Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 6.1926

DOI Heft:
Heft 12 (Dezember 1926)
DOI Artikel:
Rothe, Richard: Weg und Abweg
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.23685#0278

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
246

b e n* **, der alles ganz genau so machen wlll, wie
es die Natur macht. Das Kind läßt seinen Baum
ganz genau so entstehen, wie er wächst, nicht aber
wie er bloh erschetnt. Deshalb kommt zuerst der
6tamm, dann die Aeste und Zweige und an diesem
sieht man alle Blätter.

Dem muß der Lehrer entgegenkommen. Er muß
das Kind solche Techniken lehren, die seiner Art, dar-
zustellen, enkgegenkommen. Techniken, mit
denen sich bauen läßt. Techniken, mit denen
die Form Stück um Skück so entsteht, wie fle die
Natur hervorbringt. Dem entspricht z. B. der
Schwarz- und Buntpapierschnitt^^, das Formen^"",
das Bauen usw.

Das zeichnerisch nicht auSgesprochen begabte Kind
bringt zuerst immer eine Bauform, nur das zeich-
nerisch begabte, der Zmpresstonist, bringt eine Schau-
form, eine Impression. Und der Lehrer muß beiden
gerecht werden: den Bauenden muß er zum
Sehen hinführen, den Schauenden zum Ber-
stehen. Das gelingt ih,n, wenn er auf das Wesen
der Zweckform lossteuert, und damlt bereitet er
auch den Boden, auf dem ein wahrhaftes Kunstver-
ständnis Wurzeln fassen kann.

Biele auch meinen, das Klnd frage nach der Typ e,
wenn es sagt „Wie zeichnet man..Aber das ist
wieder ein Abweg, es fragt nach dem Anfang,
d. h.: „Wie stelle ich es an, damit es mir möglich wird,
die komplizierte Nakurform so zu vereinfachen, daß
ich fle zeichnerisch erfassen kann. Den Weg suchk
eS, oen Weg zur Form, und es will sich nicht
mit der Münze der starren Type abspeisen lasten.
Typen, die so gelehrt werden wie Buchstaben und
immer wieder so ab- und hingeschrieben werden, die
flnd nicht enkwicklungsfähig und die haben mik Zet ch-
nen nichts zu tun. Letzken Endes ist das Zeichnen doch
noch immer dazu da, sehen zu lernen. Nichk
abschauen aber soll es lernen, sondern daS Sehen,
Erkennen, Auffassen und Darsteklen.
Eine eingelernke Type aber wird es nur bllnd machen,
es wird meinen, damit schon etwaS zu befltzen, es
wird meinen, den ganzen linhalt schon erfaßt zu haben.
So wird es das Sehen verlernen, damit nichks mehr
erkennen, nichks auffassen und im Darstellen stecken
bleiben. Die Type darf nichk als ausgeklügeltes
Stenogramm gegeben werden, sondern als die lehk-
mögliche Vereinfachung der Äaturformen, aber nicht
alS Ganzes erfaßt, sondern aufgebaut aus ihren
Teilen mit besonderer Berückflchtigung ihrer Funk-
tion. Das Kind stellk dar, indem es mit Teilfor-
m e n b a u t. Das ist im Zeichnen so, wird deuklicher
im Papierschntlk und am augenfälligsten beim Model-
lieren. Wenn wir dem Kinde dabei entgegenkommen
wollen, so müsten wir erkennen, daß die Mahl der
Technik für die Einleitung eines systematischen Fort-
schrittes nicht gleichgiltig ist. Am besten enlsprechen
jene Techniken, die ein wtrkliche.s Bauen mit
reifbaren Teilen gestatten. Das, was ln der
eichnung an Fehlern nlcht so öhnL weiteres flchlbar

* Dgl. .Drr Schwarz- und Buntpapirrschnitt." P. iAuflage
Deutscher Derlag sür Iugend und Dolk. Wieu 1023.

** Dgl. »Der Schwarz- und Buntpapierschnitt* 3. Auflage.
1SA. Sbenda.

*-*» Bgl. .Da8 Formen, der Sandkasten und dte Plasttk tn
der BolkSbrnst-. 1923. Lbenda.

wird, das zeigt z. B. der Papierschnikt* und daS For-
men viel deutlicher auf und sie bieten viel leichtere
und einfachere Möglichkeiten zur Selbstkorrektur als
die Zeichnung. Das Arbeiken mit Teilformen gestattek
ein Berschieben, Auswechseln, ein Probieren, ein
wiederholtes Aufbauen und damik ein rascheres
Näherkommen: es unkerstützk den steks vor-
handenen Willen, das Streben, -er Nakurform nahe
zu kommen, weil der Weg dazu erleichkert ist, wo die
starre Zeichnung ein stetes Bonvornebeginnen ver-
langt. Das Zeichnen allein bieket nichk die volle G;-
währ, daß alles getan ist, um dem Schüler den Meg
zur Form frei zu geben, und nur der Wechsel in der
Technik bzw. ihre richkige Aufeinanderfolge gibk dem
Lehrenden das sichere Gefühl und das Bertrauen zu
sich selbst, nichks unterlassen zu haben, was notwendig
ist, um etne wahrhafke Auffassung der Form vorzu-
bereiten.

Der Lehrer muß auch steks im klaren darüber sein,
wie weit er sein Ziel erreicht hak, was die Ktnder
selber brachten und was er ihnen geben konnte. Aber
mit Einzelarbeiten Begabter kann man alles bewei-
sen, aber es ist nichts damit bewiesen für den Fork-
schrikt der Klasse. Und um den handelt es sich tmmer.
Nur die Gesamtleistung der Klasse kann
maßgebend sein für dte Beurteilung des Fortschrittes
der Klasse und für die Tüchkigkeit deS Lehrers.

Ein einfachereS Mikkel der Selbsterkenntnis für
den Lehrer ist folgender Borgang: Es wäre z. B.
ein Pferd zu zeichnen. Ieher Schlller erhälk einen
Zettel Papier, etwa in der Größe elner Postkarte,
und zeichnet nun ohne alle Borbereikung durch den
Lehrer auf die bloße Aufforderunohin ein Pferd.
Das kann höchstens fünf bis sechs Minuten in An--
spruch nehmen. Darnach werden die Zelchnungen eln-
gesammelt, wobel flch der Lehrer gleichzeitig über die
Leistungsfähigkeik der Klasse orientiert. Er weiß nun:
Was kann die Klafle, was muß ich ihr geben. 2eht
erst seht er mit seiner TStigkeik ein, sprichk von den
Baukeilen des Pferdes, von ihrer Funktion, wie dlese
die Gestalt mödelk, daß sie dem Zweck entsprlcht, daß
sie eine Zweckform ist usw.

Ein Bergleich der ersten Arbeit mit der zweiten
zeigk nun ganz deutlich auf, wie es dem Lehrer ge-
lungen ist, seine Schüler weiterzubringen. Eine AuS-
stellung der Arbeiten, immer dte erste und zweike
Zeichnung belsammen, wird auch den Schülern den
Gewinn aufzetgen, den sie erworben hapen, ihr Kraft-
gefllhl und damit chr Dertrauen.zur eigenen LelstungS-
fäyigkeit stärken. ' -

Aber auch das Moment der Uebung darf nicht
vergeflen werden, die Einprägung des Gelernken. Das
erreicht man durch „Mulkiplikaktonsallfgaben". also:
Zeichnet: Weidende Pferde, Pferdemarkt, Pferde
werden durch die Stadk gekrieben, Auf der Pußka,
Auf der Prärie usw. Diese Aufgaben gaben oem
Lehrer wieder viel Gelegenhelk zur Berfeinerung und
zu vielen Hknwelsen. Dieser Weg des Bergleiches
der „ursprünglichen Vorstellung" mik der „korrigier-
ten Borstellung" bietek eine Fülle von Erkenntnis-
möglichkeiten für Schüler und Lehrer, die nlcht Lber-
sehen werden dürfen.

Wer so ehrlich den W e g sucht, der wtrd jhn fin-
den. Er geht vom Kinde aus, aber Abzeichnen heißt
Abweg.

* Dgl. »Kindertümliches Zelchnen'. Ü.Anflage. Devtsch« P«r»
lag für Ingend nnd Dolk. Wlen 19W.
 
Annotationen