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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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27

Korrespondenz.

2S

die innere Einheit, die nicht Einförmigkeit zu sein
braucht, eine respcktable Wirkung ausübt. Und in dem
vorliegenden Falle war das, was ich will, so leicht zu
erreichen! Der Besitzer des Grund und Bodens, Fis-
kus oder Kommune, brauchte nur allen Käufern der
Grundstücke und Bauenwollenden beim Kauf die Ver-
pflichtung aufzuerlegen, den Plan des Hauses ihr vor-
her zur Begutachtung einzureichen und konnte dann das
Placet einem bewährten Architekten überlassen. Der
würde seinen „Geist über vieles Fleisch" gegossen haben,
die jüngeren Architekten würden bei ihm in die Schule
gegangen sein, im Einverständniß mit ihm ihre Pläne
entworfen haben; ein starker Wille, ein energischer
Charakter hätte Einheit und Schönheit in die starre
Häusermasse gebracht nnd wir hätten eine deutsche Stadt
mehr von architektonischem Stil, die zugleich wieder
durch ihr Entstehen einer jungen Architektenschule Ge-
legenheit gegeben hätte, zu werden.

Aber was sind das alles für indiskrete Fragen,
Forderungen und Voraussetzungen!! Luft, Licht, Rein-
lichkeit, Gesundheit — sind Begriffe, zu deren Verständ-
niß sich die Vertreter großer, reicher dentscher Handels-
und Fabrikstädte in ihren besten Augenblicken noch
emporschwingen — keineswegs immer!*) — aber An-
forderungen ästhetischer Schönheit — was für Phan-
tastereien! Es kommt ja lediglich darauf an, daß der
Quadratmeter möglichst hoch verwerthet wird, daß die
reiche Kauf- und Fabrikstadt nur ja möglichst wenig
Geld ausgiebt, mag dann auch das heranwachsende Ge-
schlecht seine matten, trüben Augen an den in ihrer
Geschmacklosigkeit g^xichförmigen, weißen oder bunt-
beklecksten Häuserfronten hingleiten lassen, wenn es nur
in Gedanken schnell den hohen Zins, den jedes bringt,
zusammenaddiren kann; reckmen, nur rechnen ist die
Haupttugend dieser Nachfahren, von denen die edleren
Naturen dann doch einmal den Seufzer finden werden:
„Weh mir, daß ich ein Enkel bin!"

,, Bis jetzt ist nur erst der Anfang gemacht worden
mit den Neubauten, aber die Straßenzüge, die in der
Nähe des Bahnhofes bebaut worden sind, sind entmu-

*) Um mir den Vorwurf der Radotage zu ersparen, er-
wähne ich nur eines Vorfalls aus den Verhandlungen der
Berliner Stadtverordneten, der kürzlich ganz zufällig zu
meiner Kenntniß gelangte; aber nach knrzem Suchen könnte
ich die Beispiele hänfen. Ein Herr, dessen Weisheit freilich
auch schon sonst geglänzt hatte, sträubt sich mit Hand und
Fuß gegen die (jedem Verständigen ohne Weiteres einleuch-
tende) Nothwendigkeit, an Stelle der Werder'schen Mühlen
kein neues Gebäude, sondern einen Schmuckplatz anzulegen.
Er nrnnte seinen Standpunkt (er hat vermnthlich die Ab-
sicht, eine Fabrik dicht vor die Schloßkuppel zu banen) alt-
preußische Nüchternheit (!) und zieh seine Gegner der
Phantasterei! Llureun n 8vu Aoüt! Aber wenn das am
grünen Holze Berlins geschieht ....

thigend genug. Wir haben da den echten unver-
fälschten Miethkasernenstil: Haus an Haus, jedes 3^'
Stock hoch, entweder völlig kahl oder mit geschmacklosen
Stuckdekorationen beklebt, die Parterrewand nach t>er
Straße zu aus dünnen Eisensäulen gebildet, woraus
dann die 3—4 Stockwerke, zu engen Miethwohnungen
verarbeitet, lasten — was läßt sich da weiter sagen!

Sieht man den Bebauungsplan näher an, so staunt
man über den Mangel an freien Plätzen. Es ist sch^
unglaublich, daß eine Stadt, die mit ihren engen übel-
riechenden Straßen so notorischen Mangel an BäuMtN
und Pkätzen leidet und von jeher der Heerd ansteckender
Krankheiten gewesen ist, diesem Uebel nicht bei erster
Gelegenheit abhilft. Aber es ist so! Da, wo ein
Platz geradezu gefordert war, nicht bloß im ästhetischen,
sondern vor Allem im Verkehrsinteresse, vor dem neuen
Bahnhof, hat man doch noch eine Häuserinsel hingesetzst
so daß der Berkehr zwischen Bahnhof und Stadt nach
rechts und links ausweichen muß und man jenen erfl
erblickt, sobald man dicht davorsteht. So kommt der
vordere Theil desselben kaum zur Geltung, und doch ifl
er das einzig ansprechende Gebäude unter den zahl'
reichen Neubauten. Freilich kommt sein Zweck und sein
eigenthümlicher Charakter wenig zum Ausdruck und
einen einheitlichen Gedanken sucht man in dem, den
Bahnhvf bildenden Gebäudekomplex vergebens, aber die
aus grauem Sandstein in schlichtem Renaissancestil
aufgeführte Vorderfront macht, anspruchslos wie sie ifl,
einen durchaus wohlthuenden Eindruck. Die zwei Stock-
werke werden durch ein energisches, stark prosilirtes
Gesims abgeschlossen, das mäßig hervortretende Mittel-
risalit ist zum Theil noch durch das Gerüst verhüllt.

Wie selten findet doch der richtige historische Mo-
ment seinen Mann; und umgekehrt: wie oft muß das
künstlerische Genie umsonst die passende Gelegenheit
suchen, frei und unbehindert von störenden äußeren Ein-
flüssen thätig zu sein! Zweimal bietet uns die euro-
Päische Kunstgeschichte das köstliche Schauspiel, wo diese
beiden Linien sich im richtigen Moment gekreuzt haben,
wo der wahre Künstler mit dem echten Fürsten ging.
Und so haben denn auch die Epochen Perikles-Phidias
und Julius-Michelangelo-Rafael das Höchste geleistet
und die kanonischen Werke für künftige Geschlechter ge-
schaffen, danach sie sich richten sollen, wie die irrenden
Verstoßenen nach der Feuersäule in der Nacht, nach der
Rauchsäule am Tage blickten. Damals auch vor AlleM
wurden jene gewaltigen architektonischen Anlagen ge-
schaffen, deren großer Sinn heute noch selbst dem blöden
Auge imponirt. Jm Kleinen hat sich diese günstige
Konstellation noch öfter wiederholt. Aber wir im Nor-
den haben darin viel Unglück gehabt. Die Folgen liegen
denn auch zu Tage: trotz großer Anläufe und einzelner
glänzenver Leistungen ist das architektoniscke Leben
 
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