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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 18,1.1904-1905

DOI Heft:
Heft 4 (2. Novemberheft 1904)
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Avenarius, Ferdinand: Literarischer Ratgeber des Kunstwart für 1905, [13]: Rechts- und Staatslehre
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https://doi.org/10.11588/diglit.8192#0350

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keclits- un6 Ztaatslelire

Das Bedürfnis nach Rat hinsichtlich juristischer Literatur, der hier zum
ersten Male erteilt wird, mag im „Laienpublikum* noch sehr gering sein. Doch
liegt es im Jnteresse der nationalen Entnncklung, daß die Vorbedingungen für
ein solches Bedürfnis gestaltet, oder, soweit schon vorhanden, gefördert werden.
Das Emporringen weiterer Bolkskreise zu politischer Mündigkeit fordert vor
allem ein Emvorsteigen aus der juristischen Unmündigkeit, die dem komplizierten
Rechtsorganismas modernen Staatslebens verftändnislos gegenübersteht. Durch
Beteiligung an der Selbstverwaltung oder Selbstrechtsprechung wird bereits
dieser und jener zur ernsilichen Beschäftigung mit Rechtsfragen gedrängt und
erführt, daß es sich da nicht um ein Wissen handelt, das man als „trockensten,
langweiligsten Stoff" nach Möglichkeit von sich abzuweisen befugt ist, senvern
daß üer größte, wichtigste Teil der nationalen Ethtk es ist, der in dem Rechte
eines Volks gebunden liegt. Daß es aber Ehrenpflicht des Volkes ist, seiner
geltenden Ethik selbst Meister zu sein, Lürfte schlietzlich doch gemeine Ueber-
zeugung werden, wie gut eS auch die Zunft von der Rezeption an bis auf den
heutigen Tag verstanden hat, sie als unnahbare Geheimwissenschaft auszugeben.
Die höchst wirksame Abschreckung von gediegener rechtswissenschaftlicher Lektüre,
die man so ausübte, hat auf juristischem Gebiet in den „populären" Rechts-
nachschlage- und -belehrungsbüchern einen eigenen Zweig der Schundliteratur
hervorgebracht; selbstverständlich sind die Schriften solcher Art von unserer
Empsehlung ausgeschlossen. Jm übrigen gliedert sich der Stoff nach den akade-
mischen Lehrfächern: 1. Zivilistisches Fach (bürgerliches Recht nebst Handels-,
Wechsel- und VersicherungSrecht, Zivilprozeß, Konkurs); 2. Kriminalistisches
Fach (Strafrecht, Strafprozeß, Strafvollzugsrecht, strafrechtliche Hilsswissen-
schaften); 3. Publizistisches Fach (Allg. Staatslehre, Staats-, Verwalrungs-,
Völkerrecht); 4. Kanonistisches Fach (Kirchenrecht).

Eine allgemeine Uebersicht über Aufgabe und Methode liefern tn kleinerem
Maßstabe dis juristlschcn Enzyklopädieen von Arndts-Grueber, Gareis,
Merkel, die Einführung in tue Rechtswissenschaft von Kohler, die Allgemeine
Rechtslehre von Sternberg, die Rechtsphilosophie von Lasson; in größerem
die umfangretchen Enzyklopädiesn der RechtSwissenschaft von Birkmeyer und
Hvltzendorsf-Kohler. Hier ist jedes Einzelfach von einem besonderen Autor
bearbeitet und zwar ziemlich gleichmäßig in Leistungen höchsten Nanges. Von
besonderen Wesensseiten des Rechtes aus leitet Rudolf v. Jhering zum Ver--
ständnis des Ganzen hin: von der ethisch-idealen im berühmten, vielsach über-
segten .Kampf ums Necht", dsm beredten Bekenntnis hochgemuten Jndividua-
lismus und im „Trinkgeld"; von der utilitaristisch-realistischen im „Zweck im
Recht", der, wie Felix Dahn (»Die Vernunst im Recht") bezeugt, überhaupt
zur Erweckung deS Jnteresses an der rechtlich-sozialen Kultur am meisten von
allen existierenden Büchsrn geeignet ist. Da jedoch das Recht wie jeder Jahalt
geistigen Lebens wesentlich in der Geschichte sein Dasein hat, mithin aus Ent-
wicklungsgesetzen verstanden werden muß, so ist außer dem rechtsenzyklo-
pädistischen und rechtsphilosophischen vornehmlich rechtshistorisches Wissen un-
entbehrlich und umsomehr zu empfehlen, als das letzte Jahrhundert gerade
auf diesem Felde seine beste Arbeit verrichtet hat. Des autiken Roms noch heute
teilweise weltbeherrschende Normen lehrt Karlowas tiefgründliche römische
Rechtsgeschichte, Mommsens römisches Strafrecht und sein römisches Sraats-
recht, von dem eine ganz große und eine kleinere Ausführung zur Verfügung
stehen, Sohms „Jnstitulionen, ein Lehrbuch des römischen Privatrechts": die
Arbeit eines edlen Geistes voll tiefen Sinns und tiefer Formenschönheit. Jn
Jherings — leider gleich dem ,Zweck im Recht* unvollendeten — »Geist des
römischen Rechts* leuchtet wie in allen seinen Arbeiten die Flamme des Genius,
dessen ursprüngliche Kraft Mängel in gewissen Seiten geistiger Kultur, beson-
ders der philosophischen. zwar mitunter abschwächen, aber nie gänzlich lähmen
können. Von den beiden berühmten Darstellungen des gemeinen Rechts römischer
Herkunft, das in großen Teilen Deutschlands bis 1900 galt, ist die Windscheids
reicher und wohl auch schärfer in den begrifflichen Konstruktionen; dis Dern-
burgS beeinflußt vom wirtschaftswissenschafllichen Gedanken, überhaupt moder-
ner und außerordentlich lesbar. DernburgS großer Bearbeitung des Preußt-
schen Privatrechts steht mit den gletchen Vorzügen diejenige von Förste r-

3t 2 Runstwart XVIII, bsest H
 
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