieser Stufe) zunächst
das künstlerische Real bleiben, nichk die „richtige"
Zeichnung einer enkwickelken Kunst, die setner Denk-
skufe noch nicht zugänglich isk, und nakürlich noch
weniger dte „richtige", aber künstlerisch uneinheitliche
Zeichnung einer projizierenden Unkunst.

/ Solche Einsicht in das Mesen der kindlichen Bor-
i pellungszeichnung wird naturgemätz dazu führen, die
/ Brücke zu schlagen zu früher Kunst. Die Beobachkung
der gemeinsamen Merkmale früher Kunst und vor-
stellungsmäßiger Kinderzeichnung ist ja nichks Neues.
Neu ist nür die Deutung dieser gemetnsamen
Merkmale alä ekwas Positives, als Ausdruck
einer Erkenntnisleistung. So zeigt flch die fveie
Kinderzeichnung als Borstufe histörischer künstle-
rischer Leistung. Ilnd damik zeigk sich der nakürtiche
Weg, der vvn der Leistung des Kindes zum lebendigen
Berständnis der höheren — aber seiner Skufe noch
nahestehenden — Leistung der frühen historischen

KunstMF^ '

Ein Ilnterrichk in diesem Slnne setzk bei dem
Lehrenden voraus, datz er elnmal Einbllck und Ber-
ständnis habe sür den katsächlichen Sknn deflen, was
das Kind in seinem bildhasken Gestalken letstet. Und
daß er ferner verlraut sei mit dem geschichtllchen
Stoff der fcühen Kunststufen. Dah ihm ülso ekwa
frühgriechische Basen, mikkelalkerliche Malerei. per-
sische Miniakuren, und nicht zuletzk die Leistungen
einer originalen Bolkskunst, nichk historische Kuriofl-
täken seien, sondern verkrauke und lebendige Bei-
spiele frühen Kunstschaffens. Datz er also in solchen
Werken nichk in erster Llnie das Fremde oder Tren-
nende der Zeik- oder Raflenmerkmale sehg, sondern
das Einende, das, was alle diese Werke — krotz der
grötzken kulkurellen Unkerschiede — zu Werken der
bildenden Kunst machk. Und datz er dieses Zeik-
lose und Allgemeingülkige, was an künstlerischer Er-
kenntnis, an Bergeistigung der Form in ihnen ruhk,
dem heranwachsenden Menschen mit deflen eigener
Leistung so zu verknüpfen weitz, datz es ihm leben-
diger geistiger Besttz wird.

Und schließlich wird es zu solchem Unkerricht nökig
werden, datz solcher Skoff der Än schauun g aüch
kaksächllch vorhanden istr denn er ist so nötig wie
Lehrbücher und nötiger wle Gtpsabgüfle oder aüs-
gestopfte Bögel.—

Wlr chaben blsher vom Zeichenunkerrichk nur als
I von einem Arbeiksunkerrichk für Kunsterziehüng ge-
l sprochen und angenommen, daß seine Arbeik — auf
der freien Kinderzeichnung fußend — ganz in der
Richkung gehe, die in ihrem weikeren Berlauf zu
früher bildender Kunst führt.

Nun hak aber der Zeichenunkerrichk noch andere
Aufgaben: er soll zum „richtigen Sehen" und zum
„erscheinungsgemäßen Darstellen" erziehen. Beldes
sind Ziele, die mit dem Problem der bildenden Kunst
nichks zu kun haben. Das „richkige Sehen" wie es
 
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