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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1904)
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Batka, Richard: Lieder zur Laute
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Ernst Rietschel
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0467

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allen Zeiten, auch in den unsern, nur daß den Zeitgenossen die
Auslese schwerer fällt als den Nachgeborenen, die den gehörigen Ab-
stand haben. „Alt" urid „Modern" sind ja bloß Verhältniswörter,
sie verschwimmen in einer gewissen Entfernung. Das Lebendige aber
behauptet sein Recht anch durch den Wechsel der Zeiten.

Jch bin für die Bestrebungen der Münchner Lautenisten mit
Wärme eingetreten, weil ich hier etwas Gutes im Werden zu sehen
glaube. Möge nationales Bewußtsein, das den Wert unserer Volks-
liederschätze begreift, möge künstlerischer Sinn, der sich vor Unge-
wohntem nicht hinter Vorurteile verschanzt, der jungen Bewegung die
Wege ebnen. Richard Batka

6rns1 kielbekel

Hundert Jahre erst ist es her, daß er geboren ward, aber schon
vierundvierzig Jahre ist er tot. Als er auftrat, galt er als Neuerer,
galt er vielen als „Realist" und „Naturalist", aber zu seinen Leb-
zeiten schon erkannte man, daß, wie er's übte, das denn doch kein
Vorwurf sei. Seitdem hat niemand mehr gegen seine Kunst gesprochen.
Nun kennen ihn alle und die ihn nennen, ehren ihn. Aber Hand aufs
Herz: wie vielen geht seine Kunst noch unmittelbar nahe, wenn sie sie
unvoreingenommen durch den großen Namen auf sich wirken lassen?
Wem wenigstens, der lebendigen Empfindens in der Kunstbewegung
der Gegenwart steht? Es liegt ein halbes Jahrhundert zwischen ihr
und uns.

Und wir dürfen uns nicht verhehlen, daß Rietschels Namen s o
volkstümlich geworden ist durch Beziehungen, die außerhalb seiner
Leistungen lagen, was an und für sich diese Leistungen ja weder
erhebt noch herabsetzt. Dieses Schicksal hat der Bildhauer ja mit dem
Mimen gemein, daß nur ein kleiner Teil des Publikums ihn rein
nach dem bemißt, was er gibt, daß vom Hamlet, vom Egmont oder
auch vom Mephisto mit Sympathie oder Antipathie ein Stück Wesens
überstrahlt auf den Darsteller, sei er nun Verkörperer in Stein und
Erz oder in lebendigem Menschenkörpew Goethe und Schiller, Lessing,
Karl Maria von Weber und zuletzt noch Luther ist unserm Volke von
Rietschel plastisch gestaltet worden, in gewisser Bedeutung dürfen wir
sagen: zuerst. All diese Werke entstanden während des Dranges zur
nationalen Einigung, Sammelpunkte dieses Dranges waren die Namen
ihrer Ausschriften. Und die Enthüllung der Werke siel für einen jeden,
den sie feierten, in eine Zeit, da die Teilnahme des Volkes gerade
sür diesen einen besonders erregt war. Sank die Hülle, so erglänzte
das junge Werk jedesmal wie die Krone einer besonderen nationalen
Begeisterung. Und an solchen Werken maß man im Volke den
Künstler Rietschel allein, von seinen andern Schöpsungen wußten und
wissen die Wenigsten.

Geben wir aber all jenes „Ueberstrahlen" zu, es bleibt dennoch
wahr: kein einziger deutscher Bildner schuf damals, der jene Herrlichen
edler hätte gestalten können, als Rietschel. Was wir heute von Denk-
mälern noch mehr wünschen würden, als er gab, kein Mensch ver-

Kunstwart XVIII, 6
 
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