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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1904)
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Gregori, Ferdinand: Schauspieler-Nöte
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0029

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viererlei Menschen schüfen, so verfahren sie mit den Kulturbewegungen
der Zeit. Wie selten habe ich Berufsgenossen getrofsen, die an den
Wandlungen der Malerei und Bildhauerei, der Dichtung und Musik,
am Kunstgewerbe einigen Anteil nahmen! Meist gehen sie wie das
hohle Laientum am Neuen mit einem Lachen vorüber, das sich außer-
ordentlich überlegen glaubt. Es ist kaum zu begreifeu, welche Bilder
sie in den Schaufenstern als die wertvollsten heraussinden. Das Stoff-
liche und Anekdotische oder das Geleckte und bäuerisch Bunte reizt sie.
Was dem einfachen Bürger, der eine gute Zeitschrift liest, durch die Jahre
als künstlerisch gut und tüchtig in Fleisch und Blut übergegangen ist,
ist dem Durchschnittsschauspieler unbekannt. Er genießt eigentlich immer
nur sich selbst, sei es vor dem Spiegel, sei es in den Worten des
Dichters, sei es im Beifalle, den ihm die Zuschauer spenden. Und doch
hat auch ihn dereinst vielleicht ein ganz anderes Gefühl zur Bühne
getrieben: bei den gewaltigen Leidenschaften der Helden suchte er
Leben, an den Gefühlen anderer wollte er selber groß werden.

Soweit ihm das Publikum, dessen Sklave er geworden ist, solgen
kann, bleibt er in Eitelkeit und Schein befangen. Selbst in seiner
Wohnung spielt er Theater. Buntheit ersetzt die Gediegenheit: Shawl-
und Fächerdekorationen, verschnörkelte Bücherschrünke ohne Jnhalt,
Photographieen, die sast nie einen wirklichen Menschen von echtem
Ausdruck zeigen, sast immer zu Masken verschminkte und verklebte
Gesichter. Jn dieser unpersönlichen Umgebung lebt er, der sich so
gern eine Jndividualität, ja eine Persönlichkeit nennt und nennen lüßt.
Macht er sich aber einmal selbständig, so geschieht es an falschem Orte,
nicht dem Publikum gegenüber, sondern dem Dichter. Er „legt sich
die Rolle zurecht", d. h. er verändert den Text, erweitert ihn, wie
es sogar der große Garrick tat, der, um seine Agoniekünste zeigen Zu
können, den Macbeth Shakesperes einen langen Sterbemonolog eigener
Mache sprechen ließ. So geht es noch heute fort in tranriger Wechsel-
wirkung: das Publikum befiehlt und der Schauspieler verliert sich
selbst; aber weil er sich selbst verliert und rein künstlerische Regungen
unterdrückt, verarmt wiederum das Publikum. Ein Beispiel: man
klatscht dem vorlesenden Schauspieler um so lauter Beifall, je leichtere
Ware er bietet. Was ist die Folge? Er bringt diese Ware immer
wieder, und das Publikum geht der großen lyrischen Dichter, we-
nigstens in der Oeffentlichkeit, verlustig.

Was ist zu tun? Was in allen Künsten versucht worden ist!
Wir müssen das Publikum vom Unwesentlichen zum Wesentlichen er-
ziehen. Das ist freilich nur durch Selbstzucht zu erreichen. Jn unserm
Jnnern hat der Wandel zu beginnen. Wir dürfen uns nicht damit
begnügen, einseitige darstellerische Talente zu sein, wir sollen streben,
Charaktere zu werden. Dazu ist Ruhe ünd Sammlung, ist Arbeit
nötig; denn man glaube nicht, daß der bloße Vorsatz genügt, um
innerlich zu wachsen. Zwingen wir uns zu guter Lektüre, zu be-
sonnener Betrachtung der Kunstereignisse, zur Auswahl weniger, aber
tüchtiger Freunde, dann wird das rechte Verhältnis znm Dichter und
zum Publikum, wie es im Willen des Dichters und im Sinne der
Kunst liegt, als etwas Organisches aus unserer Seele herausblühen.

Ferdinand Gregorr




Runstwart t.8. Zahrg. Lseft s
 
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