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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

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Heft 11 (November 1926)
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Oppermann, Alfred: Kunstbetrachtung und Richtlinien, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0258

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Znnern von der höheren Wesensart der Kunst durch-
drungen sind, weil sie für uns die Form des höchsten
Erlebens ist, so müssen wir uns doch darüber Äechen-
fchaft geben, daß wenn wir in diesem Sinne werten,
wir garnicht zwischen Kunst und Wissenschaft, son-
dern zwischen hohem und höheren Menschenwert ent-
scheiden, wobei ein in kieferem Sinne religiöses Mo-
ment vielleicht das Hauptwort zu reden hat. Die Be-
haupkung von Emil Schwarz (Heft 1, 1925): Es ist
eine absolute Wahrheit, daß die Impulse der Kunst
stärlrer auf die Beredelung eines Menschen wirken
als die Gesetze der Moral", würde kaum zu erweisen
sein: vor dem müßke noch geprüft werden, ob „5m-
pulse der Kunst" also das Lebendig-Wirksame den
„Gesetzen der Moral" also dem Ausgelebt-Begriffe-
nen so einfach gegenüber gesehk werden kann. Es
ist leider nicht so, dah der Künstler als Erscheinung
ein be'sserer, einstchtsvollerer Mensch sei, als ein
anderer, und es bleibk so, daß die Höherwertung
eines Menschen darum geschieht, weil er die Welt rei-
cher erlebt, tiefer erfühlt und mehr davon auszutei-
len weih als andere. Wir Zeichenlehrer sollken unser
Teil daran kun, daß der Gegensah: Kunst und Wis-
senschaft ausgerotket wird, der mit der Schule am
wenigsten zu kun hat, und dafür der Geist der Mensch-
lichkeit sich ausbreitet.

Das Verhälknis zwischen Künstler und Lehrer.

Hier nicht Gegensatz der Begriffe, keine Abstrak-
tion, doch gerade deshalb ein hartes Aufeinander-
stotzen der wirklichen Tatsachen. — Der Lehrer, der
heute noch stolz darauf ist, daß er stets nur das ob-
jektiv Aichtige sdie „Wahrheit" des Philifiers) ge-
lehrt, daß er nie ein windiges Werturteil gesprochen
habe, würde heute aussterben können, wenn diejer
Typ sterblich wäre. Der echten lebendigen Lehrerper-
sönlichkeit, die wertend, wählend sich und seinen Schü-
lern ein Weltbild schafft, ist von oben her Raum ge-
geben. Diesen nie befriedeten, suchenden, auch irren-
den, aber durch ein festes Wertbewußksein wachsen-
den Lehrer verbinden feste Linien mit de'r Nakur des
Künstlers. Aber es gibt eine Grenze, die nicht über-
schritten werden darf. Der Künstler ist von Natur aus
ein asoziales Wesen. Seine Leiskung kommt zwar der
Gemeinschaft vor allem zu guke, er schafft aber nur
für sich selbst. Als Politiker ist er deshalb ent-
weder Anarchist oder Autokrat. Er ist einseitig-tief,
allem abgewandt, was ihn auf seinem gradlintgen
Wege stören könnte. Sein Reich liegt in der Ein-
samkeit. Der Lehrer ist der gesellschaftlichen Ordnung
verbunden, er hat stets, auf eine Masse wirkend, so
etwas wie einen Normalmenschen zu bearbeiten,
er hat vielseitig-breit zu sein wie der Theaterdirektor,
der jedem etwas bringt. Beschränkt und relativ mit
einer Schar unentwicke'lter Geister fleht er seine
Kunst vor allem darin, fich anzugleicheir, um verständ-
licher, anregender Wegweise'r zu sein. Tritt der Zei-
chenlehrer <und auch der Musiklehrer) mit dem A n-
spruch der Künstlersjchaft auf, dann wird er sich zu
jeüem Lehrer, nicht nur dem Philologen, in Ge'gen-
sah sehen und die Bruchstellen des Verhältnisses zum
Lehrkörper werde'n unüberbrückbar. Deutlich betonen
einzelne Zeichenlehrer und VerbäNde sWürttemberg
1925, Hefk 2) ihre Auffassung dazu. Ob sich je-
der Zeichenlehrer dazu bekennen will? 5m an-
deren Falle mutz er sich klar sein darüber, datz er
dem Gewerbe der freien Künstlerschaft (heute ein

Dulderberuf) nicht angehört, denn er hat ja sein Ge-
werbe; daß er al'o mit seinem Anspruch sich die
innere Berufenhei: des (priesterlichen) Künstlers zu-
schreibt, welchen Rang nur die Geschichte austeilk.
Er schädigt seine StandesgenosseN weniger dadurch,
daß er sich von ihnen sondert, als durch Störung der
Vereinheitlichung des Lehrkörpers. Die' in unserer
Zeitschrift hervortretende Ileberspihung des persön-
lichen Standpunktes bis zur Unsachlichkeit und Un-
gerechtigkeit gegen den Gegner zeigt in Verbindung
mit der Verschiedenartigkeit der unterrichtlichen Ziel-
setzungen die Gefahren, die unsere künstlerisch orien-
kierte Geistesdtsposition an sich schon bieket.

Der Zeichenlehrer ein isolierter Spezlalifi.

Wir Zeichenlehre'r haben eine schwierige Stellung
im Lehrkörper. An uns persönlich hängt die Werkung
unseres Faches. Der tüchtige Einzelne' kann von Vor-
urteilsvoüen leicht als Ausnahme angesehen werden.
Die Philologenschaft tritt uns immer in der Vielzahl
entgegen. Die Lücken des Einen werden durch die
Meriten des Anderen gede'ckt, so datz wir immer
ein geschlossenes Bild, einen zuverlässigen Eindruck
ewinnen können. Dei Philologe sieht uns nicht ein-
eitlich. Würde er die Widersprüche, die uns aus-
einandertreiben, kennen, so würden wir nicht gewin-
nen. Wir sind ausgesprochene Spezialisten. Früher
dominierte an der Höheren Schule das Fachlehrer-
system entsprechend der Zersplitterung der Bildungs-
güter. Heute verlangt man, ohne das Fachlehrer-
system aufzugeben, schon seit 5ahren in immer wach-
sendem Maße eine Ausdehnung der Fakultas und
nach den Richklinien wird dem Lehrer eine Fach-
und Allgemeinbildung von einer Tiefe uyd Breite
zugemutet, der kaum jemand genügen kann. Die
pädagogische Vorbildung der Philologen ist e'inwand-
frei. Wir Zeichenlehrer werden in Zukunft zu Stu-
dienräten erzogen. Werden wir damit befser als früher
für den Lehrerberuf gebildek? Merden wir nun ebenso
wie früher zum Zeichner und Maler gemacht, dem
etwas mekhodisjche Tünche übergestrichen wird?
Welche Freude Müller-Freienfe'ls als Dozenten an
der Kunstschule-Berlin zu wissen! Anker den Univerfl-
kätslehrern gibt es große', grundlegende Verkünder
einer Pädagogik der Gegenwark. Wir Zeichenlehrer
horchen vergeblich nach einer Stimme aus dem Kreise
unserer Lehrer. (Bgl. Grochmann 1925 Hest 1.)
Was nützk uns eine Fachausbilsung an einer Stelle,
der die höhere Schule gleichgültig ist. Mas nützt der
schönste „Skudienrat", wenn unorganisch wcikerge-
wurstelt wird. Die Aengstlichkeit viele'r Zetchenlehrer
in Kompetenzfragen ist ein Resulkak diesel Facher-
ziehung. Markieren wir diese Sonderstellung nichk
durch enkrüsteke Abwchr von Einfallsgelüsten der Phi-
lologen in unsere Mauern.

Kuustbekrachkllng ein Mikkel, um den Zeichennnker-
richk an bedeukfamer Skelle in den Schulorgonismus
einzubauen.

Nach den Richklinien werden Kunstbekrachtungen
in fast allen Fächttn getrieben werden können. 5eder
Zeichenlehrer, der seine Schüler sich in Kunstwerke
vertiefen läßt, wird bedauernd bemerkt haben, dah
ihm der übrige Ankerrichk früher so wenig zu Hilfe
kam. 5m Gegenkeil wurde er meist angegangen lm
Sinne der Konzenkration mal ekwas aus Antike,
Rokoko, KlasflziSmus, 5mpresflonismus, Expresflonis-
 
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